Auf Jagd im Reich
der Mikroben

(26.09.2022) Myxococcus xanthus – vor allem bekannt für sein komplexes Sozialleben – ist ein versierter Jäger. Wie er seine Beute tötet, wird in Bochum erforscht.
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Editorial

Der Boden ist ein komplexes Ökosystem, in dem sich auf kleinstem Raum eine Vielzahl an Mikro­organismen tummelt. Bakterien, Pilze und eukaryotische Einzeller gehen die verschiedensten Wechsel­wirkungen miteinander ein – manche davon sind symbiotisch, andere dagegen antagonistisch. Viele Antibiotika, die in der Humanmedizin zum Einsatz kommen, stammen aus Boden­organismen und dienen ursprünglich der Beseitigung von Nahrungs­konkurrenten, die oft genug nahe Verwandte der Produzenten sind. Auf der anderen Seite finden sich im Boden auch ausgefeilte Formen der gegenseitigen Unterstützung. So versteckt sich die einzellige Grünalge Chlamy­domonas reinhardtii im Mycel des Schimmelpilzes Aspergillus nidulans, um sich vor einem bakteriellen Antibiotikum zu schützen.

In den meisten Fällen interagieren Mikro­organismen mithilfe von kleinen Molekülen, die in die Umwelt abgegeben werden. Viel weniger ist bekannt, dass es unter den Bakterien auch Räuber gibt, die andere Organismen gezielt und durch direkten Zell-Zell-Kontakt töten. Einen solchen Mechanismus hat die Gruppe um Christine Kaimer vom Lehrstuhl Biologie der Mikroorganismen an der Ruhr-Universität Bochum detailliert beschrieben.

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Töten wie ein Wolfsrudel

Räuberische Bakterien leben davon, andere Mikro­organismen zu töten und als Nahrungsquelle zu nutzen. Dafür setzen sie auf unterschiedliche Strategien, woraus auch ein unterschiedliches Beutespektrum resultiert. So haben sich die Bdello­vibrionaceae (bdella = Egel), zu denen der „Bakterien­fresser“ Bdellovibrio bacteriovorus gehört, auf gramnegative Bakterien spezialisiert, in deren Periplasma sie eindringen. Vampiro­coccus lugosii heftet sich dagegen an die Zellober­fläche einer bestimmten Gruppe von Photosynthese betreibenden Proteo­bakterien. Besonders versierte Jäger mit ausgesprochen vielseitigem Beutespektrum sind die Myxobakterien, die aufgrund ihrer Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und gemeinsam vielzellige Fruchtkörper auszubilden, beliebte Studienobjekte sind.

Myxobakterien sind in der Lage, andere Bodenmikro­organismen – darunter gramnegative und grampositive Bakterien sowie Pilze – zu lysieren und von ihrem Zellinhalt zu leben. Für den Modell­organismus Myxococcus xanthus ist beschrieben, dass er seine Beute durch das Ausscheiden von verschiedenen Antibiotika und lytischen Proteinen töten kann. Schließen sich mehrere Myxokokken zusammen, erhöht das ihre Effizienz beim Töten – gerne verglichen mit der Jagd im Wolfsrudel. Daneben ist aber auch bekannt, dass einzelne M.-xanthus-Zellen ihre Beute innerhalb von wenigen Minuten durch direkten Zell-Zell-Kontakt töten können.

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Zusammenspiel zweier Systeme ...

Das Forschungsteam um Gruppenleiterin Christine Kaimer und Erstautorin Susanne Thiery vermutete, dass dafür Protein­sekretions­systeme verantwortlich sein könnten. Von diesen Multiprotein­komplexen, die Proteine über die Zellhülle transportieren und teilweise toxische Faktoren direkt in benachbarte Zellen einschleusen können, existieren in M. xanthus vier Varianten. Die Bochumer Forscherinnen schalteten jede dieser Varianten durch Deletion einzelner Gene aus und konnten so zeigen, dass zwei der Systeme tatsächlich eine Rolle beim Beuteerwerb spielen: ein nadelloses Typ-3-Sekretions­sytem (T3SS), so genannt, weil die Gene für die eigentlich typische Injektions­nadel fehlten, sowie ein Tad (tight adherence system)-System, das bei Bakterien und Archaeen und Bakterien weit verbreitet ist.

„Das Tad-System produziert in vielen Bakterien ein Protein­filament an der Zelloberfläche, welches die Anheftung an Oberflächen oder die Stabilisierung von Biofilmen erleichtert“, erklärt Kaimer. Die Funktion des T3SS ohne Nadelstruktur ist dagegen weniger klar. „Ein T3SS mit Nadelstruktur nutzen viele pathogene Bakterien, um toxische Effektor­proteine in eukaryotische Wirtszellen zu injizieren“, so die Forscherin. „Das nadellose T3SS* findet sich ausschließlich in räuberischen Myxobakterien. Hier ist es bisher unklar, ob und wie Effektor­proteine in Beute­bakterien eingeschleust werden können.“ Wenn eines der beiden Systeme ausfiel, konnte M. xanthus Escherichia-coli-Beutezellen auf Agarplatten weniger gut dezimieren als der Wildtyp. Auch ein Bakterien­rasen konnte weniger gut „abgeweidet“ werden. Wenn beide Systeme gleichzeitig ausgeschaltet wurden, potenzierte sich der Effekt.

… mit unterschiedlichen Aufgaben

Im nächsten Schritt schauten sich die Bochumerinnen an, was auf zellulärer Ebene geschieht, wenn sich Räuber und Beute treffen. Mithilfe eines Markers für den Zelltod konnten sie beobachten, wie M. xanthus Kontakt zu einer E.-coli-Zelle aufnimmt und sich wieder von ihr löste, nachdem der Zelltod eingetreten und die Zelle lysiert war. Über 90 Prozent der Beutezellen wurde bei einem solchen Kontakt getötet. Wurde das Tad-System ausgeschaltet, starben dagegen nicht einmal zwei Prozent der Zellen. Das Ausschalten von T3SS* führte im Unterschied dazu nur zu einem geringen Rückgang der Tötungs­effizienz. Dafür blieben tote Beutezellen allerdings intakt und lysierten nicht mehr.

Das legte nahe, dass beide Systeme unterschiedliche, komplementäre Funktionen haben. Dazu passte, dass beide Multiprotein­komplexe gemeinsam auf der Zellober­fläche der Beute zusammen­gesetzt wurden und dass T3SS* nur funktional war, wenn alle Komponenten des Tad-Systems vorhanden waren. „Möglicherweise nutzt das nadellose T3SS Komponenten des Tad-Systems zum Einschleusen der Effektor­proteine“, spekuliert Kaimer. „Diese Möglichkeit untersuchen wir gerade.“

Das Beutespektrum erweitern

Neben gramnegativen Bakterien wie E. coli mit einer relativ dünnen Zellhülle wagt sich M. xanthus auch an grampositive Bakterien als Beute. Letztere besitzen eine mehrschichtige Zellwand aus Peptido­glycan. Tatsächlich konnte M. xanthus im Experiment den grampositiven Modell­organismus Bacillus subtilis deutlich schlechter töten als E. coli. Zwar sind auch daran die beiden Sekretions­systeme beteiligt wie Kaimer erklärt: „Doch es scheinen noch zusätzliche bakterio­lytische Proteine nötig zu sein, die M. xanthus unabhängig von Tad/T3SS* freisetzt.“

Welche Rolle diese Art des Nahrungs­erwerbs in der Natur spielt, ist noch unklar. „Myxobakterien können entweder saprophytisch leben, also tote Biomasse verwerten, oder sich räuberisch von lebenden Mikro­organismen ernähren. Welche Strategie im natürlichen Ökosystem tatsächlich vorherrscht, ist noch unbekannt“, bedauert Kaimer. Zumindest konnte sie mit ihren Mitarbeiterinnen zeigen, dass M. xanthus die getöteten Bakterien wohl als Energiequelle nutzen kann. So verloren Mutanten ohne funktionierende Sekretions­systeme ihre Fähigkeit, auf Festmedium auszuschwärmen – vermutlich aus Energiemangel. Denn nachdem ihnen die Forscherinnen „Futter“ in Form von E.-coli-Extrakt zur Verfügung gestellt hatten, bewegten sie sich wieder wie der Wildtyp.

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/stux (Fadenkreuz) & Pixabay/JFJunior (E. coli)

Thiery S. et al. (2022): The predatory soil bacterium Myxococcus xanthus combines a Tad- and an atypical type 3-like protein secretion system to kill bacterial cells. Cell Reports, 40: 111340.


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Letzte Änderungen: 26.09.2022