Aufschlussreiche
Ausscheidungen

(14.02.2022) Statt hinterherzuhinken, könnte man durch Abwasser-Monitoring SARS-CoV-2 einen Schritt voraus ein. Die flächendeckende Umsetzung braucht Zeit.
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Editorial

Seit mehr als zwei Jahren leben wir unter Pandemie-Bedingungen und trotz der Verfügbarkeit von wirksamen Impfstoffen sind die Inzidenz­zahlen in Deutschland zurzeit so hoch wie nie zuvor. Verschiedene Gründe machen es so schwer, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. So bleiben viele Infektionen unerkannt, weil die Infizierten keine Symptome aufweisen. Sie können aber trotzdem – so wie geimpfte Personen auch – das Virus übertragen und dadurch die Infektions­ketten aufrechterhalten.

Um geeignete Maßnahmen anordnen zu können, benötigen die Gesundheitsämter einen möglichst genauen Überblick über aktuelle Infektionszahlen und Verbreitung potenziell gefährlicher Virusvarianten. Diese Daten stammen weitgehend aus Material- und Personal-intensiven Individual­testungen, die überpro­portional Menschen mit Krankheits­symptomen erfassen. Da SARS-CoV-2 mit dem Stuhl ausgeschieden wird, gibt es aber auch eine vergleichsweise einfache und kosten­günstige Alternative: das infektio­logische Abwasser-Monitoring als Teil der Abwasser-Epidemiologie.

Editorial

EU-Empfehlung nicht umgesetzt

Der Ansatz, Abwässer zu nutzen, um die Ausbreitung von Infektions­krankheiten in der Bevölkerung zu überwachen, ist nicht neu. Einer seiner Vorteile ist, dass dadurch die gesamte Bevölkerung einschließlich der asympto­matisch Erkrankten erfasst wird. In der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie setzen bereits verschiedene Länder wie Schweden, die Niederlande und Italien auf ein flächen­deckendes Abwasser-Monitoring. Im Frühjahr 2021 empfahl sogar die Europäische Kommission seine Einführung in allen Mitglieds­staaten. In Deutschland wurde diese Empfehlung bisher nicht flächendeckend umgesetzt. Verschiedene Studien zeigen jedoch, dass Abwasser-Untersuchungen auch hierzulande dazu geeignet sind, Infektions­dynamiken zu verfolgen.

Metropolregionen, in denen sich Infektionen besonders schnell ausbreiten, können besonders von Abwasser-Analysen profitieren. In München fand ab März 2020 ein einjähriges Pilotprojekt unter der Leitung des Tropen­instituts des LMU Klinikums statt. Dazu wurden an sechs Stellen über das Stadtgebiet verteilt Abwasser­proben genommen, die mit 500.000 Einwohnern rund ein Drittel der Münchner Bevölkerung erfassten. Die Abwasser­proben wurden zur Feststoff­abtrennung filtriert und ultrazen­trifugiert; anschließend wurden virale Genome mittels reverser Polymerase-Kettenreaktion vervielfältigt und danach sequenziert (Sci Total Environ, 797:149031).

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Schneller als die Behörden

Die im Abwasser gemessene Viruslast korrelierte dabei gut mit den behördlichen Daten der 7-Tages-Inzidenz und hatte darüber hinaus prädiktiven Charakter wie Studienleiter Andreas Wieser vom Tropen­institut in einer Presse­mitteilung darlegt: „Durch die im Abwasser gemessene Viruslast haben wir die lokale Inzidenz für die Verbreitung von SARS-CoV-2 bereits drei Wochen früher festgestellt als in den Meldezahlen der Behörden, die auf der Analyse von Atemwegs­abstrichen basieren.“ Auch die Ausbreitung der Alpha-Varianten Anfang Januar 2021 in der Münchner Bevölkerung konnte so frühzeitig nachgewiesen werden.

In Berlin läuft seit Februar 2021 eine ähnliche Studie unter Leitung von Altuna Akalin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC). In Zusammen­arbeit mit den Wasser­betrieben werden Abwasser­proben aus vier Berliner Klärwerken untersucht. Die Ergebnisse werden mithilfe des computer­gestützten Werkzeugs „PiGx SARS-CoV-2“ grafisch so aufbereitet, dass sich Infektions­dynamik und Ausbreitung von zirkulierenden Virusvarianten zeitgleich an verschiedenen Orten verfolgen lassen. Ergebnisse der Analyse von 38 Proben aus dem Versuchs­zeitraum bis Juni 2021 wurden auf der Preprint-Plattform MedRxiv publiziert (DOI: 10.1101/2021.11.30.21266952).

Alpha, Delta und Omikron

Wie bei der Münchner Studie gab es eine signifikante Korrelation zwischen dem behördlich gemeldeten Inzidenzwert und der Viruslast im Abwasser mit einem zeitlichen Versatz von rund zwei Wochen. Zusätzlich ließ sich die Ausbreitung der Virus­varianten Alpha und Delta verfolgen. Laut Studienleiter Akalin werden derzeit Daten der zweiten Jahreshälfte für die Publikation vorbereitet. Eine Presse­mitteilung meldete vorab, dass auch der Aufstieg der Omikron-Variante frühzeitig verfolgt werden konnte. Und zwar alle beiden Subtypen: BA.1 und BA.2. „Die Daten zu BA.2 zeigen, wie empfindlich und effizient das Abwasser-Monitoring ist beim Bestimmen von Krankheits­erregern“, betont Markus Landthaler, der ebenfalls am Projekt des MDC beteiligt ist, in einer weiteren Pressemitteilung.

Auch im Großraum Leipzig wird seit Mai 2020 ein infektio­logisches Abwasser-Monitoring durchgeführt. „Aus dem deutsch­landweiten Projekt, das wir damals mit der DWA [Deutsche Vereinigung für Wasser­wirtschaft, Abwasser und Abfall] angeschoben hatten, haben sich unter dem Dach der DWA (COROMONI-Projekt) mehrere kleine dezentrale Initiativen in Deutschland entwickelt. Darunter ein vom Freistaat Sachsen finanziertes Projekt, das nach wie vor der TU Dresden und dem Helmholtz-Zentrum für Umwelt­forschung in Leipzig betrieben wird“, teilt uns die Pressestelle des UFZ auf Nachfrage mit.

Aktuell ist man beim COROMONI-Projekt dabei, Leitlinien zu erarbeiten und vor allem Betreiber von Abwasser­anlagen für das Projekt zu interessieren sowie Mitarbeiter für die korrekte Probennahme und den Transport zu schulen. Bis Ende des Jahres hat man sich zunächst dafür Zeit gegeben. Ziel ist, der „strategische Aufbau eines bundesweiten Abwasser-Monitoring­systems auf Grundlage der EU-Empfehlungen mit verhältnis­mäßigem Aufwand und überschau­barem Kostenrahmen“.

Praxistest auf dem Land

Dass nicht nur Metropolregionen, sondern auch eher ländlich geprägte Gegenden von einer Überwachung des kommunalen Abwassers profitieren könnten, zeigt eine Fallstudie der Technischen Universität München und des DVGW Technologie­zentrums Wasser (TZW) im Berchtesgardener Land, die von Jörg Drewes vom Lehrstuhl für Siedlungs­wasserwirtschaft koordiniert wird (Bundesgesundheitsbl, DOI: 10.1007/s00103-021-03425-7).

Der von Tourismus und Pendlern geprägte oberbayerische Landkreis im Grenzgebiet zu Österreich hatte als einer der ersten in der zweiten Pandemiewelle den Lockdown ausrufen müssen. Ab November 2020 ergänzte das Abwasser-Monitoring zur Früherkennung des lokalen Infektions­geschehens die Maßnahmen des Krisenstabs. Dafür wurden an zwei Tagen pro Woche an neun kommunalen Kläranlagen und an drei Standorten zusätzlich direkt aus der Kanalisation Proben genommen, die 95 Prozent der 106.000 Einwohner des Landkreises repräsentierten. Als SARS-CoV-2-Biomarker dienten vier spezifische Gene; der im menschlichen Darm verbreitete Bakteriophage CrAss wurde quantifiziert, um mögliche Verdünnungen durch Regenwasser herausrechnen zu können. Die Nachweisgrenze lag bei 2,5 Genkopien pro Milliliter Abwasser, was in etwa 20 Infizierten pro 100.000 Einwohner entspricht. Gemeinsam mit den amtlich erfassten COVID-19-Neuinfektionen speisten die Daten aus der Abwasser-Untersuchung ein digitales Dashboard, auf dessen Basis gezielte Maßnahmen ergriffen werden konnten. Da durch die Ergebnisse die Trendanalyse bereits 7-10 Tage vor den klinischen Fallzahlen möglich war, gelang es den Behörden in verschiedenen Fällen Ausbruchs­geschehen etwa durch private Feiern effizient nachzu­verfolgen und die Infektions­ketten durch geeignete Maßnahmen frühzeitig zu unterbrechen.

Sinnvolle Ergänzung

Das Abwasser-Monitoring soll nun bis Anfang 2023 fortgesetzt werden und gemeinsam mit ähnlichen Projekten, die in diesem Monat anlaufen, eine Entscheidungs­grundlage dafür liefern, ob das Verfahren in Deutschland flächen­deckend zum Einsatz kommen soll. Die Verant­wortlichen der Berchtes­gardener Studie sind davon überzeugt, wie sich ihrer Publikation von Oktober 2021 entnehmen lässt: „Eine rechtliche Verankerung der Abwasser-Surveillance als kosten­effiziente wie flächen­deckende Ergänzung zum individuellen Testen erscheint aus einer Public-Health-Perspektive sinnvoll.“

Nicht nur bei der gegen­wärtigen Corona-Pandemie, auch bei anderen Infektionswellen oder zur Überwachung von Antibiotika-Resistenzen könnte das infektio­logische Abwasser-Monitoring zukünftig eingesetzt werden. Welches der vielen Projekte sich letztlich durchsetzt, wird sich zeigen.

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/aitoff


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Letzte Änderungen: 11.02.2022