Fische brauchen
keinen Rollstuhl

(27.06.2022) Mit diesem flotten Spruch beschreibt die Neurobiologin und Neu-Dresdnerin Catherina Becker die regenerativen Fähigkeiten der Flossentiere.
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Die Motorneuronen des Zebrafisch-Embryos wachsen in den Muskel hinein.

Editorial

Becker zog mit einer Humboldt-Professur von Edinburgh nach Deutschland an das Zentrum für Regenerative Therapien (CRTD) der TU Dresden, um dort weiter nach der Ursache für diese erstaunliche Eigenschaft zu suchen.

Wie kann der Fisch verletztes Rückenmark reparieren?
Catherina Becker [lacht]: Das ist noch nicht völlig klar.

Ist das ähnlich wie beim Axolotl?
Becker: Nein, das funktioniert anders. Der Axolotl stellt das ursprüngliche Gewebe wieder her. Bei einer Verletzung des Rückenmarks reagieren Menschen wie Fische damit, das Immunsystem zu aktivieren und an der betreffenden Stelle für eine Heilung zu sorgen. Die aber führt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Beim Mensch entsteht vor allem Narben­gewebe. Der Fisch schafft es, neue Nervenzellen wachsen zu lassen und die Funktion des Gewebes wieder herzustellen. Das regenerierte Gewebe sieht zwar nicht aus wie das Original, aber es funktioniert, er kann wieder schwimmen. Und darauf kommt es ja an.

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Also macht der Fisch echte Neurogenese?
Becker: Ja. Immunzellen, nämlich Makrophagen, senden an der verletzten Stelle Signale an Stammzellen und die antworten bei Fischen mit Neurogenese. Wir konnten einen Faktor identifizieren, der zur Neubildung von Nervenzellen beiträgt (Dev Cell, 56(11):1617-1630 & Development, 149(8):dev199907).

Was ist das für ein Faktor?
Becker: Es ist der Tumor­nekrose­faktor TNF, von dem bisher angenommen wurde, er würde die Entzündungs­reaktion verstärken. Er bindet direkt an Rezeptoren auf unseren Stammzellen und stellt ein pro-regeneratives Programm an. Nun wollen wir die Genregulation einzelner Zellen während der erzwungenen Neurogenese untersuchen: welche Gene sind für die Neurogenese nötig, wodurch werden sie aktiviert und was bewirken sie? Wir wollen das mit Einzelzell-Sequenzierung und ATAC-seq machen und haben dafür einen DFG-Antrag gestellt.

In Kürze: was ist ATAC-seq?
Becker: Eine Methode, mit der man das Chromatin analysiert und überprüft, welche Gene zum Ablesen „offen“ sind.

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Gab es einen konkreten Anlass, Schottland zu verlassen?
Becker: Nun, der Brexit-Beschluss veranlasste mich und viele andere Kollegen und Kolleginnen, mal öfter in die Stellen­anzeigen zu schauen. Schottland war ja mehrheitlich gegen den Brexit und die Arbeit am Centre for Discovery Brain Sciences der University of Edinburgh gefiel mir auch enorm gut.

Warum fiel die Wahl auf Dresden?
Becker: Das Umfeld und die Forschungs­interessen stimmen am CRTD und der TU Dresden – das ist das Wichtigste. Hier befassen sich viele Menschen mit ähnlichen Themen wie ich, der Neubildung von Nervenzellen und der Einbau dieser neuen Neurone in ein bestehendes Netzwerk, das ist ein gutes Umfeld für meine Forschung. Ich stand schon länger in Kontakt mit dem CRTD und so kam eines zum anderen. Darüber hinaus wird die Forschung noch durch die sehr gut ausgestatteten Technologie­plattformen unterstützt. So was gibt es natürlich auch im Ausland, aber die Plattformen dort – auch die in Edinburgh – sind nicht so eng mit der Forschung verbunden wir hier.

Das Gespräch führte Karin Hollricher

Bild: C. Becker (Neuronen) & TUD/M. Gonciarz (Porträt)


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