Eine europäische Wolke
fürs Datenteilen

(19.05.2022) Seit 2015 schwebt sie über uns. Nun befindet sich die European Open Science Cloud „in der Anfangsphase ihrer Umsetzung“, berichtet Dale Robertson.
editorial_bild

Editorial

Die European Open Science Cloud (EOSC) bietet europäischen Forschern, Unternehmen und Bürgern eine föderierte und offene, multidiszi­plinäre Umgebung, um bereits vorhandene Datensilos zu vernetzen und auszuschöpfen. Mit der Cloud können Nutzer Daten, Werkzeuge und Dienste zu Forschungs-, Innovations- und Bildungs­zwecken selbst veröffentlichen und/oder nach ihnen suchen. Wir sprachen mit Dale Robertson, der EOSC-Liaison-Managerin der EGI Foundation, die die Service-Plattform für die EOSC zur Verfügung stellt.

Warum brauchen wir die EOSC?
Dale Robertson: Die EOSC trägt dem Aufkommen von Big Data in der wissen­schaftlichen Forschung Rechnung. Es besteht der Wunsch, das Potenzial dieser Daten besser zu nutzen, sie über die ursprüngliche Forschung hinaus, für die sie erzeugt wurden, weiterzu­verwenden und sie mit anderen Datensätzen zu kombinieren. So können neue Forschungs­gebiete erschlossen werden, einschließlich solche multidiszi­plinärer Natur, und Kollabora­tionen in Europa und weltweit unterstützt werden. Es besteht auch der Wunsch, verwandte Daten für bereits bestehende Forschungs­fragen einfacher und schneller zu finden.

Editorial

Wie ist der aktuelle Stand der Initiative?
Robertson: Die EOSC begann als eine politische Initiative der Europäischen Kommission. Seit 2015, beginnend mit dem EOSC-Pilotprojekt und weiterführend mit dem EOSC-Hub-Projekt und anderen, haben eine Reihe von EU-finanzierten Projekten die Heraus­forderungen und Fragen im Zusammenhang mit disziplinen- und gemeinschafts­übergreifenden, grenzüber­schreitenden und multidiszi­plinären Forschungs­kooperationen untersucht. Mithilfe dieser Projekte sollte herausgefunden werden, was für den Aufbau einer minimal lebensfähigen EOSC erforderlich ist. Die Initiative befindet sich nun in der Anfangsphase ihrer Umsetzung. Die EOSC hat bereits zahlreiche Dienste aufgenommen, die Forschern zur Unterstützung ihrer Arbeit angeboten werden.
Das aktuelle Vorzeigeprojekt ist das von Horizon 2020 finanzierte Projekt „EOSC Future“. Seine „Data-in-Action“-Projekte zielen darauf ab, die Rolle der EOSC in jeder Phase des Forschungs­prozesses aufzuzeigen. In der Kategorie „Gesundheit“ untersuchen die Projekte die Dynamik biologischer Prozesse, den Nachweis von Biostrukturen, die Abbildung von COVID-19-Daten in der EOSC sowie die Auffindbarkeit und Interopera­bilität von COVID-19-Metadaten. Die Projekte sollen die Integration von Forschungs­daten und -diensten über wissenschaftliche Disziplinen hinweg demonstrieren und vorantreiben.

Gibt es weitere Projekte zur Förderung der EOSC?
Robertson: Sehr wichtig sind unter anderem die fünf sogenannten Wissenschafts­cluster-Projekte – darunter „EOSC-Life“, das einen offenen, digitalen und kollaborativen Raum für die biologische und medizinische Forschung schaffen will. Die Projekte zielen darauf ab, die Forschungs­gemeinschaften in diesen verwandten Disziplinen zur Zusammen­arbeit in einer größeren Gemeinschaft zu bewegen. Die EOSC wird dieses Konzept noch einen Schritt weiterführen, indem sie sich mit der Zusammen­arbeit zwischen den teilnehmenden Clustern befasst.

Editorial

Wie unterstützt die EOSC diese Kooperationen?
Robertson: Derzeit können Daten bereits innerhalb von Forschungs­gemein­schaften genutzt werden. Die EOSC wird die Infrastruktur schaffen, die die Nutzung von Forschungs­daten von außerhalb dieser Gemeinschaften technisch, organisatorisch, politisch und finanziell unterstützt. Bei einem solchen Unterfangen ist die Interope­rabilität natürlich sehr wichtig. Im Rahmen des Projekts „EOSC Future“ wird ein Interopera­bilitäts­rahmen entwickelt. Es sollen dabei bestehende Normen und Protokolle genutzt und keine neuen Normen geschaffen werden.

Wer „leitet“ die EOSC?
Robertson: Die im Jahr 2020 gegründete EOSC Association ist die juristische Person, die die EOSC leitet. Mit ihren über 200 Mitgliedern und Beobachtern setzt sie sich dafür ein, die EOSC-Initiative Wirklichkeit werden zu lassen.

Was ist die Funktion des EOSC-Hubs?
Robertson: Das dreijährige, von Horizon 2020 finanzierte EOSC-Hub-Projekt lief bis Dezember 2020 und war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der EOSC. Es brachte Dienstanbieter zusammen, um die Fragmen­tierung zu verringern und den Zugang zu einem breiten Portfolio von Forschungs­daten, Dienstleistungen und Software für die Forschung zu vereinfachen. EOSC-Hub baute auf den Arbeiten zur Entwicklung des EOSC-Portals auf. Es richtete einen Marktplatz für Dienst­leistungen für Nutzer ein sowie eine Reihe grundlegender Dienste für den Zugang zur EOSC und ihren Betrieb, ebenso ein digitales Innovations­zentrum (eine Plattform für die Zusammen­arbeit der Industrie mit der EOSC), bot Fortbildungs­kurse an und analysierte Geschäfts­modelle für die Aufrecht­erhaltung der EOSC in der Zukunft.
Über das „Early-Adopter“-Programm erhielt der EOSC-Hub Einblick in die Bedürfnisse der Forscher. Beispiele für teilnehmende Projekte waren „Towards an e-infrastructure for plant phenotyping“, „OpenBioMaps data management service for biological sciences and biodiversity conservation“ und „Integration of toxicology and risk assessment services into the EOSC marketplace“.

Wie können Forscher von EOSC profitieren?
Robertson: Derzeit sind über 300 Dienste, die auf nationaler, regionaler und institutioneller Ebene angeboten werden, über das EOSC-Portal zu entdecken. Dazu gehören auch einige Repositorien. In kleinem Rahmen können Forscher versuchen, Datensätze zu finden, die sie interessieren. Für eine groß angelegte Daten­föderation müssen jedoch noch viele Probleme gelöst werden, z. B. ein Mindestschema für Metadaten, das mit den vielen verschiedenen Disziplinen und Gemeinschaften kompatibel ist.

Wie können Forscher zur EOSC beitragen?
Robertson: Wissenschaftler können Daten zu ihren üblichen Repositorien beisteuern und ganz allgemein die Grundsätze und Praktiken der offenen Wissenschaft in ihrer Arbeit übernehmen und unterstützen. Darüber hinaus können sie sich an Diskussionen darüber beteiligen, wie diese Repositorien aufbereitet und über die EOSC verfügbar gemacht werden können und wie ihre Ressourcen in dieser föderierten Infrastruktur auffindbar, zugänglich, interoperabel und wieder­verwendbar gemacht werden können.

Was sind die nächsten geplanten Schritte in Bezug auf die EOSC?
Robertson: Die Arbeiten zur Umsetzung der EOSC werden fortgesetzt, indem die notwendigen Kernfunktionen implementiert und die Ressourcen weiter in den Marktplatz eingebracht werden, ein Interopera­bilitätsrahmen eingeführt wird, Regeln für die Teilnahme und Überwachung entwickelt werden, die Ausbildung und der Aufbau von Fähigkeiten unterstützt werden und die EOSC-Gemeinschaft von Interessen­gruppen und Mitwirkenden aufgebaut wird.
Die „EOSC Future“-Wissenschafts­projekte werden als Konzeptnachweis für gemeinschafts-, disziplinen- und grenzüber­schreitende Forschung dienen und auch die Hürden und Stolpersteine aufzeigen, die überwunden werden müssen, damit sich diese Art der Zusammenarbeit auf breiterer Basis entwickeln kann. Im Laufe der Zeit werden auch weitere Daten öffentlich geförderter Studien sowie die industrielle und kommerzielle Nutzung in die EOSC einbezogen. Mit der zunehmenden Etablierung der EOSC als Plattform für Zusammenarbeit und Innovation werden sich auch anspruchsvollere Fähigkeiten entwickeln.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Bild: Pixabay/Skitterphoto


Weitere Artikel zum Thema Datenbanken


- Es gibt noch viel zu tun

… im Kampf gegen Plastikmüll. Die Datenbank PAZy listet experimentell verifizierte Kunststoff-aktive Enzyme, von denen es weniger gibt als gedacht.

- Katalog des Lebens

50 Jahre ist es her, da saßen Forscher auf einer Wiese und ersannen die erste digitale, frei verfügbare Datenbank der Biologie: die Protein Data Bank.

- B.1.1.7, B.1.177 oder A.23.1

SARS-CoV-2 hat inzwischen so viele Mutationen, dass man schnell die Übersicht verlieren kann. Zum Glück gibt es gut sortierte Datenbanken.