Interferonopathien –
Zu viel des Guten

(21.02.2022) Interferone gebieten Viren Einhalt. Läuft die Produktion des Cytokins aus dem Ruder, kommt es zu schwer­wiegenden Entzündungen im Gehirn.
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Editorial

Typ-I-Interferone (INF) orchestrieren maßgeblich die Immun­antworten zur Abwehr von viralen Infektionen. Produziert werden sie von Zellen des angeborenen Immunsystems, nachdem Bestandteile von Viren, häufig Nukleinsäuren, an sogenannte antivirale Muster­erkennungs­rezeptoren im Inneren der Zelle gebunden haben. Oft handelt es sich dabei um Toll-like Rezeptoren (TLR) des endolyso­somalen Systems. Das gebildete Interferon aktiviert wiederum die Transkription verschiedener Effektor-Gene, deren Produkte letztlich die Vermehrung der Viren unterdrücken.

Dabei wird wieder einmal deutlich, dass der Körper Immun­reaktionen fein ausbalancieren muss: Eine übermäßige Bildung von IFN führt zu ausgeprägten Entzündungs­reaktionen, die Organe schwer schädigen können. Besonders gefährlich kann das während einer Schwangerschaft sein. Bei einer Infektion der Mutter und des ungeborenen Kindes mit dem Cytomegalie­virus (CMV) können entzündliche Immunzellen in das Gehirn des Kindes einwandern und nach der Geburt zu kognitiven Einbußen, epileptischen Anfällen und Spastiken führen.

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Vererbte Überproduktion

Ein ähnliches Symptom­spektrum zeigen auch einige genetisch bedingte Krankheiten, die mit chronisch erhöhter IFN-Produktion einhergehen. Bei diesen Interferono­pathien aktivieren körpereigene Nukleinsäuren die viralen Muster­erkennungs­rezeptoren. Die defekten Gene codieren deshalb vor allem für Enzyme, die Nukleinsäuren modifizieren oder abbauen. Der Prototyp einer Interferono­pathie ist das Aicardi-Goutières-Syndrom, bei dem der Typ-I-Interferon-Überschuss zu Autoimmun­reaktionen im Zentral­nervensystem führt. Viele Gene, die mit dem Syndrom im Zusammenhang stehen, codieren für Nukleasen.

Ähnliche Symptome zeigt die mono­genetische cystische Leukoenze­phalopathie, die allerdings sehr selten ist und erst 2009 von Kinderärzten der Universitäts­medizin Göttingen beschrieben wurde. Ursächlich ist hier ein Mangel an der Nuklease RNAseT2, die mit den RNasen A und T1 zur Endoribo­nukleasen-Familie gehört. Ihre Aufgabe ist wahrscheinlich der Abbau von mitochondrialer RNA in den Endosomen. Die dabei entstehenden kurzen RNA-Bruchstücke aktivieren zum einen TLR8-Muster­erkennungs­rezeptoren, führen aber durch den fehlenden Abbau durch die RNAseT2 auch zur Aktivierung weiterer, sonst nicht involvierter Muster­erkennungs­rezeptoren. Bereits im ersten Lebensjahr entwickeln die Betroffenen psycho­motorische Entwicklungs­störungen, Spastiken und Epilepsie.

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Neues Mausmodell

Zur Erforschung des Aicardi-Goutières-Syndroms existieren bereits verschiedene Mausmodelle. Keines von ihnen zeigt jedoch die typischen Entzündungen im Zentral­nervensystem, die für die humane Erkrankung so charakteristisch sind. Ein Ärzteteam um Matthias Kettwig und Jutta Gärtner der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitäts­medizin Göttingen hat deshalb ein neues Mausmodell etabliert, das die Situation der cystischen Leuko­enzephalo­pathie besser abbildet. Dafür wurden mithilfe der Genschere CRISPR-Cas die beiden Orthologe Rnaset2a und Rnase2b auf Chromosom 17 ausgeschaltet, sodass keine RNaseT2 mehr gebildet werden konnte.

Die Knockout-Mäuse unterschieden sich bis zu einem Alter von drei Wochen nicht von Wildtyp-Mäusen. Mit zehn Wochen zeigten sich erste Veränderungen, etwa eine Zunahme der Leibesfülle durch das vermehrte Wachstum von Leber und Milz, und mit durchschnittlich 31 Wochen starben die Knockout-Mäuse deutlich früher als Wildtyp-Mäuse, deren Lebenserwartung bei etwa zwei Jahren liegt. Die Autopsie bestätigte, dass Leber und Milz stark vergrößert waren. Vor allem die Milz war zudem durch eine ausgeprägte Blutbildung außerhalb des Knochenmarks dunkelrot gefärbt.

Auffällige Veränderungen zeigte auch das Gehirn, das im Durchschnitt deutlich leichter war als bei Wildtyp-Mäusen. In alle Gehirnbereiche waren Immunzellen eingewandert, hauptsächlich entzündungs­fördernde CD8+-Lymphozyten und Monozyten, und als weiteres Anzeichen für eine Entzündung war die Blut-Hirn-Schranke für das Kontrastmittel der Magnet-Resonanz-Tomographie durchlässig. Eine Transkriptions­analyse zeigte weiterhin, dass in vielen Organen, aber vor allem im Gehirn, Gene aktiv waren, deren Expression von Typ-I-Interferonen induziert wird. Besonders von Entzündung und Atrophie betroffen waren der Cortex und der Hippocampus. Letzterer gilt als Sitz des Gedächtnisses. Dazu passt, dass die RNaseT2-defizienten Mäuse Schwierigkeiten dabei hatten, bekannte von unbekannten Objekten zu unterscheiden. Eine Einzelzell-Transkrip­tionsanalyse zeigte, dass nahezu alle Zelltypen des Gehirns von den Veränderungen betroffen waren. So verloren nicht nur die Nervenzellen ihre Funktions­fähigkeit – dasselbe galt für die Gliazellen, die wichtige Hilfsfunktionen im Nervensystem übernehmen.

IFN als Auslöser

Um zu überprüfen, ob die beobachteten Veränderungen wirklich auf die Ausschüttung von IFN zurückzu­führen waren, kreuzten die Forscher ihre RNaseT2-defizienten Mäuse mit solchen, denen das Gen für eine Untereinheit (INFAR1) des Interferon-Rezeptors fehlt. Selbst hohe Konzentrationen von IFN konnten so keine Effektor-Gene mehr aktivieren. Die entsprechenden Mäuse zeigten tatsächlich keine Anzeichen mehr für eine Entzündung im Zentral­nerven­system, und sie erreichten ein normales Lebensalter. Die Tatsache, dass nicht alle Veränderungen – insbesondere die gestörte Blutbildung und damit einhergehend die Vergrößerung von Leber und Milz – verschwanden, deutet allerdings darauf hin, dass es noch weitere, IFN-unabhängige Ursachen für den Phänotyp des Mausmodells geben muss.

Damit existiert nun zum ersten Mal ein Mausmodell, das das volle Spektrum der Symptome einer humanen Inter­ferono­pathie mit Beteiligung des Nervensystems darstellt. Bei Menschen, die an cystischer Leuko­enzephalo­pathie erkrankt sind, wird der TLR8-Rezeptor durch fehlende Liganden weniger aktiviert. Dass trotzdem mehr IFN ausgeschüttet wird, liegt vermutlich daran, dass die nicht ordnungsgemäß abgebauten mitochondrialen Nukleinsäuren andere Rezeptoren aktivieren. Welche dies sind, kann jetzt wie viele andere Fragen mithilfe des neuen Mausmodells untersucht werden. Insbesondere soll es auch helfen, neue Therapien zu entwickeln – für die cystische Leuko­enzephalo­pathie, aber auch für CMV-Infektionen des Ungeborenen.

Larissa Tetsch

Kettwig M. et al. (2021): Interferon-driven brain phenotype in a mouse model of RNaseT2 deficient leukoencephalopathy. Nat Commun, 12:6530

Bild: Pixabay/TheDigitalArtist


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