„Die Lage lässt uns
keine Wahl“

(07.03.2022) Die Wissenschaft zieht mit Sanktionen nach und setzt Kooperations- und Aus­tausch­programme zwischen russischen und deutschen Forschern aus.
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Editorial

„The unprovoked attack against Ukraine, a democratic and independent country, is a blatant violation of international law and of core values of humanity.“ So schreiben die G7-Wissenschafts­akademien, darunter die Leopoldina, in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine. Bereits einige Tage zuvor hatte die Allianz der Wissenschafts­organisationen – ein Zusammenschluss von Deutscher Forschungs­gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschul­rektorenkonferenz, Max-Planck-Gesellschaft und anderen – den Angriff ebenfalls in einer Stellungnahme verurteilt. „Die Allianz sieht in der russischen Invasion einen Angriff auf elementare Werte der Freiheit, Demokratie und Selbst­bestimmung, auf denen Wissenschafts­freiheit und wissen­schaftliche Kooperations­möglichkeiten basieren.“ Der Krieg wird also auch in der Wissenschaft nicht ohne Konsequenzen bleiben.

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Förderung ausgesetzt

Unter anderem haben die EU und in Deutschland die DFG beschlossen, europäisch-russische bzw. deutsch-russische Projekte zunächst auf Eis zu legen. Laut Mariya Gabriel, der EU-Kommissarin für Forschung und Innovation, werden jegliche Zahlungen an russische Einrichtungen eingestellt. Die EU wird außerdem keine neuen Kooperations­projekte mit russischen Universitäten, Forschungs­einrichtungen und Firmen eingehen. Vier Horizon-Europe-Projekte mit russischer Beteiligung, die kurz vor der Unterzeichnung des Förder­vertrags standen, müssen in die Warteschleife.

Zu Sanktionen greift auch die Deutsche Forschungs­gemeinschaft. Sie setzt „mit sofortiger Wirkung“ alle DFG-geförderten Forschungs­projekte mit russischer Beteiligung aus. Neue Förderanträge und Fortsetzungs­anträge werden momentan nicht angenommen. Was bedeutet das für die deutschen Projektpartner? Es sollen weder Daten, noch Proben, Geräte oder anderes Material ausgetauscht werden. Gemeinsame Veranstaltungen soll es ebenfalls nicht geben. Die DFG weist jedoch darauf hin, dass nur die Finanzierung des russischen Anteils gestoppt wird, die deutschen Projektanteile werden weiterhin gefördert. In den letzten drei Jahren hat die DFG mit über 110 Millionen Euro mehr als 300 deutsch-russische Projekte finanziell unterstützt.

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Anderes Zielland

Wichtig zu wissen: „Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler, die aktuell ein Auslands­stipendium für die Ukraine oder Russland beantragt haben, können ihre Anträge ändern und andere Zielländer angeben. Bereits bewilligte Stipendien sollen nicht angetreten werden. Laufende Stipendien können in Inlands­stipendien oder -stellen umgewandelt werden; auch hier besteht die Möglichkeit, in ein anderes Land zu wechseln.“

Auch beim Deutschen Akademischen Austauschdienst können sich Interessierte derzeit nicht um ein Russland-Stipendium bewerben. Außerdem können diejenigen, die bereits eine Zusage erhalten haben, nicht gefördert werden. „Wir wissen, dass dieser Schritt auch Ungerech­tigkeiten schafft und zahlreiche Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende trifft, die sich für friedliche und rechts­staatliche Verhältnisse sowie gutnachbar­schaftliche Beziehungen einsetzen“, so DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee.

Tatsächlich haben mehrere tausend russische Wissenschaftler in einem offenen Brief bereits gegen den Krieg deutlich Stellung bezogen. „Die Verantwortung für die Entfesselung eines neuen Krieges in Europa liegt allein bei Russland. Es gibt keine vernünftige Rechtfertigung für diesen Krieg“, schreiben sie. „Durch die Entfesselung des Krieges hat sich Russland selbst zur internationalen Isolation, zur Position eines Pariastaates verurteilt. Das bedeutet, dass wir Wissen­schaftler nicht mehr in der Lage sein werden, unsere Arbeit richtig zu machen: Wissen­schaftliche Forschung ist ohne eine umfassende Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Ländern nicht denkbar.“

Manuskript abgelehnt

Die nun verhängten Sanktionen seitens der EU und der Förder­organisationen werden auch diese Wissenschaftler treffen, das ist klar. „Die aktuelle Lage lässt uns aber leider keine Wahl“, so der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Martin Stratmann in einem persönlichen Statement.

Dass solidarisch gemeinte Sanktionen manchmal auch über das Ziel hinausschießen, zeigt das Beispiel eines russischen Forscherteams. Die Chemiker hatten ein Manuskript eingereicht und bekamen diese Antwort aus dem Journal-Editor-Büro: „I have to inform you that the editors of the Journal of Molecular Structure made a decision to ban the manuscripts submitted from Russian institutions. You must know that it is a ban on Russian institutions and not a judgment on scientists. Therefore I cannot accept the manuscript“. Auf Retraction Watch betont der zuständige Editor nochmals in einem längeren Statement „that the decision we took does not apply to Russian citizens, but to Russian institutions.“ Berichtet hatte über diesen Vorfall unter anderem Anna Abalkina auf Twitter (Laborjournal sprach mit ihr kürzlich über sogenannte „Hijacked Journals“).

Auf der anderen Seite gibt es aber auch zahlreiche Unterstützungs- und Hilfsprogramme. Die DFG etwa verweist auf ihre Initiative für geflüchtete Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler. „Hierbei soll den Geflüchteten mit einer kurzfristigen Integration in das deutsche Wissenschafts­system die Kontinuität ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ermöglicht werden.“ Das Angebot gilt für ukrainische und russische Wissenschaftler.

Laborplatz für ukrainische Forscher

Martin Stratmann richtet sich direkt an die rund 80 ukrainischen Forscher, die an Max-Planck-Instituten tätig sind: „Bitte geben Sie uns Bescheid, wo und wie wir unterstützen können.“

Und auch europaweit rücken Forscher derzeit enger zusammen. Unter diesem Link können sich alle Labore eintragen, die Platz haben für ukrainische Wissenschaftler in Not. Jeder kann sein Labor hinzufügen, schreibt etwa ETH-Zürich-Forscher Johannes Bohacek auf Twitter.

Einen guten Überblick darüber, welche Uni, welches Institut oder Labor Hilfe und Unterstützung für ukrainische Forscher und Studenten anbietet, liefert die Website https://scienceforukraine.eu/. In ganz Europa listet sie Unterbringungs- oder Forschungs­möglichkeiten auf. So bietet derzeit die Arbeitsgruppe Neurogeriatrie am Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel jedem ukrainischen PhD-Studenten oder Postdoc einen Forschungs­aufenthalt von 6 Monaten an. Die Gruppe übernimmt Reise- und Unterhalts­kosten vor Ort und natürlich auch alle Kosten, die während der Forschungsarbeit anfallen.

Auch wenn es derzeit manchem schwerfällt, ist es wichtig, nicht alle Kontakte zu russischen Partnern abzubrechen, meint Peter-André Alt, Präsident der Hochschul­rektorenkonferenz. „Persönliche Beziehungen sind sehr wichtig“, sagt er ScienceBusiness. Deutsche Forscher sollen weiterhin mit ihren russischen Kollegen reden, Informationen austauschen und die wissen­schaftlichen Sanktionen erklären.

Kathleen Gransalke

Bild: AdobeStock/Feydzhet Shabanov


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Letzte Änderungen: 07.03.2022