Man braucht einen
langen Atem

(08.09.2022) Und die richtigen Kunden, verrät Dejan Hušman vom Start-up denovoMATRIX aus Dresden, das biologisch aktive Beschichtungen für die Zellkultur herstellt.
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Unterstützung erhalten die Dresdner auch vom Lab-rechaun (re.), dem handgehäkelten Firmenmaskottchen

Editorial

Wir schreiben das Jahr 2012: die Forschungsgruppe um den Dresdner Biochemiker Yixin Zhang reicht ihr erstes Patent für eine nicht-kovalente Hydrogel­matrix für biotechno­logische Anwendungen ein. Heute, etwa zehn Jahre und vier Patent­familien später, ist aus dieser ersten Idee ein 11-köpfiges Biotech-Start-up geworden – auf Expansionskurs. Geschäfts­führer Dejan Hušman, zu jener Zeit Masterstudent bei Zhang, erinnert sich: „Damals haben wir uns vorgestellt, dass solche Beschichtungen eine essenzielle Rolle in der Stammzell­züchtung spielen werden”. Bereits früh erkennen die Dresdner das Potenzial für bioaktive Beschichtungen. „Wir haben uns zunächst auf Stammzellen für die Zelltherapie fokussiert, denn diese in vitro anzuzüchten, ist nicht trivial. Das haben wir als unsere Aufgabe erkannt”, fährt er fort.

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Peptide statt Proteine

Das Problem: In unserem Körper sind alle Zellen in einer extrazellulären Matrix eingebettet. Diese Mixtur aus unterschiedlichen Kollagen­fasern, langkettigen Zuckern und Proteinen unterstützt über komplexe Wechsel­wirkungen Fixierung, Wachstum und Migration der Zellen. Ohne sie ist die Anzucht funktions­tüchtiger und normal entwickelter Zellen schwierig.

„Wir bilden diese Matrix synthetisch nach. Jede Zelle hat dabei besondere Ansprüche, an die wir das Endprodukt jeweils anpassen.“ Auftraggeber müssten maximal fünf Wochen auf ihre „persönliche“ Matrix warten. Auf diese schnelle Auftragsbearbeitung legen die Dresdner von denovoMATRIX besonderen Wert.

Ein weiteres Unterscheidungs­merkmal zu anderen Anbietern ähnlicher Beschichtungen sei der Verzicht auf tierische Proteine. „Wir verzichten bewusst auf die Verwendung vollständiger Proteine. Stattdessen setzen wir Peptide der jeweiligen aktiven Bereiche der Proteine ein.” So erreiche das Dresdner Start-up nicht nur eine Reduktion der Kosten, sondern auch eine genauere Definition des Systems, da die Peptide vollsynthetisch hergestellt werden können. Die Abbildung der Matrix sei dennoch für die meisten Anwendungen akkurat genug.

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Komplexe Lizenzverhandlungen

Seit dem ersten Patent 2012 arbeiteten Hušman und Co. aktiv auf ein marktreifes Produkt hin. Den richtigen Anschub gab 2016 die EXIST-Forschungs­transfer­förderung in Höhe von 1,4 Millionen Euro. Die Förderung ermöglichte es dem gerade aus der Taufe gehobenen Unternehmen, ein Team aufzubauen und sich Vollzeit mit der Entwicklung ihrer Produkte zu beschäftigen. Finanziert werden die Dresdner derzeit hauptsächlich durch Investitionen des High-Tech-Gründerfonds und des Technologie­gründerfonds Sachsen. Allein tragen kann sich das Start-up noch nicht. Hušman: „Für den Life-Science-Markt braucht man einen längeren Atem. Wir konnten unseren Umsatz trotzdem jedes Jahr verdoppeln und haben mehr als 100 Kunden.“

Der Skalierung der In-house-Produktion sind natürlich Grenzen gesetzt, erklärt der Geschäfts­führer: „Unser eigentliches Ziel ist es, unsere Technologie an Partner­unternehmen zu lizenzieren.“ Bisher habe es auch schon Verhandlungen mit Interessenten aus der Pharmabranche gegeben, die nötigen Absprachen seien aber langwierig und komplex.

Überhaupt hat sich die Kundenbasis des Unternehmens in den letzten Jahren stark gewandelt, wie Hušman erzählt: „Zunächst hatten wir hauptsächlich Kundinnen und Kunden aus dem akademischen Bereich. Da war es auch zu Beginn einfach, Kontakte zu knüpfen.“ Mittlerweile liegt der Fokus auf industriellen Partnern, wie Firmen aus der Pharma- und Zellthera­peutika-Branche, die einen Großteil der rund 100 Kunden des Start-ups ausmachen. „Das ist auch mein Tipp an angehende Gründerinnen und Gründer: frühzeitig auf Firmenkunden setzen, da diese oft langfristigere und lukrativere Aufträge anbieten können”, ergänzt er.

Lukratives neues Geschäftsfeld

Die Dresdner Matrix-Experten haben bereits ein weiteres potenzielles Geschäftsfeld auserkoren: in vitro kultiviertes Fleisch – also Fleisch aus der Petrischale. „In diesen Sektor sind in den letzten vier Jahren etwa zwei Milliarden US-Dollar geflossen. Dort bietet unser Service viel Mehrwert, da man über tierische Stammzellen fernab der üblichen Verdächtigen noch wenig weiß.“

So wollen die geschäfts­tüchtigen Jungunter­nehmer nicht nur passende Beschichtungen für „fleisch­produzierende“ Stammzellen anbieten, sondern diese auch selbst isolieren. Damit ließe sich auch ein Beitrag zur Reduzierung der Folgen des Klimawandels leisten, trägt doch die Massen­tierhaltung nicht unwesentlich zu den Treibhausgas­emissionen bei. „Da gibt es gerade natürlich viel Hype. Allein in den letzten zwei Jahren sind etwa 100 neue Firmen entstanden. Aber unser Team ist extrem motiviert“, so Hušman. Die nächste Investment­runde sei bereits in Planung.

Tobias Ludwig

Das Labor von James Smith von der University of East Anglia in Großbritannien hat Cardiomyocyten auf einer Matrix aus Dresden zum Wachsen gebracht. Im Video sieht man die Zellen kontrahieren (LINK).

Bild: denovoMATRIX


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