Ein Anker
für alle Fälle

(20.07.2022) Bei der Expansions­mikroskopie fixierte man Proteine und RNA bisher mit verschiedenen Anker­molekülen. Mit dem uniExM-Protokoll reicht eins.
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Editorial

Die Expansions­mikroskopie dreht das Prinzip der Vergrößerung um – nach dem Motto, dass der Berg auch zum Propheten kommen kann. Anstatt die Optik des Mikroskops immer weiter zu verbessern oder sich noch raffiniertere Superresolution-Tricks auszudenken, um Strukturen unterhalb der Abbeschen Beugungs­grenze von etwa 200 Nanometern auflösen zu können, wird die Probe ganz einfach physisch aufgebläht (siehe dazu auch „Lichtscheiben-Mikroskopie aufgeblähter Gehirne“ in LJ 5/2019).

Vorbild der Methode ist die Babywindel, dessen Substrat im Kontakt mit Wasser ein Vielfaches des ursprünglichen Volumens erreicht. Für die Proben­präparation muss man zunächst kleine Monomere zwischen den Zellstrukturen unterbringen, die dann zu einem Hydrogel polymerisieren, in das die Zellbestand­teile eingebettet sind. Saugt sich das Hydrogel anschließend mit Wasser voll, muss jedoch gewährleistet sein, dass die Zelle oder das Gewebe isotrop mitwächst – die Abstände der Strukturen sollten sich also schön gleichmäßig in alle Richtungen vergrößern.

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Gleichmäßiges Aufblähen

Dass dies tatsächlich der Fall ist, kontrollieren die Experimentatoren meist anhand einiger Proteine, die vor oder nach der Expansion mit einem Fluorophor markiert werden. Größere Protein­verbände werden vor der Expansion durch Enzyme aufgedröselt, damit das Aufblähen gleichmäßig vonstatten­geht; gegebenenfalls entfernt man mit chemischen Hilfsstoffen zusätzlich Moleküle, die für die Bildgebung uninteressant sind, damit diese das gleichmäßige Aufquellen nicht stören.

Und man benötigt einen Anker, der feste kovalente Bindungen zwischen Proteinen und dem Hydrogel herstellt. Diese Ankermoleküle fixieren gewissermaßen die einzelnen Punkte im „Koordinaten­system“, das sich anschließend ausdehnt. Bewährt haben sich Polyacrylamid-Gele als Matrix. Gibt man Wasser zu, expandieren die Gele und ziehen die mit den Ankern verknüpften Biomoleküle auseinander.

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Multifunktionaler Anker

Entsprechende Ankermoleküle gibt es nicht nur für Proteine, sondern auch für Nukleinsäuren. Insbesondere die Lokalisation der RNA liefert Antworten auf molekular- und zellbiologische Fragen. Zudem lässt sich RNA spezifisch mithilfe von Sonden per In-situ-Hybridisierung markieren. Noch aufschluss­reicher ist es, sowohl ausgewählte Proteine als auch mRNAs in derselben Probe zu beobachten.

Bislang waren jedoch zwei unterschiedliche Ankermoleküle nötig, um Proteine und RNA im Gel zu expandieren. Das Team des Expansions­mikroskopie-Pioniers Edward Boyden vom MIT in Cambridge, USA, suchte deshalb nach einem multifunk­tionalen Anker, der sowohl Proteine als auch RNA mit dem Gel verbindet. Die Gruppe nennt ihr neues Expansions­verfahren, das nur einen Anker benötigt, unified Expansion Microscopy oder kurz uniExM.

Herkömmliche Anker für RNA wie zum Beispiel LabelX und MelphaX müssen im Labor synthetisiert werden. Die Reaktions­bedingungen können hierbei etwas variieren, wodurch die Ergebnisse schwer zu reproduzieren sind. Oft werden Proteine und RNAs auch nicht in einem Rutsch verankert, sondern in zwei zeitlich getrennten Schritten. Bislang ist es daher schwierig, Proteine und RNA per Expansions­mikroskopie gleichzeitig sichtbar zu machen. Außerdem sind die üblichen RNA-verankernden Reagenzien teuer und kosten zwischen 70 und 7.500 US-Dollar pro Milligramm – macht aktuell etwa 40 bis 180 US-Dollar für einen typischen mit der Expansions­mikroskopie visualisierten Maushirn-Schnitt. Mit uniExM lassen sich die Kosten mindestens halbieren oder sogar bis auf ein Zehntel verringern, so die Angaben in dem Manuskript der Gruppe.

Nur ein Schritt angepasst

uniExM nutzt die von einem Epoxid abgeleitete Verbindung Epoxy­propyl­meth­acrylat (GMA) als Anker. GMA kostet nur 0,03 Cent pro Milligramm und verankert sowohl Proteine als auch RNA im Gel. Um den Effekt der Expansion beurteilen zu können, verglich die Gruppe GMA- und LabelX-Anker, etwa beim Imaging von Mikrotubuli in kultivierten HeLa-Zellen. Mit GMA erreichte das Team einen Expansions­faktor von 4,2 bis 4,4 – das entspricht der in der Expansions­mikroskopie gängigen Größen­ordnung. Die Forscher mussten nur den Veranke­rungs­schritt an das Expansions-Protokoll anpassen, alle anderen Schritte liefen wie üblich ab.

Eine Anwendung der Expansions­mikroskopie ist die Visualisierung von Neuronen und Synapsen (siehe dazu auch „Aufgeplusterte Zellen unter dem Nanoskop“ in LJ 6/2021). Boydens Mannschaft untersuchte zum Beispiel die Verteilung von beta-II-Spektrin in kultivierten Mausneuronen. Sie stellte fest, dass die Ultrastruktur des Proteins während der uniExM erhalten bleibt – das aus superauf­lösenden Mikroskopie­verfahren bekannte charakteristische periodische Muster war auch nach der Expansion sichtbar. Offensichtlich geht während der Verankerung durch GMA keine relevante räumliche Information verloren.

Unvoreingenommen sequenzieren

Vergangenes Jahr hatte die Gruppe auch die In-situ-Sequenzierung von RNA an die Expansions­mikroskopie adaptiert (Science, 371(6528): eaax2656). Mit dieser sogenannten Expansions­sequenzierung (ExSeq) kann man auch unvorein­genommen neue RNA-Sequenzen finden, also „untargeted“ sequenzieren: Die verwendeten Sonden enthalten zufällige Oktamer-Sequenzen und hybridisieren im Präparat dort an RNA, wo sie zufällig passen. Beim Umschreiben in cDNA verlängert sich die Information um Basen der RNA; die cDNA wird zirkularisiert, anschließend findet eine lineare „Rolling-Circle“-Amplifikation (RCA) statt. In jeder Runde, in der während der RCA eine Base zugefügt wird, lässt sich diese Base fluoreszenz­mikroskopisch sichtbar machen und das Signal lokalisieren. Verankerte die Gruppe die RNA mit GMA und führte dann eine ExSeq durch, stimmte die Anzahl der Spots mit den Daten aus anderen Experimenten überein. Das uniExM-Protokoll funktioniert also auch mit der ExSeq-Technik.

Mario Rembold

Cui Y. et al. (2022): A multifunctional anchor for multimodal expansion microscopy. BioRxiv, DOI: 10.1101/2022.06.19.496699

Bild: Pixabay/Miller_Eszter



Letzte Änderungen: 12.07.2022