Chlorella
statt Kälber

(24.11.2021) Die Suche nach einem brauchbaren Ersatz für fötales Kälberserum ist nicht so einfach. Algen­extrakte sind interessant, aber noch ausbaufähig.
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Editorial

Tierische Zellkulturen sind für die biomedizinische Forschung unentbehrlich. Einige der Zutaten in Zellkultur­medien werfen ethische Fragen auf, doch ohne Experimente mit kultivierten Zellen wäre die Medizin noch auf Quacksalber-Niveau und die Lebens­erwartung der Menschen einige Jahre kürzer. Der kritischste Bestandteil von Zellkultur­medien ist fötales Kälberserum (FBS), das aus dem Blut von Föten gewonnen wird, die geschlachteten trächtigen Kühen entnommen werden. Für die geschätzten 800.000 Liter FBS, die jährlich in der Forschung benötigt werden, müssen ungefähr zwei Millionen Föten ihr Leben lassen.

Die Suche nach Alternativen für FBS hat aber nicht nur ethische, sondern auch handfeste wirtschaftliche Gründe. In gängigen Zellkultur­medien sind fünf bis zehn Prozent FBS enthalten – bei einem ungefähren Preis von 1 Euro pro Milliliter ist es meist die teuerste Komponente. Es gibt zwar inzwischen chemisch definierte, FBS-freie Medien für die Zellkultur. Die genauen Zutaten sind aber meist geheim und zudem alles andere als billig.

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Ersatz aus Singapur

Nach einer Alternative zu FBS suchen auch der Biochemiker Timothy M. Gould vom Colorado College und sein Student Galileo Defendi-Cho. Die beiden wollen die Zellkultur in etwas größeren Dimensionen einsetzen und damit „Fleisch aus der Petrischale“ erzeugen. Dafür benötigen sie aber zunächst einmal einen günstigen Ersatz für FBS. Bei ihre Suche stießen sie auf die Ergebnisse einer Gruppe aus Singapur, die CHO- sowie mesen­chymale Stammzellen mit einem Medium hoch­päppelte, das statt FBS einen Extrakt der Alge Chlorella vulgaris enthielt (Front Bioeng Biotechnol, DOI: 10.3389/fbioe.2020.564667).

Was mit CHO- und Stammzellen funktioniert, überlegten die beiden, müsste sich vielleicht auch auf andere Zellen übertragen lassen, etwa Rinder-Fibroblasten. Die Herstellung des Algen­extrakts ist ziemlich simpel. Chlorella-vulgaris-Extrakte (CVE) kann man als pulverförmiges, in Kapseln gepresstes Nahrungs­ergänzungsmittel kaufen und auch der von den beiden ebenfalls eingesetzte Chlorella-Wachstums­faktor (CGF) aus der Alge Chlorella pyrenoidosa ist als Flüssigkeit erhältlich.

Algenextrakt und Chlorella-Wachstums­faktor lösten Gould und Defendi-Cho jeweils in (Serum-freiem) DMEM. Anschließend zentrifugierten sie die Lösungen und resus­pendierten das Pellet in DMEM. Die erhaltenen CVE- sowie CGF-Medien analysierten die Forscher in einem Massen­spektrometer (LC-MS) und verglichen die Massen­spektren mit dem von FBS. In einem Signal-Cluster stimmten alle drei überein, der größte darin enthaltene Peak stammte von Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) und/oder NAD-Phosphat (NADP+).

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Was fehlt?

Aber reicht ein gemeinsamer Peak im Massen­spektrum aus, um das Wachstum von Zellkulturen zu fördern? Dieser Frage gingen die Forscher mithilfe von HEK-293- sowie Rinder-Fibroblasten (Embryonic Bovine Tracheal cells, EBTr-Kulturen) nach. Dazu versetzten sie die Medien mit verschiedenen Verdünnungen von CVE sowie CGF und verfolgten das Zellwachstum. CVE förderte die Zellvitalität deutlich stärker als CGF – die Vitalitäts­steigerung von bestenfalls 25 Prozent war aber noch ausbaufähig und die ausbleibende Zellteilung schlichtweg enttäuschend.

Fehlte noch etwas in dem Medium? Gould und Defendi-Cho wiederholten die Zellkultur-Experimente, verwendeten jedoch ein Serum-freies Medium (Essential8) als Grundlage und ergänzten es mit zusätzlichen Komponenten. Als optimale Rezeptur erwies sich eine Kombination aus CVE, Insulin sowie den Wachstums­faktoren basic-FGF und TGF-ß. Mit dieser Mischung erreichte die Zellvitalität 75 Prozent im Vergleich mit dem klassischen FBS-Medium. Zudem regten die Wachstums­faktoren auch die Zellteilung an.

Die zwei US-Amerikaner schätzen ihre Ergebnisse zurück­haltend ein, sehen darin aber durchaus vielver­sprechende Ansätze. Zumindest gelang ihnen der Nachweis, dass sich bovine Fibroblasten in dem Algenextrakt-Medium züchten lassen. Die wachstums­fördernde Wirkung des Algen­extrakts könnte ihrer Meinung nach auf NAD(P) zurück­zuführen sein, das NAD(P)-abhängige Dehydro­genasen dabei assistiert, oxidative Schäden zu verhindern.

Andrea Pitzschke

Defendi-Cho G. & Gould T. (2021): In vitro culture of bovine fibroblasts using select serum-free media supplemented with Chlorella vulgaris extract. BioRxiv, DOI: 10.1101/2021.11.17.469028

Bild: Gewürzland.com