Ungeplante
Regeneration

(25.08.2022) Auch ein zugelassenes Arzneimittel ist kein Garant für Erfolg. Das müssen die Brandenburger „Human Cell Experts“ von Co.don gerade erleben.
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Editorial

Im nächsten Jahr gäbe es ordentlich was zu feiern – 30 Jahre Firmenjubiläum. Aber ob die Co.don AG das noch erlebt? Anfang Juli hat das Zelltherapie-Unternehmen mit Hauptsitz im branden­burgischen Teltow beim Amtsgericht Leipzig Insolvenz angemeldet „wegen drohender Zahlungs­unfähigkeit“. Anfang August wurde dem stattgegeben, unter besonderen Bedingungen, nämlich „in Eigenverwaltung“. Das heißt: der operative Betrieb läuft mit der bisherigen Geschäfts­führung ganz normal weiter, allerdings unter den wachsamen Augen eines Sanierungs­beraters und eines gerichtlichen Sachverwalters. Die derzeit 142 Mitarbeiter erhalten ihr Gehalt außerdem für die nächsten drei Monate nicht aus dem Firmenetat, sondern von der Bundesagentur für Arbeit (Insolvenzgeld). Damit soll Zeit gewonnen werden, um neue Investoren oder Aktionäre (seit 2001 ist Co.don an der Börse) aufzutun. Der bisherige Hauptaktionär, der mit mehr als 50 Prozent an der Firma beteiligt war, ist im Juni überraschend abgesprungen.

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Verheißungsvoller Beginn

Dabei hatte einst alles so verheißungsvoll begonnen für die Brandenburger Zell-Spezialisten. Einst, das heißt: 1993. Da gründeten die beiden Biochemiker Olivera Josimovic-Alasevic und Karl-Gerd Fritsch die co.don GmbH in Teltow. Gemeinsam wollten sie Zellsysteme für die Wirksamkeits­prüfung von Medikamenten, Diagnostika für Knochen­erkrankungen und eine Knorpelzell-Therapie für die regenerative Medizin vermarkten. „Eigentlich ist das Geschäftsmodell von Co.don ganz einfach: Wir züchten Zellen“, beschrieb Fritsch damals Co.dons simple Strategie. Vier Jahre nach der Firmengründung, also 1997, flatterten die ersten fünfstelligen Fördersummen ins Haus. Das BMBF spendierte beispielsweise 800.000 Mark, eine halbe Million Mark kam aus dem „Biotech 2000“-Förderprogramm hinzu. Irgendwann konzentrierte man sich vollends auf die vielversprechende Zelltherapie. „Mit den Knorpelzell-Transplantaten sind wir Spitze“, hatte Josimovic-Alasevic festgestellt. Die Teltower waren sogar günstiger als die amerikanische Konkurrenz.

Mit der regenerativen Zelltherapie sollen Gelenkknorpel-Defekte des Knies repariert werden. Dazu entnimmt ein Arzt dem Patienten eine Blutprobe und aus dem betroffenen Gelenk gesunden Knorpel. In den Co.don-Laboren isolieren die Mitarbeiter aus der Gelenkprobe Chondrozyten und kultivieren bzw. vermehren diese gemeinsam mit dem Patienten-eigenen Blut. Nach einiger Zeit in Zellkultur formen sich Sphäroide, die dem Patienten zurück­transplantiert werden. Matrix-assoziierte Autologe Chondrozyten-Transplantation, kurz M-ACT, nennt sich das patentierte Verfahren. Innerhalb der nächsten 12 Monate produzieren die transplantierten Zellen im defekten Gelenk neues Knorpelgewebe. Obwohl mit 11.000 Euro teurer als beispielsweise der Einbau eines künstlichen Gelenks (9.000 Euro) wurde dem Verfahren vor allem auf lange Sicht ein günstiges Kosten-Nutzen-Profil attestiert (Arch Orthop Trauma Surg, LINK).

Editorial

Eigentlich erfolgreich

Seit Juli 2017 ist die Therapie unter dem Namen Spherox EU-weit zugelassen, seit März 2019 auch in der Schweiz. Im Mai 2022 gewährte die Europäische Kommission dem Arzneimittel sogar eine „unbefristete Verlängerung der Zulassung ohne zusätzliche Auflagen“. Auch für Jugendliche kam kürzlich die Zulassung. In einigen Ländern (zuletzt Belgien) ist die Therapie Kassenleistung. Man hatte also Grund für Optimismus und investierte hoffnungsvoll in einen zweiten Standort. Im letzten Jahr ging eine Produktions­anlage im industriellen Maßstab für humane Zellen in Leipzig an den Start. Dennoch. So richtig viel Geld scheint die Therapie bisher noch nicht abgeworfen zu haben. Oder hat man sich verkalkuliert? Zuletzt machte die Firma jedenfalls zehn Millionen Euro Miese. Und dann kam auch noch Corona.

Das Hauptproblem für die Brandenburger bzw. Sachsen: Krankenhäuser hatten mit COVID-19-Patienten alle Hände voll zu tun, Gelenk-OPs standen ganz weit unten auf der Dringlich­keitsliste. „Neben der durch die Umstände gegebenen erschwerten Arbeits­bedingungen für den Vertriebs­außendienst zeigen sich erste Auswirkungen durch das vom Bundes­gesundheits­ministerium erlassene Gebot der Nichtdurch­führung von sog. Elektiv­eingriffen (d.h. nicht zwingend notwendige Operationen). Diese Vorgabe führte im April bereits zu einem deutlichen Rückgang der Auftrags­eingänge im Vergleich zum Vorjahres­zeitraum“, heißt es in einer Pressemitteilung von Mai 2020. Mittlerweile sollten die Zellbestellungen langsam wieder eintrudeln.

Auf der Kippe

Mit Existenz-bedrohenden Problemen kennt sich die Firma aber aus. Vor rund zwanzig Jahren stand ihre Zukunft schon einmal auf der Kippe. Mehrere Millionen Euro Verlust ließen offenbar die Nerven blankliegen; es kam zum Richtungsstreit unter den beiden Gründern. Man machte sich gegenseitig Vorwürfe, Strafanzeige wurde gestellt, Fritsch kündigte schließlich fristlos und gründete 2006 ein neues Unternehmen (Fritsch Biopharm) mit ähnlicher Ausrichtung, das allerdings 2013 liquidiert wurde. Co.don gibt es noch. Wenn inzwischen auch die zweite Gründerin nicht mehr dabei ist, und auch der Vorstand alle paar Jahre gewechselt hat. Zuletzt übernahm Tilmann Bur 2019 das Co.don-Ruder.

Und an ihm liegt es nun, die Firma aus dem erneuten Schlamassel zu befreien, sie zu regenerieren, wenn man so will. Gespräche seien vielversprechend, man arbeite bereits an konkreten Umsetzungs­szenarien mit potenziellen Investoren, heißt es. Drei Monate hat man erstmal Zeit … bis Ende Oktober also. Können danach die Planungen für das 30-jährige Firmenjubiläum im nächsten Jahr beginnen?

Kathleen Gransalke

Bild: AdobeStock/mattjeppson


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