Erfolgreich umgarnt

(30.09.2021) Ziemlich überraschend investierte der Bund letzten Sommer 300 Millionen Euro in ein Biotech-Unternehmen. Wie konnte Curevac die Politik überzeugen?
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Editorial

„Bei den Schwaben dauert’s immer etwas länger“, sagte im Sommer die Impf­­-Ärztin der Autorin auf die Frage, wo denn eigentlich der Curevac-Impfstoff bleibt. Damals war man in Tübingen noch optimistisch, was die Effektivität von CVnCoV anging. Nur kurze Zeit später machte sich Ernüchterung breit. Gerade mal in der Gruppe der 18- bis 60-Jährigen konnte eine einigermaßen hohe Schutzwirkung des Impfstoffs festgestellt werden: 77 % vor moderatem und schwerem Krankheits­verlauf.

Trotz der enttäuschenden Zahlen, ganz verworfen hat das Unternehmen seinen Impfstoff-Kandidaten nicht – der Zulassungs­antrag liegt aktuell noch immer bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Längst bastelt man zusammen mit GSK aber an einer neuen Version namens CV2CoV.

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Alle guten Dinge sind zwei

Der Impfstoff der zweiten Generation soll sich durch eine verbesserte intrazelluläre Stabilität und Translation der mRNA auszeichnen. Verändert und ausgetauscht hat man daher nicht die Spike-Sequenz selbst, sondern nicht-codierende Elemente (UTRs) vor und hinter der eigentlichen mRNA-Sequenz. Diese 5‘- und 3‘-UTRs sind enorm wichtig für eine stabile mRNA und eine effiziente Translation. Die am häufigsten verwendeten 3‘-UTRs stammen von menschlichen alpha- und beta-Globinen ab. So auch die 3‘-UTR von CVnCoV. In Version 2 tauschte Curevac nun das Alpha-Globin-Gen gegen das der 20S Proteasome Subunit Beta-3 aus. Auf der 5‘-UTR-Seite kamen Teile des 17-Beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-4-Gens neu hinzu (bioRxiv, DOI: 10.1101/2021.05.13.443734).

Präklinische Studien aus dem eigenen Hause bescheinigen dem Impfstoff immerhin schonmal eine „improved immuno­genicity“. Die ersten klinischen Studien sind für Ende des Jahres geplant. Mit einer Zulassung wäre demnach erst Ende 2022 zu rechnen. Dass es so lange dauert, bis man einen effektiven Impfstoff in der Hand hat, hätten wohl selbst die Schwaben nicht gedacht. Dabei sollte es Anfang letzten Jahres doch alles ganz, ganz schnell gehen. Das offenbart zumindest die E-Mail-Kommunikation von Curevac mit den verschiedenen Bundes­ministerien.

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Eine E-Mail ans BMBF

Dank der Plattform Frag den Staat, die über das Informations­freiheitsgesetz an die entsprechenden Mails und Schreiben gelangt ist, können wir mitlesen, wie Curevac die deutsche Bundes­regierung davon überzeugt hat, schnellstmöglich in ihr Unternehmen zu investieren. Wir erinnern uns, 300 Millionen Euro gab es im Sommer letzten Jahres als direkte Kapital­beteiligung für die Tübinger öffentlichkeits­wirksam aus den Händen von Bundes­wirtschaftsminister Peter Altmeier. Die KfW-Bank und damit der Bund und die Länder halten damit einen Anteil von rund 23 Prozent an Curevac. Alles begann bereits im Januar (am 23.01.) mit einer E-Mail von Unbekannt an das BMBF (alle Namen, Adressaten und Absender sind in den veröffent­lichten Unterlagen geschwärzt): „Betreff: Corona Virus Impfstoff aus Deutschland, müssten aber schnell sein“.

In dieser informellen Mail heißt es: „Aus meiner Aufbauarbeit der xxx kenne ich […] Curevac, und schätze ihn sehr. Er ist heute an mich heran­getreten, da er eine gute Chance sieht, auf Basis seiner Daten zum Tollwut­impfstoff etwas gegen den Corona Virus machen [zu können]. Allerdings müsste man hier sehr schnell sein. Ich empfehle Sie hören sich das einmal an, eine kleine, agile Task Force hierfür könnte für den Erfolg sorgen.“

Noch am selben Tag, etwa eine halbe Stunde später, meldet sich auch Curevac (die bei erster Mail ebenfalls im cc standen) mit noch eindring­licheren Worten. „Wir verfolgen mit Sorge die Entwicklungen in Wuhan. Ich denke, wir sollten schnellstmöglich in Kontakt treten, da wir hier eventuell sehr rasch in eine Notfall-Impfstoff­entwicklung kommen“, heißt es aus Tübingen. Und natürlich weiß man auch in Schwaben, wie man eine Bundesregierung um den kleinen Finger wickelt: „Das ist eine Chance, die Innovationskraft in Deutschland zu demonstrieren und zu zeigen, dass wir gegen derartige Bedrohungen schnell in einen Prozess kommen, der auf einem qualitativ hochwertigen Proof of Concept im Menschen aufbauen kann.“ „Innovation“, „Deutschland“ – das sind Worte, auf die (fast) jeder Politiker anspringt.

Tübingen oder Texas?

In der Zwischenzeit scheint es Treffen und/oder Telefonate zwischen Curevac und Vertretern der Bundes­ministerien gegeben zu haben – neben BMBF sind nun auch das Gesundheits­ministerium (BMG), das Kanzleramt und das Wirtschafts­ministerium (BMWi) beteiligt. Die nächste Mail von Curevac an BMBF und BMG stammt von März. Nach dem Dank für eine „konzertierte Aktion“, die von „Erfolg gekrönt war“, fährt der Curevac-Schreiber schwere Geschütze auf, frei nach dem Motto: Unterstützt ihr uns nicht, kehren wir Deutschland den Rücken. Oder anders formuliert: „Ich möchte gerne einen Technologie­transfer unserer proprietären Produktion in die USA und den Abzug der Impfdosen aus Tübingen verhindern, deswegen wende ich mich nochmals an Sie. […] Ich würde mich freuen, wenn wir mit Ihren Fachleuten und Entscheidern über dieses Szenario der Sicherstellung der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Notfall­impfstoffen sprechen könnten.“ Hintergrund war das damalige Gespräch von Pharma­unternehmen im Weißen Haus, bei dem es zum angeblichen Milliarden-Angebot von Donald Trump gekommen sein soll.

Das BMG zappelte inzwischen am Curevac-Haken. In einer Mail vom 6. März fragt es das BMBF nach Förder­möglichkeiten und Zuständigkeiten. Das BMBF seinerseits holt sich weitere Hinter­grundinfos über Curevac ein und trifft sich mit Unternehmens­vertretern zum persönlichen Gespräch (in Berlin).

Am 31. März wendet sich Curevac erneut ans BMBF: „In der Zwischenzeit haben wir – wie in unserem Gespräch in Berlin angekündigt – mit der Präsidentin der EU Kommission, Frau von der Leyen, gesprochen, die uns einen Kredit zur Finanzierung und zum beschleunigten Ausbau unserer Produktions­anlagen angeboten hat. Vor diesem Hintergrund würden wir gerne auch die Gespräche mit Ihnen hins. der weiteren Entwicklung und breiten Verfügbarkeit eines Covid-19-Impfstoffs fortführen [...] Daneben bin ich mit Herrn xxx hinsichtlich einer generellen Förderung der Curevac – d.h. losgelöst von COVID-19 – im Austausch.“

Summe unbekannt

Das BMBF schlägt daraufhin in einer Mail vom 1. April vor: statt Firmen einfach nur Gelder für den Ausbau der Produktions­kapazitäten zu überweisen, könne man ihnen auch „wirtschaftliche Sicherheit für die selbstbestimmte Weiter­entwicklung“ geben. Eine Kapital­beteiligung wäre eine solche Sicherheit. Anfang April hatten sich die Ministerien außerdem geeinigt, dass Finanzhilfen über das BMBF und BMG abgewickelt werden sollen. Das Wirtschafts­ministerium solle sich weiterhin darum bemühen, die Firma in Deutschland zu halten. Laut des zuständigen Staats­sekretärs im BWWi hatte es allerdings nie „konkrete Anzeichen“ dafür gegeben, dass „eine ausländische Kontrolle des Unternehmens drohte“ (Parlamen­tarische Anfrage von Juli 2021). Wenige Tage später schickt Curevac einen Vorschlag für die Finanzierung der weiteren Entwicklung des Impfstoff-Kandidaten – die Summe ist geschwärzt.

An dieser Stelle stoppt die veröffentlichte Dokumentation. Was im Mai kommuniziert wurde, ist bislang nur den Eingeweihten bekannt. Klar ist jedoch, die Tübinger haben mit ein bisschen Druck, etwas Bluff und eindrucksvollen Worten ihr Ziel erreicht. Und auf der anderen Seite hat sich der Bund bereitwillig überzeugen lassen. Hätte ja auch gut gehen können. So muss er sich heute immer wieder mit kritischen Fragen zur Investition auseinander­setzen.

Demnächst könnte dank Frag den Staat auch die ministeriale Kommunikation mit der Dessauer IDT Biologika und der Mainzer Biontech an die Öffentlichkeit gelangen. IDT hatte aus dem Impfstoff-Sonderfördertopf des Bundes im letzten Jahr 114 Millionen Euro erhalten, Biontech 375 Millionen. Auch hier hatte Curevac übrigens nochmal 230 Millionen abgesahnt.

Kathleen Gransalke

Bild: AdobeStock/pholidito


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Letzte Änderungen: 30.09.2021