Varianten täglich auf
dem Radar

(30.03.2022) Viele Web-Tools zur Überwachung von SARS-CoV-2 hinken der Entwicklung von Mutationen hinterher. CovRadar ist immer auf dem neuesten Stand.
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Editorial

Viren mutieren – das ist normal. SARS-CoV-2 ist da keine Ausnahme. Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie ist das Virus vielfach mutiert, um sich seinem neuen Wirt, dem Menschen, anzupassen. Manche dieser Mutationen verleihen dem Virus neue Eigenschaften, etwa eine höhere Übertrag­barkeit, was sich auf das Infektions­geschehen auswirkt. Mutationen können außerdem das Spike-Protein so verändern, dass es schlechter von Antikörpern erkannt wird. Solche Escape-Mutationen können dazu führen, dass das Virus der Erkennung durch das Immunsystem Genesener oder Geimpfter entgeht. SARS-CoV-2-Mutationen müssen daher kontinuierlich überwacht werden, um Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung entsprechend anpassen zu können.

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Millionen Sequenzen

Die molekulare Überwachung gelingt mithilfe der Genom-Sequenzierung. Die zunehmende Bedeutung von Sequenzier-Technologien bei der Pandemie­bekämpfung wird beim Vergleich der SARS-Epidemie in den Jahren 2002-2003 mit der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie deutlich: Im ersten Monat nachdem ein Coronavirus als verursachender Erreger der SARS-Epidemie identifiziert wurde, waren gerade einmal drei Genom-Sequenzen veröffentlicht. Innerhalb von drei weiteren Monaten immerhin schon 31. Zum Vergleich: Als die WHO am 11. März 2020 die SARS-CoV-2-Pandemie ausrief, waren bereits über 500 vollständige Genom-Sequenzen aus 39 Ländern bekannt. Der ständig wachsende Datensatz umfasst laut GISAID inzwischen mehr als 9,7 Millionen Sequenzen (Stand März 2022).

Die rasche Verfügbarkeit dieser enormen Datensätze deckte allerdings einen bioinfor­matischen Engpass auf. Denn die Analyse der riesigen Datenmengen erfordert effiziente Algorithmen, Rechen­leistung und bioinformatische Expertise. Um den Zugang auch für Nicht-Bioinformatiker zu ermöglichen, wurden zahlreiche Web-basierte Tools mit bereits vorverarbeiteten Daten entwickelt. Diese Tools konzentrieren sich allerdings primär auf bereits bekannte SARS-CoV-2-Linien und besorgnis­erregende Varianten (Variants of Concern). Neu auftretende Mutationen werden von den Tools vernachlässigt.

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Frühzeitige Identifizierung

Die interaktive und frei zugängliche Plattform CovRadar setzt genau hier an. Das Tool legt den Fokus auf einzelne Mutationen im Spike-Protein, wodurch neu aufkommende Mutationen frühzeitig, noch vor der Zuweisung eines formellen Varianten-Namens, identifiziert werden können.

CovRadar wurde Anfang 2021 von einem Forschungsteam des Hasso-Plattner-Instituts (HPI), des Robert-Koch-Instituts (RKI), der Universität Gießen sowie der Medizinischen Hochschule Hannover gestartet. Seitdem hat die Gruppe das Tool kontinuierlich verbessert und um zusätzliche Funktio­nalitäten erweitert.

Das in der Programmier­sprache Python geschriebene CovRadar besteht aus einer Analyse-Pipeline sowie einer interaktiven Webanwendung. Es ermöglicht die Analyse und Visualisierung von Millionen genetischer Virus-Sequenzen. Die Anwendung wird auf einem leistungs­starken Rechencluster des Deutschen Netzwerks für Bioinformatik-Infrastruktur gehostet.

Echtzeit-Überwachung

Die von CovRadar ausgewerteten Daten stammen unter anderem aus dem Deutschen Elektronischen Sequenzdaten Hub (DESH), in den alle sequen­zierenden Labore in Deutschland ihre Daten einspeisen. Zudem werden Daten des COVID-19 Data Portals verwendet, das vom European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI) betrieben wird. Jede Woche werden so Hundert­tausende neuer Genom-Sequenzen durch CovRadar analysiert – eine molekulare Überwachung beinahe in Echtzeit.

Bei der Analyse extrahiert CovRadar zunächst die relevanten Regionen mithilfe eines lokalen Alignments, erstellt dann ein Multiples Sequenz-Alignment und leitet daraus Konsensus-Sequenzen und Mutationen ab. Die Ergebnisse werden in einer interaktiven Webanwendung präsentiert, die durch unterschiedliche Filteroptionen eine vielfältige und flexible Darstellung bietet.

So zeigt eine interaktive Deutschland­karte die Verbreitung von Mutationen in verschiedenen Regionen an. Per Filter kann man sich die Häufigkeit und den zeitlichen Verlauf einer Mutation in einem bestimmten Test-Labor anzeigen lassen. Hierfür werden DESH-Daten verwendet, die sowohl die zeitliche als auch räumliche Darstellung auf regionaler Ebene ermöglichen.

Keine Konkurrenz

Zusätzlich zu dieser feinkörnigen regionalen Visualisierung kann man mithilfe von CovRadar das Auftreten neuer Mutationen auf internationaler Ebene beobachten. Ein sogenannter Position Converter erleichtert außerdem die Konvertierung zwischen Nukleotid- und Aminosäure-Sequenzen. Das ist besonders nützlich, wenn man in einem Multiplen Sequenz-Alignment gezielt nach bestimmten Mutationen aus der Literatur sucht.

Benutzer können ihre Ergebnisse bequem in Form von Tabellen oder Diagrammen herunterladen und für weitere Analysen verwenden. Zudem ist der Quellcode von CovRadar öffentlich zugänglich, sodass das Tool lokal installiert und für die Analyse zugangs­beschränkter Sequenzen verwendet werden kann.

Das Forschungsteam weist ausdrücklich darauf hin, dass CovRadar nicht entwickelt wurde, um mit bestehenden Tools zu konkurrieren. Es soll vielmehr durch den Fokus auf die räumliche und zeitliche Verteilung einzelner Mutationen im Spike-Protein sowie die zusätzlichen Analyse- und Darstellungs­optionen einen Mehrwert schaffen.

Mihaela Bozukova

Wittig A. et al. (2022): CovRadar: Continuously tracking and filtering SARS-CoV-2 mutations for molecular surveillance. BioRxiv, DOI: 10.1101/2021.02.03.429146

Bild: Pixabay/michaelqiao13591



Letzte Änderungen: 30.03.2022