Unkompliziert zum
rekombinanten Protein

(19.01.2022) E. colis wachsen nicht nur in Flüssig­kulturen, sondern auch auf einer feucht gehaltenen Membran. Auf dieser sind sie sogar noch produktiver.
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Editorial

Die rekombinante Protein­produktion in E. coli verlangt vor allem eines: perfektes Timing. Zunächst müssen sich die Bakterien in Flüssig­kulturen ordentlich vermehren. Dann folgt der eigentliche Startschuss für die rekombinante Protein­expression, etwa durch Zugabe von IPTG als künstlichen Induktor für das LacOperon. Würde schon die Kultivierung unter induzie­renden Bedingungen ablaufen, stünden die Zellen vor einem Interessens­konflikt, der die Ausbeute dämpft, denn sie können sich nicht gleichzeitig auf hochtourige Zellteilung und kräftige Protein­expression einstellen. Abgesehen davon sollten Zellen nicht länger als nötig mit IPTG konfrontiert sein, da dieses auch toxisch wirken kann.

Wenn sich die Zelldichte dem Optimalwert nähert, der meist bei einer optischen Dichte (OD) von etwa 0,8 erreicht ist, beginnt das nervöse Hin und Her zwischen Photometer und Kolben­schüttler. Jede Unterbrechung des Schüttelns bedeutet eine suboptimale Sauerstoff­versorgung, welche die Bakterien prompt mit Expressions- und Vitalitäts­einbußen quittieren.

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Alternative gesucht

Yoshiro Hanyu vom National Institute of Advanced Industrial Science and Technology in Tsukuba, Japan, und sein Kollege Mieko Kato vom japanischen Start-up Bio-Peak sahen sich daher nach einer brauchbaren Alternative zu klassischen Flüssig­kulturen um. Im Visier der beiden Japaner waren insbesondere rekombinante Antikörper, genauer gesagt variable Einzelketten-Fragmente (scFv). Durch ihre kleine Größe, ihr schnelles Eindringen in Gewebe sowie ihre geringe Immuno­genität sind scFv insbesondere für Library-Screenings attraktiv.

Um scFv möglichst effektiv in E. coli exprimieren zu können, mussten Hanyu und Kato ein System finden, mit dem sie die Sauerstoff- und Nährstoff­versorgung kontinuierlich gewährleisten konnten. Darüber hinaus benötigten sie einen internen Sensor für den Start der Expression sowie eine Technik, mit der sie die Zellen möglichst einfach ernten und die rekombinanten Proteine mit guten Ausbeuten aus diesen extrahieren konnten.

Die praktische Lösung für diese Vorgaben ist erfreulich unkompliziert: die E.-coli-Zellen werden einfach auf einer feuchten Membran kultiviert. Dazu befüllt man eine Neun-Millimeter-Petrischale mit zwanzig Millilitern TB-Medium, legt ein Filterpapier hinein und platziert auf dem Papier eine hydrophile Nylon­membran (siehe Bild). Die Zellen aus einer herkömmlichen Vorkultur werden in 100 Mikroliter Autoinduk­tionsmedium (LB, 0,05 % Glucose, 0,1 % Laktose) aufgenommen und auf der Membran verteilt. Der Flüssigkeits­pegel ist einerseits hoch genug, um die Zellen vor der Dehydrierung zu bewahren, andererseits so niedrig, dass sie nicht darin „absaufen“ und an Sauerstoff­mangel zugrunde gehen.

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Selbstbestimmte Bakterien

Die Nährstoff­versorgung durch Filter und Membran ist besser als bei der Kultivierung auf Agar. Zudem ist aufgrund des Autoinduk­tionsmediums kein IPTG nötig, denn die Zellen bestimmen selbst, wann die Produk­tionsphase startet. Die Mixtur zur Autoinduktion hatten die beiden Japaner schon 2019 verwendet, wenn auch mit anderen Membranen (Biotechniques, 66(4): 194–197).

Die darin enthaltene Glukose inhibiert das LacOperon und damit die rekombinante Protein­expression. Diese Hemmung weicht allmählich einer Aktivierung. Zuerst futtern die wachsenden Zellen die Glukose weg. Danach ist die Laktose dran, die teilweise zu Allolaktose umgewandelt wird. Allolaktose induziert schließlich anstelle von IPTG das Operon, woraufhin die scFv exprimiert werden. Mithilfe einer Signalpeptid-Fusion landen die Antikörper vornehmlich im periplasmischen Raum, aus dem sie wesentlich leichter zu isolieren sind als aus dem Bakterien­inneren. Hierzu müssen die Zellen nur von der Membran geschabt, in PBS gelöst und mit einem kalten osmotischen Schock zerlegt werden. Über Nickel-Säulen werden die His-getaggten Proteine schließlich isoliert.

Dreimal höhere Ausbeute

Hanyu und Kato verglichen ihre Methode mit der klassischen IPTG-induzierten Schüttel-Flüssigkultur und produzierten unter anderem anti-Kaninchen IgG scFv sowie anti-Human IgG scFv. In beiden Fällen ging es mit dem gleichen Inokulum los. Die Zahl der Zellen nach einem Tag war jeweils ähnlich. Mit der Membran-Methode war die Ausbeute an scFv jedoch zwei- bis dreimal höher.

Dafür könnten verschiedene Gründe verantwortlich sein: eine stärkere Expression, ein besserer Abtransport der Proteine in das Periplasma oder ein geringerer Verlust durch Einschluss­körper. Der wahren Ursache sind die Japaner noch auf der Spur. Sie fassen aber bereits höher skalierte Membran-Kulturen ins Auge, etwa mithilfe größerer Membranen, alternativen Membran-Materialien sowie exakt an die Bakterien angepassten Medien und Temperaturen.

Andrea Pitzschke

Hanyu Y. & Kato M. (2021): High-yield expression of periplasmic single-chain variable fragments by solid Escherichia coli. BioTechniques, 72: 29–32
cultures

Bild: Hanyu Y. et al.