Die Freude ist
riesengroß
(27.01.2022) Doch die Schweizer Gewinner eines Starting Grants bekommen ihr Geld nicht – zumindest nicht vom ERC. Nachrücker können hoffen.
Für 397 Forscher und Wissenschaftlerinnen hat das Jahr 2022 mit hervorragenden Neuigkeiten begonnen. Sie haben einen der begehrten Starting Grants des Europäischen Forschungsrats gewonnen. Die Grants sind jedoch nicht nur begehrt, sondern auch heiß umkämpft. In dieser Runde lag die Erfolgsquote bei unter 10 %.
Insgesamt werden 619 Millionen Euro über die Gewinner ausgeschüttet. „Das beste Investment in unsere Zukunft“, ist sich ERC-Präsidentin Maria Leptin sicher. In den Lebenswissenschaften erreichten mehr als tausend Projektanträge den Forschungsrat, 111 Forscher, darunter etwas mehr Projektleiterinnen als -leiter, erhielten einen Positivbescheid.
Erst Abbruch, dann Ausschluss
Eine Besonderheit gab es in diesem Jahr jedoch. Und die betrifft die Schweiz, Denn offiziell ist die Schweiz seit letztem Jahr kein assoziiertes Drittland mehr, im Sinne des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizon Europe. Schweizer Forscher dürfen sich somit nicht mehr um EU-Forschungsgelder bewerben, sie sind ausgeschlossen. Dahinter stecken die zähen Verhandlungen über das sogenannte Rahmenabkommen, das die generellen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU klärt. Immer wieder kam es zu Verzögerungen und schließlich im Mai 2021 zum Abbruch der Gespräche seitens der Schweiz. Solange man sich hier nicht einig wird, sitzen Schweizer Forscher, was EU-Fördergelder angeht, auf dem Trockenen.
Bei der aktuellen Ausschreibungsrunde hat man jedoch, zumindest bei den Starting Grants und den Consolidator Grants des ERC, einen Ausnahme gemacht. Zum einen hatte die Bewerbungsphase längst begonnen und war bereits abgeschlossen, als die Verhandlungspartner unverrichteter Dinge auseinandergingen. Zum anderen lässt sich die Gastinstitution des Antragstellers auch noch bis kurz vor Abschluss des Grant Agreements ändern. Heißt: ein Schweizer Grant-Gewinner muss sich „nur“ eine neue Forschungsheimat in der EU suchen, um seinen Grant ausgezahlt zu bekommen. Nun ziehen die wenigsten Menschen gerne um und auch die Schweiz ist sicher nicht daran interessiert, ihre nachweislich exzellenten Forscher einfach so ziehen zu lassen. Deshalb springt sie oder vielmehr das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation selbst ein und übernimmt die Finanzierung der ERC-prämierten Projekte.
Stressiges Thema
Im Falle der Starting Grants betrifft das insgesamt 28 Wissenschaftlerinnen und Forscher, acht von ihnen beschäftigen sich mit lebenswissenschaftlichen Themen. So arbeitet etwa Katharina Gapp als Junior Group Leader in der Arbeitsgruppe von Johannes Bohacek an der ETH Zürich an den Auswirkungen von Stress auf den gesunden und kranken Organismus. „Ich untersuche, ob Stress Hormon-Rezeptor-Proteine in der männlichen Keimbahn zu einer Form von nicht genetischer, der epigenetischen Vererbung beitragen. Ultimativ hat das zum Ziel, Risikofaktoren für neuropsychiatrische Krankheiten zu ergründen und ihnen wenn nötig entgegenzuwirken“, beschreibt Gapp ihr ERC-Projekt mit dem bezeichnenden Titel „STRESSIG“.
Woher die Förderung letztlich kommt, ob vom ERC oder dem Schweizerischen Nationalfonds, spielt für Gapp keine große Rolle. „Unmittelbar macht es keinen Unterschied für mich, da das Projekt hier gut durchführbar ist. Die ETH hat dazu eine exzellente Infrastruktur und bietet ein tolles intellektuelles Umfeld, respektive Kollaborationen etc.“, schreibt sie uns in einer E-Mail. „Karrieretechnisch könnte es sich jedoch längerfristig nachteilig auswirken, da man auf dem Jobmarkt für andere Universitäten mit einem ERC-Grant natürlich sehr attraktiv für etwaige Professuren mit Langzeitperspektive ist.“
Zurück nach Europa
Auch aus diesem Grund sind die Schweizer Forschungseinrichtungen, allen voran die ETH, nicht zufrieden mit der aktuellen Situation. „Die Teilnahme an Horizon Europe ist für Bildung, Forschung und Innovation in der Schweiz absolut zentral und kann weder durch nationale Maßnahmen noch durch verstärkte Kooperation mit anderen Staaten vollständig kompensiert werden“, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Resolution. Darin fordern scienceindustries, swissuniversities und der ETH-Rat die vollständige Assoziation an Horizon Europe noch in diesem Jahr. „Der Bundesrat muss rasch alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen.“
Mit ihrer Forderung dürften die Organisationen offene Türen einrennen, denn auch der Bundesrat hat bereits im letzten Jahr erklärt, dass eine „möglichst zeitnahe Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe erklärtes Ziel bleibt“. Was aber, wenn die Gespräche zwischen EU und der Schweiz wieder im Sande verlaufen und somit EU-Förderung für die Schweizer Forschungscommunity in unerreichbare Ferne rückt? Gapp zumindest würde der Schweiz dennoch treu bleiben. „Ich kann mir aber vorstellen, dass dies für andere junge Forschende, welche sich frei von familiären Verpflichtungen entscheiden, durchaus einen Faktor in der Karriereplanung darstellen kann.“
Sie haben Post!
Immerhin gibt es gute Nachrichten für maximal 28 EU-Forscher, deren ERC-Starting-Grant-Antrag zunächst abgelehnt wurde. Sie können noch auf einen Positivbescheid vom ERC hoffen, denn das nicht ausgezahlte Geld wird auf Nachrücker verteilt, wie uns Marcin Monko aus der ERC-Pressestelle auf Nachfrage mitteilt. „If a researcher based in a Swiss institution decides not to look for another eligible host institution for its Starting Grant project, then this money will be used to fund researchers whose proposals were evaluated as excellent but who were put on the reserve list. If such cases arise, then there will probably be more or new winners in this round of the competition.“
Also dann, öfter mal die Nachrichten checken.
Kathleen Gransalke
Bild: AdobeStock/luismolinero
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