Long-COVID bei Kindern

(30.09.2022) Auch Kinder und Jugendliche können nach leichten Verläufen Long-COVID-Symptome entwickeln. Wir sprachen mit dem Jenaer Kinderarzt Daniel Vilser darüber.
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Editorial

Kinder sind ebenso von Long-COVID betroffen wie Erwachsene – wenn auch seltener. Weil die Symptome so divers und unspezifisch sind, haben Ärztinnen und Ärzte der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jena eine interdisziplinäre Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet: die Post-/Long-COVID-19-Ambulanz für Kinder und Jugendliche. Einer der Spezialisten dort ist der Kinderkardiologe Daniel Vilser. 

Zu Ursachen und Krankheitsmechanismen liegt noch vieles im Dunkeln. Anfang des Jahres hat Vilser ein multidisziplinäres Konsensuspapier mitverfasst zur Basisversorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long-COVID (Monatsschr. Kinderheilkd. 170(6): 539-47). In Jena sammelt er Daten zum Erkrankungsspektrum und möchte vor allem zuverlässige Biomarker finden. 

Im folgenden Gespräch berichtet Vilser über den aktuellen Wissensstand und darüber, was wir noch nicht genau wissen. Wichtig ist ihm, dass betroffene Kinder und Jugendliche gut betreut, diagnostiziert und behandelt werden. Adressen und Anlaufstellen, so empfiehlt er, findet man über die Selbsthilfeorganisation „Long COVID Deutschland“ (longcoviddeutschland.org/ambulanzen/) und den Ärztinnen- und Ärzteverband „Long COVID“ (long-covid-verband.de).

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Laborjournal: Schwere Krankheitsverläufe sind bei Kindern mit einer SARS-CoV-2-Infektion selten. Andererseits kommt auch bei Kindern und Jugendlichen Long-COVID vor. Sie und Ihre Kollegen in Jena haben hierfür eine eigene Anlaufstelle eingerichtet. Offenbar sind also mehr Kinder betroffen, als die niedergelassenen Kinderärzte derzeit adäquat behandeln können. Das widerspricht ja der Auffassung, dass Corona für Kinder meist harmlos sei. 

Daniel Vilser » Unter „extrem selten“ versteht man als Pädiater eine Größenordnung von vielleicht eins zu hunderttausend, und das ist bei Long-COVID nicht so. Da sprechen wir von einer Inzidenz zwischen 0,8 und 5 Prozent bei infizierten Kindern, einige Studien gehen sogar von bis zu 13 Prozent aus. Die Zahl pendelt sich aber inzwischen im unteren einstelligen Prozentbereich ein. Bei mehr als sieben Millionen infizierten Kindern kommen dann durchaus beachtliche Zahlen zustande.

Und die sind nicht immer gut versorgt? 

Vilser » Wir haben irgendwann in unseren Spezialsprechstunden immer wieder Überweisungen von Kindern bekommen, die sich nach der Infektion nicht voll erholt haben. Die Spezialisten hier am Klinikum haben sich dann ihr jeweiliges Teilgebiet vorgenommen. Oft kam heraus, dass dort nichts an der Lunge oder am Herzen ist. Dadurch, dass man als Spezialist nur auf ein Organ schaute, wurden die Kinder oft zurückgeschickt, und insgesamt war ihnen damit nicht geholfen. Deshalb haben wir uns hier in Jena zusammengesetzt und überlegt, wie wir gemeinsam helfen können. Daraus entstand dann die Long-COVID-Sprechstunde.

Also ein interdisziplinäres Angebot, bei dem Sie ein Kind innerhalb Ihres Hauses auf kurzem Wege zum Beispiel vom Kardiologen zum Pneumologen schicken können, ohne dass erst neue Überweisungen notwendig sind. 

Vilser » Genau, deswegen interdisziplinär. An diesem Konzept ist jede Fachdisziplin der Pädiatrie beteiligt.

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Gibt es so etwas wie den typischen jungen Long-COVID-Patienten, oder ist das Bild auch bei Kindern heterogen? 

Vilser » Das ist schon sehr bunt. Im Zusammenhang mit Long-COVID sind ja mehr als 200 Symptome beschrieben. Ein paar Dinge sind dennoch recht häufig: Die meisten schildern schlechte Belastbarkeit mit einer Fatigue-Symptomatik. Auch verschiedene Schmerzen kommen häufig vor. Aber einen ganz typischen Patienten gibt es jetzt nicht, bei dem man sofort erkennen würde, dass er unter Long-COVID fällt.

Somit dient solch eine Diagnostik ja auch dazu, andere Erkrankungen auszuschließen. Kommt es denn regelmäßig vor, dass Sie etwas Konkretes finden, das man gut behandeln kann? 

Vilser » Selten. Das ist ja das Problem mit Long-COVID, dass uns hierfür Biomarker fehlen. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die gezeigt haben, dass es bei Long-COVID-Patienten manchmal Autoantikörper gegen gewisse körpereigene Strukturen gibt. Oder dass der Cortisolspiegel insgesamt etwas erniedrigt ist. Das hilft aber nicht dem einzelnen Patienten weiter und sichert auch nicht die Diagnose. Selten finden wir mal eine Vitaminstörung. Und gelegentlich finden wir auch Erkrankungen, die gar nichts mit COVID-19 zu tun haben. So haben wir auch mal eine atypische Leukämie oder eine Lebererkrankung entdeckt.

 

»Durch die Pandemie treten so viele Fälle auf einmal auf, dass man sie nicht ignorieren kann.«

 

Das bedeutet, Sie behandeln häufig nur die Symptome. An dieser Stelle erinnere ich mich an die Sonderfolge des NDR-Coronavirus-Update vom 17. Mai 2022, bei der Sie zu Gast waren und betont haben: Die Symptome lindern zu können, solle man aber auch nicht kleinreden. Man könne den Kindern dadurch sehr wohl helfen. Haben Sie dafür Beispiele?

Vilser » Ein typisches Beispiel sind Verdauungsstörungen im Zusammenhang mit Long-COVID. Da kann Durchfall oder Verstopfung vorliegen. Je nachdem, was dominiert, kann man hier gut eingreifen mit Medikamenten, die den Stuhl regulieren. Wir können versuchen, die Darmflora mit Probiotika wieder aufzubauen oder mit ­Laxantien gegen die Verstopfung arbeiten. Oder man kann Schmerzmittel gegen Schmerzen geben. Es gibt außerdem viele Kinder, die unter Schlafstörungen leiden, und auch dafür gibt es Medikamente. 

Darüber hinaus ist die Sozialmedizin extrem wichtig. Die Kinder haben mitunter einen wahnsinnigen Stress, weil sie nicht mehr so am Schulunterricht teilnehmen können, wie sie eigentlich müssten. Auch hier muss man die Kinder gut betreuen.

Gibt es bei Long-COVID Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen?

Vilser » Es ist ziemlich ähnlich, aber bei Kindern wirklich seltener, da sind wir uns mittlerweile sicher. Erwachsene haben das wahrscheinlich vier- bis fünfmal häufiger nach einer Corona-Infektion. Aber von der Symptomatik her unterscheidet es sich nicht so arg. Mein Eindruck ist aber, dass die Kinder eine etwas größere Chance auf eine rasche Besserung haben.

Wie viel Prozent der Kinder erholen sich denn, und wie lange dauert es, bis eine Besserung eintritt? 

Vilser » Konkret habe ich dazu keine gesicherten Zahlen. Wir wissen, dass mit jeder Woche, die vergeht, die Chance steigt, dass sich die Symptome bessern. Per Definition müssen ja für die Diagnose „Long-COVID“ über mindestens vier Wochen Symptome bestehen; für das Post-COVID-Syndrom sind es mindestens 12 Wochen. Wenn wir uns das Ganze über ein Jahr hinweg anschauen, würde ich vorsichtig schätzen, dass es wahrscheinlich achtzig Prozent der Kinder besser geht. Es bleibt aber ein gewisser Anteil, der über Monate oder, das können wir mittlerweile so sagen, Jahre Probleme hat. Die Patientin, die am längsten bei uns in Behandlung ist, hatte im April 2020 die erste Infektion, leidet also seit mehr als zwei Jahren an Symptomen.

Also Belastbarkeit, Kurzatmigkeit, Erschöpfung? 

Vilser » Ja. Und Geruchs- und Geschmackssinn sind eingeschränkt, sie hat Kopfschmerzen und Schlafstörungen.

Selbst wenn nur wenige Prozent der Kinder Long-COVID erleiden, so kommt mir die Zahl doch sehr hoch vor. Zumindest war mir das von anderen Virusinfektionen bislang nicht bekannt. Ist Corona hier ein Sonderfall oder achten wir derzeit mehr darauf? 

Vilser » Vorher haben wir tendenziell sicher etwas weniger darauf geachtet. Durch die Pandemie treten nun so viele Fälle auf einmal auf, dass man sie nicht ignorieren kann. Das ist bei anderen Erkrankungen anders, wo es nicht diese Massen an zeitgleichen Infektionen gibt. Wir wissen aber zum Beispiel, dass das Epstein-Barr-Virus auch zu einem ganz erheblichen Teil solch eine postvirale Fatigue-­Symptomatik auslösen kann. Wenn man gesagt hat, dass die Kinder nur leicht an COVID-19 erkranken, dann stimmt das nach wie vor. Das Problem ist, dass auch die leicht oder asymptomatisch Erkrankten solche Symptome nach der Infektion entwickeln können. Die Aussagen mit der leichten Erkrankung beziehen sich also immer nur auf die akute Infektion.

Aber umgekehrt ist es doch so, dass man bei schweren Verläufen auch häufiger mit Folgesymptomen zu tun hat – etwa wegen Schädigung von Organen, was ja letztlich auch unter dem Long-COVID-Label läuft. 

Vilser » Wenn man eine schwere Erkrankung hat, hat man natürlich ein höheres Risiko, auch vier Wochen später im Sinne der Long-COVID-Definition irgendwelche Probleme zu haben. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit für Long-COVID nach einer schweren Erkrankung etwas erhöht, das zeigen auch viele Studien. Dadurch, dass aber nur wenige Kinder schwer erkranken, sind die mit Abstand meisten Patienten bei uns wirklich nur gering oder asymptomatisch erkrankt gewesen. Es gibt unter den Kindern ja nur einen ganz geringen Teil wirklich schwer Erkrankter, die dann ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstation müssen.

 

»Ich glaube, dass die Patienten, die wir unter Long-COVID zusammenfassen, nicht alle den gleichen Pathomechanismus haben.«

 

Nun ist es ja schwer, eine Kontrollgruppe von Kindern zu haben, die nie Kontakt zum Virus oder mindestens dem Antigen im Impfstoff hatte. Aber erheben Sie trotzdem, ob eine Infektion vorlag, zum Beispiel über eine Antikörper-Bestimmung gegen das Nucleocapsid-Protein, das ja nicht im Rahmen der Impfung verabreicht wird, sondern nur bei einer echten Infektion in den Körper gelangt? Haben Sie hierzu überhaupt die Kapazitäten, nebenher zu forschen, oder steht die ärztliche Arbeit im Fokus? 

Vilser » Bei uns läuft mit „LongCOCid“ [sic] ein Forschungsprojekt zu Long-COVID bei Kindern, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert ist. Wir suchen hier nach genau solchen Biomarkern und nehmen auch immer die Antikörper gegen das Nucleocapsid mit ab, um zu schauen, ob eine Infektion vorlag. Da sind wir zum Beispiel neugierig, ob die Menge der Antikörper vielleicht auch irgendwie korreliert mit den Beschwerden. 

Wenn Sie über das Kontrollkollektiv unter Kindern sprechen, das man braucht, um die Prävalenz zu bestimmen: Ursprünglich hatten wir das im Projekt dabei; doch genau aus den von Ihnen genannten Gründen haben wir das Protokoll nun etwas abändern müssen – weil wir mittlerweile eben nicht mehr sicher im Rückblick Nicht-Infizierte von Infizierten unterscheiden können. Mittlerweile gibt es aber wirklich viele Studien auch mit Kontrollgruppen, die sauber und mit großen Zahlen durchgeführt sind – etwa aus Dänemark und den USA. Somit haben wir einen ungefähren Eindruck von der Prävalenz und Inzidenz und landen halt im besagten niedrigen Prozentbereich bei Kindern.

Ist aus Ihrem Projekt schon etwas spruchreif, oder zeichnet sich zumindest eine Tendenz ab, etwa für die Biomarker? Sie erwähnten bereits die Autoantikörper. Solche kennt man gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren und findet diese auch bei einigen Long-COVID-Patienten. Ebenso tauchen diese Autoantikörper unabhängig von Corona auch unter einigen Patienten auf, die an Myalgischer Enzephalomyelitis/dem Chronischen Fatigue-Syndrom leiden (ME/CFS; siehe auch LJ 5/2022, ab Seite 14 und laborjournal.de/editorials/2531.php). Es deutet ja auch vieles darauf hin, dass ME/CFS eine Folge von Corona sein kann, und diese Antikörper könnten einen Hinweis auf den Pathomechanismus liefern. Mit BC007 wird in Erlangen sogar ein Wirkstoffkandidat gegen diese Antikörper getestet – zunächst im Zusammenhang mit Long-COVID, idealerweise aber auch gegen ME/CFS. Finden Sie solche Autoantikörper auch bei den Kindern? 

Vilser » Wir suchen danach. Die Problematik dahinter ist aber, dass es diese Antikörper auch bei Gesunden gibt. Angenommen, Sie finden in einer Studie unter 100 Gesunden 15 Probanden mit diesen Antikörpern und bei 100 Long-COVID-Patienten 30, dann mag das statistisch signifikant sein. Aber es hilft nicht dabei, die Gesunden von den Kranken zu unterscheiden. Wir wissen also dann immer noch nicht, ob und über welche Wege diese Autoantikörper ursächlich sind für die Symptome, unter denen ein Patient leidet. Und das trifft auch auf viele andere Dinge zu, für die es im großen Kollektiv durchaus ein Signal gegeben hat, aber das eben nicht ausreicht zum Nachweis der Erkrankung. Wir haben leider auch noch keine Ergebnisse, um eine Diagnose allein über Biomarker beweisen oder ablehnen zu können.

Neben den Autoantikörpern, die durch die Infektion getriggert werden könnten, gibt es ja diverse Vermutungen rund um Long-COVID. Zum Beispiel, dass noch virale Proteine im Körper verbleiben und das Immunsystem ärgern. Haben Sie eine Arbeitshypothese zum Mechanismus hinter Long-COVID? 

Vilser » Es bestätigt sich mehr und mehr, dass Long-COVID ein multifaktorielles Geschehen ist. Die eine Ursache, die alles erklärt, gibt es wohl nicht. Stattdessen gibt es verschiedene Cluster innerhalb des Long-COVID-Kollektivs mit all diesen Pathomechanismen, die diskutiert werden. Dazu gehören Viruspersistenz, endotheliale Dysfunktion, die zu einer verminderten Durchblutung bei Stress führt oder Microclots – also kleine Thromben, die Gefäßteile verstopfen und die Versorgung der Organe beeinträchtigen. Und natürlich zählt dazu auch dieser ganze Gruppenkomplex der Autoimmunreaktionen von einer zu schwachen Immunantwort bis hin zu einer Überreaktion.

Also gibt es „das eine“ Long-COVID gar nicht. 

Vilser » Nein, da bin ich mir sehr sicher. Ich glaube, dass die Patienten, die wir unter Long-COVID zusammenfassen, nicht alle den gleichen Pathomechanismus haben. Und deswegen auch nicht alle von der gleichen Behandlung profitieren würden.

Gibt es Hinweise darauf, dass eine Impfung vor Long-COVID schützt oder zumindest das Risiko verringern könnte? Beobachten Sie hierzu speziell bei Ihren Patienten einen Unterschied? 

Vilser » Nein, dazu kann ich aus unserem Kollektiv nichts sagen. Dafür sind die Kinder auch insgesamt zu selten geimpft. Ich kann mich nur auf andere Publikationen zu Erwachsenen berufen, die nahelegen, dass die Impfung gegen Long-COVID zu schützen scheint. Die Mehrzahl der Studien, die das untersucht hat, zeigt ein etwa um 50 Prozent verringertes Risiko. Dabei müssen Sie aber bedenken, dass die meisten dieser Studien zur Prävalenz aus Zeiten vor Omi­kron stammen. Erste Untersuchungen zu Omikron deuten darauf hin, dass unter dieser Variante Long-COVID wiederum seltener auftritt, wahrscheinlich auch mit einer Reduktion um 50 Prozent.

 

»Die Kinderärzte sind sich darüber einig, dass eine alleinige Pandemiekontrolle auf dem Rücken der Jugend nicht in Ordnung ist.«

 

Aber zu Omikron gibt es noch wenige Studien, oder? 

Vilser » Na ja, wenn Sie sich überlegen, dass es Omikron seit etwa acht Monaten gibt, und dass man aber mindestens drei Monate unter Symptomen leiden muss, bis man vom Post-COVID-Syndrom sprechen kann, dann konnte man noch gar nicht so viele Vergleiche dazu anstellen. Dazu sehen wir jetzt erst die ersten Studien.

Nun scheinen ME/CFS und auch andere Formen postviraler ­Fatigue bei Kindern seltener vorzukommen als bei Erwachsenen. Könnte es also bezogen auf das Lebensrisiko für solch eine Erkrankung von Vorteil sein, wenn man nicht erst als Erwachsener, sondern bereits als Kind den Erstkontakt zu einem Erreger wie EBV oder SARS-CoV-2 hat? 

Vilser » Für Epstein-Barr haben wir eigentlich immer gesagt, dass Kinder das besser wegstecken als Erwachsene. Sie haben auch ein geringeres Risiko, postvirale Probleme zu erleiden. Auch die akute Infektion stecken Kinder besser weg. Allerdings hat man bei SARS-CoV-2 ja keinen dauerhaften Schutz und kann sich später trotzdem wieder infizieren. Möglicherweise verläuft die Infektion dann milder. Aber deswegen jetzt Coronapartys zu feiern, halte ich für großen Quatsch und für ähnlich sinnlos wie Masernpartys!

Der Erstkontakt mit dem viralen Antigen kann ja auch über eine Impfung stattfinden. 

Vilser » Ja, bei Masern gibt es diese zuverlässige und sehr sichere Alternative. Bei Corona schützt die Impfung natürlich nur bedingt vor einer Infektion – das müssen wir ja mittlerweile so sagen.

Wobei die T-Zell-Immunität ja höchstwahrscheinlich längerfristig und variantenübergreifend vor schweren Verläufen schützt.

Vilser » Richtig. Es ist der Bevölkerung halt lange Zeit so kommuniziert worden, als sei es ein sicherer Schutz vor jeglicher Infektion. Aber spätestens seit Omikron gilt das nicht mehr. Aber ziemlich sicher schützt die Impfung vor schweren Verläufen und Komplikationen.

Die Kinder waren ja während der Pandemie häufig ein Spielball der verschiedenen Interessen. Wer schärfere Maßnahmen forderte, begründete das damit, die Kinder vor Infektionen schützen zu wollen. Wer für Lockerungen eintrat, schickte gern die Kinder in seiner Argumentation vor, weil die ja unter den Kontaktbeschränkungen besonders leiden. Doch solche Debatten müssen Eltern ja komplett verunsichern, denn am Ende entsteht doch der Eindruck, dass man es nur falsch machen kann! Was würden Sie als Kinderarzt Eltern und Kindern beim Umgang mit den Risiken der Pandemie raten? 

Vilser » Ja, ich denke, die Kinderärzte sind sich darüber einig, dass eine alleinige Pandemiekontrolle auf dem Rücken der Jugend nicht in Ordnung ist. Die Einschnitte für die Kinder waren erheblich größer als für uns Erwachsene. Wenn Sie bedenken, was es für einen Drei- oder Vierjährigen bedeutet, seine Freunde ein Jahr lang nicht mehr zu sehen und den Kindergarten nicht zu besuchen – der hat ein Viertel seines Lebens verpasst. In dieser Zeit finden Entwicklungsschritte statt. Dass kann ein Erwachsener, der es vielleicht locker sieht, ein paar Wochen auf der Couch zu sitzen, gar nicht mehr nachvollziehen. So etwas sollte also nicht passieren. 

Die Angst vor diesem Virus sollte nicht dazu führen, dass man sein Kind isoliert. Das wäre nach heutigem Stand der Dinge nicht richtig. Weder Akutinfektion noch Langzeitproblematik rechtfertigen das Fernhalten eines Kindes von seinen sozialen Aktivitäten. Dabei gibt es einfache Dinge zum Infektionsschutz, die gut umsetzbar sind. Dazu gehören Masken in geschlossenen Räumen, dazu gehört das Lüften. Die Strukturen für sicheren Unterricht hätten Politik, Länder und Schulen längst schaffen sollen. Ich glaube, das ist nicht in dem Maße erfolgt, wie es hätte sein können.

Zum Beispiel Luftfilter.

Vilser » Ja, und wir wissen seit zwei Jahren: Das Virus wird nicht weggehen! Ich glaube, die Anzahl der eingebauten Luftfilter ist leider trotzdem extrem überschaubar geblieben.

Wobei die Luftfilter ja auch unabhängig von der Pandemie Vorteile hätten.

Vilser » Sicher. Die helfen ja auch gegen Influenza und andere Erreger. Wenn die Klassenräume ein bisschen besser durchlüftet sind, ist das immer von Vorteil. Ich glaube, dass inzwischen bei Eltern eine gewisse Sensibilität entstanden ist, Kinder mit Symptomen nicht in die Schule oder zu Freunden zu schicken, sondern sie zu Hause zu lassen. Ich hoffe, dass man das so beibehält.

Interview: Mario Rembold (31.8.22)

(Illustr.: ZOE Health Study; Foto: Uniklinik Jena)

 

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Letzte Änderungen: 30.09.2022