Regel-Mogeleien

(10.06.2022) Absurde Regeln provozieren Regelbrüche. Auch im Rahmen von Förderanträgen. Doch ab wann mutiert nachvollziehbares Rebellentum zu Fehlverhalten?
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Editorial

Bevor die Gelder eines bewilligten Förderantrags fließen, muss man einen gewissen Regelkatalog unterschreiben – unter anderem mit dem Ziel, dass man ja kein Schindluder mit den Fördermitteln treibe. Einige dieser Regeln können in der Praxis jedoch leicht zu gewissen Absurditäten führen…

Ein Beispiel neben anderen liefert die Umfragestudie „Normal Misbehavior: Scientists Talk About the Ethics of Research“ (J. Empir. Res. Hum. Res. Ethics 1(1): 43-50). Die drei US-Autoren zitieren darin einen Befragten – sinngemäß übersetzt – folgender­ma­ßen:

„Sagen wir, ich habe zwei verschiedene Grants. Jetzt muss ich zwei Flaschen der gleichen Chemikalie kaufen, weil ich etwas, das ich mit Geldern des einen Grants angeschafft habe, nicht für Projekte verwenden darf, die von einem anderen Geldgeber gefördert werden. Hätte ich also Grants von fünf ver­schie­de­nen Förderern, muss ich theoretisch auch fünf Flaschen der gleichen Chemikalie kaufen, wenn ich diese in allen fünf Projekten brauche. Und ich muss in allen fünf Fällen jedes Mal unterschreiben, dass der aufgewendete Betrag aus dem Topf mit denjenigen Mitteln stammt, der exakt für dieses eine Projekt bewilligt wurde. Womit ich wiederum umgekehrt bestätige, dass ich das Zeug auch ausschließlich für dieses eine Projekt kaufe und einsetze … Aber natürlich ist klar, dass ich das nicht so mache, selbstverständlich benutze ich ein und dieselbe Flasche in allen Projekten.“

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Wäre ja auch völlig verrückt, für jedes einzelne Projekt jeweils ein eigenes Set an Standard-Chemikalien wie etwa NaCl oder Agarose anzuschaffen. Und am Ende keine Flasche davon leer zu machen.

Abstruse Situationen

Natürlich steht diese Regel irgendwo unter vielen, die allesamt dazu dienen sollen, potenziellem Grant-Missbrauch vorzubeugen. Was ja tatsächlich ein gerechtfertigtes Ziel ist. Wenn die Einhaltung dieser Regeln allerdings in der Praxis wiederholt zu derart abstrusen Situationen führt, wie hier geschildert, dann dürfte man wohl eher etwas anderes erreichen: Dass die Betroffenen sich stets überlegen, wie sie sich um solche Regeln herummogeln können.

Entsprechend schlussfolgern auch die Autoren der Umfrage aus dem geschilderten und weiteren Beispielen:

„Es gibt zu viele solcher Regeln, klagten die Befragten. Nicht zuletzt deshalb versuche man immer wieder, sie zu umgehen – wobei man natürlich stets darauf achte, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten. […] Dennoch räumten sie ein, dass es angesichts dieser Fülle von Regeln hin und wieder doch auch zu tatsächlichem Fehlverhalten kommen kann – gerade weil sie viele davon als unnötig und zu weit gehend empfinden.“

Ralf Neumann

(Foto: Falk Mauersberger)

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