Schleusen auf
für Aptamere

(06.07.2022) Das pflanzliche Zellwand-und-Membran-Bollwerk erschwert das Einschleusen von Molekülen. Knacken lässt es sich mit schwefelhaltigen Anhängseln.
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Editorial

Lebendes Gewebe molekular­biologisch zu manipulieren oder zu analysieren, heißt zuallererst einmal reinkommen, ohne etwas zu zerstören. Meist soll die Fracht in den Zellen landen – das tut sie aber selten von alleine, weil Ladung, Form und/oder Größe nicht dem zellulären Dresscode entsprechen. Noch verzwickter ist die Sache in Pflanzen, in denen zur Zellmembran noch die Zellwand als zusätzliche Barriere hinzukommt. Die quervernetzten Polysaccharide der Zellwand enthalten nur 5 bis 20 Nanometer große Schlupflöcher und das häufig in Pflanzen eingesetzte Gen-Taxi Agrobacterium tumefaciens ist nicht für alle Anwendungen geeignet.

Prinzipiell haben kleine Moleküle die besten Chancen ins Zellinnere zu gelangen. Hohes Potenzial haben Aptamere aus Nukleinsäuren, die nur wenige Nanometer messen, an Fluoreszenz­farbstoffe oder andere Moleküle konjugiert werden können und je nach Design unterschiedliche Funktionen erfüllen. DNA- oder RNA-Aptamere haben unendlich viele Möglichkeiten, sich zu falten und können beispielsweise als Mini-Sensoren natürliche Rezeptoren nachahmen. Per Systematic EvoLution and EXponential enrichment (SELEX) werden die gewünschten Aptamere aus riesigen DNA-Bibliotheken herausgefischt.

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Von Säugerzellen abgeschaut

Das Team des Aptamer-Spezialisten Yi Lu von der University of Illinois at Urbana-Champaign dachte sich eine Methode aus, mit der man Aptamere sehr elegant mithilfe von Thiolen beziehungs­weise Disulfid­bindungen in Pflanzenzellen einschleusen kann. Die Technik schaute sich die Gruppe von Säugerzellen ab, in denen man auf der Zellober­fläche sitzende Thiol-haltige Transport-Proteine nutzen kann, um Medikamente, Oligos, siRNAs et cetera über den sogenannten dynamischen kovalenten Disulfid-Austausch in die Zelle zu verfrachten. Dazu muss die Fracht aber Disulfid­bindungen enthalten.

Um diese in die Aptamere zu integrieren, synthetisierte Lus Team einen Helferstrang (SS-HS) aus 12 Nukleotiden mit einem kleinen Hexa-Ethylen-Glyol-Spacer sowie einer Kette aus 15 Disulfid-Einheiten am 3‘-Ende. Den Helferstrang hybridisierte die Gruppe mit dem Gegenstrang, der die eigentliche Funktion enthält. Bei ihrem ersten Test bestand dieser Strang aus 28 Nukleotiden, von denen die ersten 12 komplementär zum Helferstrang waren, sowie der Fluoreszenz­gruppe FAM, die an das 3‘-Ende konjugiert war (DNA-FAM).

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Signale aus dem Cytosol

Mit dem doppel­strängigen Oligo SS-HS/DNA-FAM infiltrierten die Forscher Pflanzenblätter. Nach 24 Stunden fluoreszierten Arabidopsis- und Tabakblätter 14- beziehungsweise 17-mal stärker als Blätter, die nur mit dem DNA-FAM-Oligo behandelt worden waren. Die Signale gingen vor allem vom Cytosol aus, der Thiol-basierte Transport schien also auch in Pflanzen zu funktionieren. Dass dem tatsächlich so ist, zeigten Experimente mit DTNB (5,5‘-Dithiobis-2-nitrobenzoe­säure), einem schwachen Inhibitor des Thiol-basierten Imports. Co-infiltierte Blätter fluores­zierten wesentlich schwächer als jene ohne DTNB. Auch die Aufnahme­kinetik war ganz ähnlich wie im tierischen System – wie bei HeLa-Zellen dauerte die Aufnahme ins Zellinnere etwa 10 Minuten.

Um Aptamer-Sensoren, antisense-RNAs oder andere DNA-Aptamere in Pflanzenzellen einzuschleusen, muss man das DNA-FAM-Oligonukleotid nur gegen ein entsprechendes Aptamer-Oligo austauschen, der Helferstrang bleibt unverändert.

Eine Anwendungs­möglichkeit demonstrieren die Forscher anhand einer Arabidopsis-Mutante (atsweet11;12) mit einer um den Faktor zwei erhöhten Glucose-Konzentration in den Blättern. In diesem Fall hybridisierte das Team den Helferstrang mit einem FRET-basierten Aptamer-Sensor für Glucose (SS-HS/GluS). Nach der Infiltration mit SS-HS/GluS zeigte die Mutante wesentlich schwächere FRET-Signale als der Wildtyp, was auf eine erhöhte Glucose-Konzentration hindeutete.

Andrea Pitzschke

Mou Q. et al. (2022): Efficient delivery of a DNA aptamer-based biosensor into plant cells for glucose sensing through thiol-mediated uptake. Sci Adv, 8(26):eabo0902

Bild: Pixabay/Bluesnap