Prall gefüllte
Impfstoff-Pipeline

(22.02.2022) Über 300 SARS-CoV-2-Vakzine sind in der Entwicklung. Welche sind das? Und brauchen wir die alle überhaupt?
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Editorial

Stichtag 14. Januar 2022: Es mangelt nicht an SARS-CoV-2-Impfstoffen. Laut der Website „COVID-19 Vaccine Tracker“ sind 33 Impfstoffe in 197 Ländern zugelassen, fünf davon in der EU. Die Weltgesund­heitsorganisation WHO zählt 339 Vakzin-Entwicklungs­projekte. Rund 140 befinden sich in verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung. „COVID-19 Vaccine Tracker“ verzeichnet sogar 174 Kandidaten. In der Phase 3 sind demnach 65 Wirkstoffe unterschied­lichen Typs, nämlich 26 Protein-Untereinheiten-Impfstoffe, 2 VLPs (Virus Like Particles), 4 DNA- sowie 9 mRNA-Vakzinen, 9 Kandidaten mit nicht-replizierenden und 2 mit replizierenden viralen Vektoren sowie 13 inaktivierte Viren (Totimpfstoffe). In Deutschland stehen Impfstoffe auf dem Prüfstand, die von BioNTech/Pfizer, den Unikliniken Hamburg-Eppendorf sowie Tübingen, der Radboud University, Janssen, Clover und ReiThera stammen.

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Zweiter Versuch

Und von CureVac. Der erste Kandidat der Tübinger Firma hatte in der klinischen Prüfung nicht den gewünschten Effekt gezeigt, was die Entwickler darauf zurück­führten, dass diese in einem Multivari­anten-Setting stattfand. Vielleicht war aber auch die Expression des Antigens nicht stark genug. Jetzt arbeitet das Unternehmen zusammen mit GlaxoSmithKline an dem Nachfolger CV2CoV. Im Gegensatz zu den mRNAs, die BioNTech und Moderna für ihre Vakzinen verwenden, enthält weder CVnCoV noch CV2CoV chemisch modifizierte Nukleotide. Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass fremde mRNA ohne modifizierte Nukleotide zelltoxisch wirken kann. Dies habe man aber bei CureVac nicht feststellen können, heißt es in einer E-Mail an Laborjournal.

Laut CureVac wurde das Konstrukt mit „spezifisch optimierten nicht-codierenden Regionen entwickelt, um eine verbesserte mRNA-Translation für eine verstärkte und verlängerte Protein­expression im Vergleich zum mRNA-Rückgrat der ersten Generation zu ermöglichen“. Tatsächlich induzierte der neue Impfstoff eine bessere Immunantwort in Makaken als die erste Version (Nature, 601:410-14).

Editorial

Neuartige Impfstoffe mit saRNA

Eine Steigerung der Immuno­genität des Impfstoffes im Verhältnis zur eingesetzten mRNA erwartet man von selbstrepli­zierenden mRNAs – sogenannten self amplifying (sa)RNAs. Diese Moleküle vervielfältigen die Antigen­sequenz mithilfe des Polymerase-Typs nsP1-4, der ebenfalls von der verimpften mRNA codiert wird. Die nsP1-4-Proteine bilden einen RNA-abhängigen RNA-Polymerase(RdRP)-Komplex, der die Antigen­sequenz kopiert, die man zwischen zwei flankierenden konservierten Sequenz-Elementen (CSE) positioniert hat. Damit erreicht man mit weniger eingesetzter Impf-RNA mehr Antigen-Produktion. saRNA-Impfstoffe gegen andere Infektions­krankheiten werden bereits in klinischen Studien geprüft. Die Idee ist nicht neu; schon 1994 entwickelten beispielsweise Peter Liljeström und Mitarbeiter vom Karolinska-Institut in Schweden eine sich selbst replizierende RNA zur Synthese des Influenza-Nukleo­proteins als Impfstoff (und auch BioNTech hatte anfänglich darüber nachgedacht für seinen SARS-CoV-2-Impfstoff).

Einen Impfstoff, den man als Tablette verabreichen kann und der zusätzlich zur B- und T-Zell-Antwort eine IgA-Produktion in den Schleimhäuten auslöst, dem ersten Angriffsziel von Coronaviren, entwickelt die israelische Firma MigVax. Ihr Ziel: Die Infektion und somit die Weitergabe von Viren vom ersten Kontakt an zu unterbinden. Der Impfstoff enthält neben der RBD des Spike-Proteins auch zwei Domänen des N-Proteins und als Adjuvans, das speziell eine IgA-Antwort auslöst, das hitze­empfindliche Enterotoxin B (LTB). In Tests mit Mäusen und Ratten induzierte MigVax-101 tatsächlich eine IgA-Antwort (Vaccine, 40(8):1098-1107).

Günstige Impfstoffe für die Welt

Einen ganz anderen Weg beschritt ein Team um Maria Elena Bottazzi und Peter Hotez, beide Co-Direktoren am Texas Children’s Hospital Center for Vaccine Development in den USA: Die Forscher entwickelten mit einer traditionellen Technologie einen wirksamen und günstigen Protein-Unter­einheiten-Impfstoff namens Corbevax. Er enthält eine Version der RBD des Spike-Proteins, Version Wuhan, sowie Aluminium­hydroxid und CpG 1018 als Adjuvantien (Protein Expr Purif, 190:106003).

Nach Angaben des Herstellers Biological E. Limited (BE) in Hyderabad (Indien) habe die Phase-3-Prüfung mit 3.000 Probanden eine neunzig­prozentige Schutzfunktion gegen sympto­matische Infektionen mit der Wuhan-Virus-Variante und einen über achtzig­prozentigen Schutz gegen Infektionen mit der Delta-Variante ergeben. Genauere Zahlen wurden noch nicht veröffentlicht. Die Immunreaktion sei nachhaltig, sechs Monate nach der Impfung sei der Antikörpertiter nur um dreißig Prozent gefallen – im Vergleich zu über achtzig Prozent bei der Mehrheit der anderen Impfstoffe. Er wird in der Hefe Pichia pastoris produziert, ähnlich wie bereits seit langem verimpfte Hepatitis-B-Impfstoffe.

Neben diesem sind etliche weitere Protein-Unter­einheiten-Impfstoffe in der Pipeline, in klinischen Prüfungen, im Genehmigungs­verfahren oder schon zugelassen. Das Produkt von Novavax erhielt von der EMA bereits das „Okay“, in den Vereinigten Arabischen Emiraten kann man sich einen Protein-Unter­einheiten-Impfstoff von Sinopharm als Booster geben lassen.

Braucht man so viele Impfstoffe?

In diesem Jahr werden wir die Ergebnisse vieler weiterer Impfstoffstudien sehen und können weitere Zulassungen erwarten. Die zu Beginn erwähnten 65 Kandidaten befinden sich in der letzten Phase ihrer klinischen Prüfung. Aber benötigen wir eigentlich so viele Impfstoffe? Nein, meint Peter Kremsner vom Institut für Tropenmedizin in Tübingen. Gegenüber der WELT erklärte er: „[…] Wir brauchen keine neuen Corona-Impfstoffe mehr. Wir haben bereits genug und darunter auch sehr gute, die jederzeit an neue Varianten schnell angepasst werden können, wenn nötig.“

Dieser Meinung mag sich vermutlich nicht jeder anschließen, besonders nicht die Entwickler und Hersteller. Nicht nur möchte jeder ein Stückchen vom Kuchen abhaben, es besteht auch weiterhin Bedarf. Beispiels­weise ist keiner der bisher zugelassenen Impfstoffe in der Lage, vor einer Infektion zu schützen. Ein Impfstoff, der dafür sorgt, dass der Erreger schon im Nasen-Rachen-Raum bekämpft beziehungs­weise abgewehrt wird, würde helfen, die Infektions­ketten zu unterbrechen. Womöglich sind neue Impfstoffe wirksamer, vermutlich benötigen wir an Varianten angepasste Produkte.

Und schließlich: Konkurrenz belebt den Markt. Von fallenden Preisen könnten vor allem die Einwohner weniger reicher Länder profitieren. Solche Fragen muss man beantworten, solche Gedanken muss man durchspielen, bevor man die Impfstoff-Entwicklung einbremst.

Karin Hollricher

Bild: iStock/akindo

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 1-2/2022.


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Letzte Änderungen: 22.02.2022