Süßer die Kekse nie
schmecken

(23.12.2021) ... Als in der Weihnachtszeit. Aber, geben Diabetes-Forscher zu bedenken, zu viel Fett und Zucker hat direkte Auswirkungen auf die Zellen des Darms.
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Editorial

In dieser Zeit, in der wir so viele Plätzchen, Lebkuchen und Stollen futtern, von den üppigen Menüs an den drei Weihnachts­feiertagen ganz zu schweigen, könnte man sich fragen: was passiert eigentlich im Darm mit dieser Flut an Nährstoffen? Teams in München und Gießen untersuchten mittels Einzelzell-Analysen den Einfluss einer fett- und zucker­reichen Ernährung auf die Zellen der Darm­schleimhaut.

Der Dünndarm ist ein hochpro­liferatives Gewebe. Alle vier bis fünf Tage erneuert sich die Schleimhaut vollständig. Den Nachschub an Zellen liefern intestinale Stammzellen (ISCs). Sie differenzieren sich zu absorptiven Enterozyten oder zu sekretorischen Zellen. Zu Letzteren zählen Schleim produzierende Goblet- oder Becher-Zellen, in der antimikrobiellen Abwehr aktive Paneth-Zellen, chemosen­sorische Tuftzellen und Hormon bildende endokrine Zellen. Je nach Position im Darm können die selben Zelltypen unter­schiedliche Funktionen ausüben. So sind proximal gelegene Enterozyten zuständig für die Aufnahme von Eisen, Kohlehydraten, Fetten und Proteinen, während distale Zellen vor allem Gallensäuren und Vitamin B12 absorbieren. Im oberen Teil des Dünndarms sekretieren endokrine Zellen Serotonin und das Hunger­hormon Ghrelin, solche im unteren Teil des Darms vor allem das Peptid­hormon Glucagon-like Peptide 1 (Glp-1).

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27.000 Zellen, 3.500 Gene

Teams vom Helmholtz Center, dem Deutschen Zentrum für Diabetes­forschung der Technischen Universität (alle München) und der Universität Gießen untersuchten, an Mäusen, ob und wie eine „ungesunde“ Ernährung mit viel Zucker und Fett zelluläre und molekulare Mechanismen der Zellen ändern. Von gesund ernährten Tieren und solchen, die 12 Wochen mit einer High Fat High Sugar Diet (HFHSD) gefüttert wurden und daraufhin erste Anzeichen eines sich entwickelnden Diabetes zeigten, isolierten sie über 27.000 Zellen und untersuchten daran die Transkription von etwa 3.500 Genen.

Die intestinalen Stammzellen und deren noch nicht ausdiffe­renzierte Abkömmlinge zeigten sich unter der hoch­kalorischen Nahrungs­zufuhr sehr aktiv: sie teilten und differen­zierten sich deutlich schneller als bei den Kontrolltieren. Besonders stark wirkte sich die Ernährung auf die Enterozyten aus. Erstens wurden unter HFHSD mehr proximale Enterozyten gebildet und zweitens veränderten die Zellen ihre metabolischen Eigen­schaften: sie transkribierten vermehrt Gene, die für die Aufnahme von Fetten und Zucker­molekülen benötigt werden. Das könnte direkt zu einer Gewichts­zunahme führen. Außerdem veränderten sich auch endokrine Zellen: unter dem Einfluss von viel Zucker und Fett vergrößerte sich diese Zellpopulation und ihre Hormon­zusammen­setzung bzw. Hormonausschüttung veränderte sich. Beispielsweise reduzierte sich die Zahl Serotonin bildender Zellen, was den Appetit erhöhen und den Darm träge machen kann.

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Neue Therapieansätze

Viele der in dem Paper beschriebenen Ergebnisse passen zu bereits zuvor publizierten Daten – andere aber nicht. Beispielsweise konnten das Team hier keine Veränderung in der Anzahl der Paneth-Zellen finden, was aber in einer anderen Studie gefunden wurde (Nature, 531(7592): 53-8).

Man hofft natürlich, mittels solcher Untersuchungen die Entstehung von Adipositas und Diabetes Typ 2 sowie vielleicht sogar die Entstehung von Darmkrebs besser verstehen, verhindern bzw. besser therapieren zu können. „Was wir heraus­gefunden haben, ist von entscheidender Bedeutung, um alternative nicht-invasive Therapien zu entwickeln“, fasst Studienleiter Heiko Lickert von der TU München die Ergebnisse in einer Presse­mitteilung zusammen. Neue, nicht-invasive Therapien könnten beispielsweise auf einer Regulation des Serotonin-Spiegels basieren. Diesen und weitere Ansätze will die Forschungs­gruppe in nachfolgenden Studien überprüfen.

Festmenü first, Forschung second

Aber eigentlich will man zu Weihnachten darüber, was im Darm passiert, echt nicht nachdenken, oder? Sonst schmecken die köstlichen Plätzchen, Lebkuchen und Stollen, die Gans und die Fünf-Gänge-Festmenüs ja nur noch halb so gut. Also legen wir für die nächsten Tage die neuesten Erkenntnisse der Darm-Forschung mal beiseite und lassen es uns einfach richtig gut schmecken. Abspecken ist erst ab Januar. In diesem Sinne: Schöne Weihnachten!

Karin Hollricher

Aliluev A. et al. (2021): Diet-induced alteration of intestinal stem cell function underlies obesity and prediabetes in mice. Nature Metabolism, 3(9):1202-16

Bild: K. Hollricher (Eigenproduktion)


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