Wenn Papern
die Puste ausgeht

(27.05.2022) Immer mehr Paper heißt auch: immer mehr schlechte Paper. Was durch die kurzen Antrags- und Beschäftigungsperioden womöglich nochmal extra befeuert wird.
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Editorial

Wer kann noch wirklich umfassend Paper lesen? Es ist ja auch ein Kreuz, wie viel heute veröffentlicht wird. Und in welchem Tempo. Oftmals bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich zähneknirschend auf die Artikel zu beschränken, die man für die eigenen Projekte unbedingt kennen muss.

Zumal die Schlagzahl weiter erhöht wird: Paper erscheinen inzwischen nicht mehr nur gedruckt und in regelmäßigen Abständen, sondern immer öfter und jederzeit als „Epub ahead of print“. Oder gar nur online. Oder werden vorweg als Preprint rausgehauen. Da kann es leicht passieren, dass, bis man eine Arbeit wirklich eingehend studiert und verstanden hat, schon wieder fünf neue erschienen sind.

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Doch wie kommt‘s? Sicher, es gibt heute mehr Forscher als jemals zuvor. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Auch jeder einzelne Forscher publiziert heute deutlich häufiger als noch vor etwa dreißig Jahren.

Bessere Geräte? Bessere Methoden? Better Brains? Mag im Einzelfall ja alles sein.

"Muss vorher noch raus"

Doch eventuell kommt noch was ganz anderes hinzu. Denn wer wirklich (!) Paper liest, wird heute wohl auch öfter folgendem Phänomen begegnen: Ein Paper fängt stark an, bringt drei, vier überzeugende Abbildungen, man wartet als Leser nur noch auf den entscheidenden Clou … Doch dann bricht es unvermittelt ein, die letzten zwei, drei Datensätze passen zwar irgendwie, machen die Story aber nicht rund – und geben vor allem nur eine allenfalls wachsweiche Antwort auf die anfangs formulierte Frage.

Was ist passiert? Hat da am Ende jemand einfach nicht mehr die nötige Zeit gehabt?

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Erfahrene Forschungshaudegen wissen: Oft ist das tatsächlich so. Eine Frist läuft ab, und irgendwas „muss vorher noch raus“. Damit der Doktorand zusammenschreiben kann, damit der Postdoc zur nächsten Zeitstelle wechseln kann, damit der Folgeantrag des Projekts kurz vor Toresschluss noch aufgepeppt werden kann, ...

Ohne starkes Ende

Dass der letzte Kick für die Story dann meist noch fehlt, ist allen bewusst. Doch was soll man machen in diesen Zeiten asthmatischer Vertragslaufzeiten und Bewilligungsperioden? Und so wird der richtige Zeitpunkt für ein Paper heute umso stärker durch Karrierezugzwänge und hektische Antragsrhythmen vorgegeben – statt durch die Zeit, die ein Projekt einfach braucht, um es sauber und überlegt zu einem starken Ende zu bringen.

Unter dem Druck verzichtet man also schweren Herzens auf das „starke Ende“. Vielmehr nimmt man die Daten, die man bis dahin hat, und verpackt sie wortgewaltig, so gut es geht. Dies durchaus mit schalem Geschmack im Mund, was hätte man mit etwas mehr Zeit schließlich für ein Paper machen können… Aber egal, jetzt zählt vor allem, dass die Gutachter das Ding irgendwie akzeptieren – und zur richtigen Zeit ein Paper mehr in Antrag oder CV steht.

Sicherlich auch ein Grund, weswegen immer mehr und immer schneller publiziert wird. Und auch, warum immer schlechter.

Ralf Neumann

(Foto: iStock / AntonioGuillem)

 

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