Sprung über die
Artgrenze

(10.01.2022) Das Fledermausvirus RaTG13 ist nah mit SARS-CoV-2 verwandt. Wandelt man dessen Spike-Protein minimal ab, bindet es auch menschliches ACE2.
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Rhinolophus trifoliatus aus der Familie der Hufeisennasen kommt unter anderem in Indien, Indonesien und Malaysia vor.

Editorial

Seit den ersten dokumen­tierten COVID-19-Fällen im Dezember 2019 hat das Coronavirus SARS-CoV-2 mehr als 276 Millionen Menschen infiziert (Stand Dezember 2021). Der Erreger gehört zur Gruppe der Sarbeco­viren innerhalb der Betacorona­viren, die hauptsächlich bei Fledermäusen zu finden sind. Vor allem bei den Hufeisen­nasen (Rhinolophidae) finden sich Viren, die große Ähnlichkeit zu SARS-CoV-2 aufweisen. So gilt das Virus RaTG13, das im Jahr 2013 bei der Java-Hufeisen­nase R. affinis beschrieben wurde, mit einer Sequenz­identität von 96 Prozent derzeit als einer der nächsten Verwandten des COVID-19-Erregers. Forscher vermuten deshalb, dass SARS-CoV-2 seinen Ursprung in Fledermäusen hat, obwohl die direkte Übertragung möglicherweise über einen Zwischenwirt – vermutlich Schuppentiere – stattgefunden hat.

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Konservativer Argininrest

Von besonderer Bedeutung für den Infektions­prozess von SARS-Coronaviren ist das Spike-Protein, das den menschlichen Rezeptor ACE2 erkennt und als Eintritts­pforte in die Zelle nutzt. Doch gerade in diesem Protein unterscheidet sich RaTG13 auffällig von SARS-CoV-2: Es fehlt ein Sequenz­motiv aus vier Aminosäuren, das die Spaltung durch die Protease Furin verstärkt. Weiterhin ist eine positiv geladene Aminosäure (Arginin) an Position 403 durch eine ungeladene Aminosäure (Threonin) ersetzt. Ein Forschungsteam um Frank Kirchhoff konnte nun zeigen, dass diese Variation für die Interaktion mit humanem ACE2 entscheidend ist.

Auffällig war, dass von rund 3,4 Millionen bekannten SARS-CoV-2 Spike-Sequenzen nur etwa 430 einen Austausch in R403 aufweisen, wovon mehr als zwei Drittel auf den konser­vativen Austausch mit Lysin entfallen. Dies deutete darauf hin, dass eine positive Ladung an dieser Stelle des Proteins für die Funktionalität wichtig ist. Tatsächlich zeigen molekulare Modellierungen, dass Aminosäure 403 im Spike-Protein mit einem negativ geladenen Glutamat (E37) des Rezeptors ACE2 interagiert.

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Verbesserte ACE2-Bindung

Kirchhoff, der als einer von zwei Direktoren das Institut für Molekulare Virologie am Universitäts­klinikum Ulm leitet und vor der COVID-19-Pandemie hauptsächlich an HI-Viren gearbeitet hat, und sein Doktorand Fabian Zech haben in einer aktuellen Studie das Threonin des Fledermaus-Spike-Proteins gegen ein Arginin (T403R) ausgetauscht und die Interaktion des veränderten Spike-Proteins mit ACE2 untersucht. Dafür verwendeten sie Partikel des Vesikulären Stomatitis-Virus (VSV), die mit Spike-Proteinen ausgestattet, Zellen der menschlichen Lungen­zelllinie Calu-3 infizierten. In diesem Infektions­modell steigerte der Austausch T403R im RaTG13-Spike-Protein die Infektiosität um etwa das 30-fache – ein Ergebnis, das auch in anderen Zelllinien und Darm-Organoiden bestätigt werden konnte. Umgekehrt führte ein Austausch von Arginin gegen Threonin im SARS-CoV-2-Spike-Protein zu einer Reduktion der Infektiosität.

Dass ein einziger Aminosäure­austausch ausreicht, um die Bindung des Fledermaus-Spike-Proteins derart zu verbessern, war unerwartet, weil in SARS-CoV-2 mehrere Amino­säuren für die Interaktion mit ACE2 wichtig sind. Ersetzten die Forscher andererseits im ACE2-Protein das für die Bindung wichtige Glutamat 37 gegen Alanin, verloren die Spike-Proteine von SARS-CoV-2 und RaTG13 T403R sowohl im Infektions­modell als auch in einem In-vitro-Bindungstest die Fähigkeit zur Interaktion. Interessan­terweise besitzen manche Menschen im ACE2-Rezeptor ein Lysin anstelle von E37. Möglicherweise sind sie gegen eine SARS-CoV-2-Infektion geschützt.

Prozessierung durch Cathepsine

Der Infektions­prozess von Coronaviren ist mehrstufig und erfordert die proteo­lytische Prozessierung des Spike-Proteins. Dabei schneiden nacheinander die beiden Proteasen Furin und TMPRSS2, wobei die erste Proteolyse im Fledermaus-Spike-Protein weniger effizient ist, weil die Furin-Schnittstelle fehlt. „Alle Spike-Proteine müssen an der entsprechenden Position durch Furin oder Furin-verwandte Proteasen prozessiert werden“, erklärt Kirchhoff. „Die zusätzlichen negativ geladenen Aminosäuren im Spike-Protein von SARS-CoV-2 machen diesen Vorgang allerdings effizienter.“

Die Schnittstelle für TMPRSS2 ist dagegen in beiden Spike-Proteinen gleich. Dennoch hatte eine Über­expression von TMPRSS2 lediglich einen Effekt auf die Prozessierung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2. Beim RaTG13 T403R Spike-Protein scheinen Cathepsine (Cystein­proteasen) eine wichtige Rolle zu spielen, wie Zech erläutert: „Cathepsine können Spike-Proteine ähnlich wie TMPRSS2 prozessieren.“ Generell funktionierte die Prozessierung besser, wenn ACE2 koexprimiert wurde, allerdings nur bei Spike-Proteinen, die mit ACE2 interagieren konnten.

Impfstoffe schützen

Zum Abschluss untersuchten die Forscher noch, ob das Spike-Protein von RaTG13 wenn schon nicht den menschlichen ACE2-Rezeptor, dann vielleicht ACE2 von verschiedenen Fledermaus-Arten binden kann. Das war aber weder für die Java-Hufeisennase, noch für die verwandten Arten R. pusillus und R. macrotis der Fall. Vermutlich spielen bei der Infektion von Fledermäusen deshalb auch andere Rezeptoren eine Rolle.

Da bei Fledermäusen aber bereits verschiedene Coronaviren mit Spike-Proteinen, die an ACE2 binden können, bekannt sind, ist zu befürchten, dass zukünftig noch weitere Coronaviren den Sprung von der Fledermaus auf den Menschen schaffen. „Immerhin ist SARS-CoV-2 bereits das siebte Coronavirus, das diesen Sprung geschafft hat“, unterstreicht Kirchhoff. „Dazu gehören vier Erreger von Erkältungen, SARS-CoV-1 und MERS-CoV. Zwar gab es dabei verschiedene Zwischenviren, und nicht alle benutzen ACE2, aber ursprünglich stammen sicherlich alle aus Fledermäusen.“

Wie schnell eine Artgrenze überwunden wird, zeigen aktuelle Ergebnisse der COVID-19-Forschung. So ist die neue SARS-CoV-2-Variante Omikron in der Lage, an ACE2 von Nagetieren zu binden (bioRxiv, DOI: 10.1101/2021.12.12.472269). Gegen RaTG13 T403R zumindest würden wohl die aktuell zugelassenen Vakzine helfen. So zeigten Zech und Kirchhoff, dass Seren von Menschen, die mit Impfstoffen der Firmen BioNTech und Astrazeneca immunisiert worden waren, das RaTG13 T403R Spike-Protein wirksam neutralisieren können.

Larissa Tetsch

Zech F. et al. (2021): Spike residue 403 affects binding of coronavirus spikes to human ACE2. Nature Communications, 12(1):6855

Bild: Wikimedia Commons/ Daverbennett (CC-BY-SA-4.0)


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Letzte Änderungen: 10.01.2022