Eine Frage des Typs

(07.01.2022) In der Wissenschaft sollten die schlausten Köpfe wirken. Doch zieht das Wissenschaftssystem sie auch wirklich an?
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Editorial

Wer seine Intelligenz vor allem dazu nutzen will, viel Geld zu verdienen, geht überall hin – nur nicht in die Wissenschaft. Dass der Versuch sich dort nicht lohnt, ist eine Regel nahezu ohne Ausnahme.

Und so geht ausgerechnet dem Geschäft, in dem eigentlich die schlauesten Köpfe wirken sollen, schon weit vor dem Start viel „Hirn-Masse“ verloren. Es bleibt das idealistische Grüppchen derjeniger, die Leidenschaft und Begeisterung für das Neue über den schnöden Mammon stellen – und die zudem noch möglichst selbstbestimmt und unabhängig eigene Ideen verfolgen möchten.

Doch fördert das aktuelle System solches Streben tatsächlich?

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Wer schwimmt noch gegen den Strom?

Ist es nicht eher so, dass der Selektionsprozess im hochkompetitiven Wissenschaftsgeschäft die wirklich interessanten, visionären und kreativen Köpfe eher aussortiert, denn nach vorne bringt? Findet man an der Spitze des Systems nicht zunehmend die dynamisch-machtbewussten Mainstream-Machertypen statt der positiv-chaotischen „Gegen-den-Strom-Schwimmer“, die in der Vergangenheit so oft für die entscheidenden Durchbrüche gesorgt haben?

Bruce Charlton, ehemaliger Chefredakteur von Medical Hypothesis, drückte es in seinem Editorial „Why are modern scientists so dull?“ einmal folgendermaßen aus:

„Auf jeder Stufe von Ausbildung und Karriere gibt es die Tendenz, wirklich schlaue und kreative Menschen auszuschließen, indem man vor allem gewissenhafte und kontaktfähige Leute vorzieht. In dem Maße, in dem Wissenschaft immer stärker durch Peer-Review-Mechanismen dominiert wird, erlangt der pro-soziale und konsensfähige Forscher immer mehr Vorrang vor dem brillanten und inspirierten – oft aber auch schroffen und rebellischen – Typ des Wahrheitssuchers, der früher unter den besten Wissenschaftlern so weit verbreitet war.“

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Produktiv, aber nicht kreativ

Am Ende dieses Selektionsprozesses, so Charlton, blieben daher kaum Leute übrig, die in der Lage sind, wirklich revolutionäre Spitzenforschung zu betreiben. Stattdessen eher solche, die zwar extrem produktiv und sozial verträglich sind, denen es jedoch oft an Kreativität und Vorstellungskraft mangele.

Und was passiert, wenn doch eigene Ideen haben? Dann können sie diese oftmals nicht verfolgen, da sich Forschungsprojekte heutzutage vor allem nach der Verfügbarkeit von Fördermitteln richten müssen statt nach purer wissenschaftlicher Neugier.

Aber das ist wieder ein anderes Thema – und wurde bereits in unserem letzten Heft unter „Inkubiert“ thematisiert…

Ralf Neumann

(Illustr.: AdobeStock / SurfupVector)

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