Mikroskop im Inkubator-Format

(29.09.2021) Mikroskope für Langzeitstudien lebender Organismen sind teuer, wartungs­intensiv und hart umkämpft. Das Incubascope ist eine echte Alternative.
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Salzkrebse unter dem Incubascope

Editorial

Das Repertoire an lichtbasierten Visualisie­rungstechniken ist fast nicht mehr zu überblicken. Es reicht von der klassischen Durchlicht-Mikroskopie über Epifluoreszenz- und Konfokal-Mikroskopie bis zur Zwei-Photonen- sowie super­auflösenden Mikroskopie. Proben mit Licht zu untersuchen, hat viele Vorteile: Die Licht-Belastung ist relativ gering. Hinzu kommt eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung über mehrere Größen­ordnungen, von der Mikrometer- bis zur Zentimeter­ebene.

In den letzten Jahren wurden zudem etliche lichtbasierte Systeme entwickelt, mit denen Wissenschaftler lebende Proben oder Organismen untersuchen können. Doch ungeachtet aller Fortschritte bei diesen Live-Cell-Imaging-Techniken existieren auch einige Einschränkungen – insbesondere wenn eine Probe über lange Zeit, also Tage oder Wochen, untersucht werden soll. Dann kann die tagelange Bestrahlung mit dem meist üblichen Fluores­zenzlicht toxisch wirken. Außerdem arbeiten die meisten Live-Cell-Imaging-Mikroskope mit Inkubator­kammern, die das Mikroskop von außen umschließen. Für einige Tage können diese die natürliche zelluläre Umgebung gut nachbilden – dauert das Experiment jedoch länger, tauchen Probleme auf. Zu diesen gehören zum Beispiel konstante Gas- und Tempera­turlevel sowie die Sterilität der Proben, die meist nur mit Zellkultur-Inkubatoren aufrecht­erhalten werden können.

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Utopische Nutzungsdauer

Ein zusätzliches Problem ist die Logistik. Die meisten Mikroskope, die Langzeit-Beobachtungen von lebenden Proben zulassen, stehen in zentralen Abteilungen beziehungsweise Facilities. Oft teilen sich mehrere Arbeitsgruppen oder sogar Institute eine Mikroskop-Facility, wodurch Nutzungs­dauern von mehreren Tagen oder Wochen oft utopisch sind. So lange Zeiträume sind aber zwingend nötig, um langsame biologische Prozesse durchgehend begleiten zu können.

Gaëlle Rechers Team an der Université de Bordeaux hat ein Mikroskopie-System konstruiert, das einige dieser Probleme löst und sich günstig nachbauen lässt. Das sogenannte Incubascope der Franzosen ist kompakt, ermöglicht Hellfeld- sowie Fluoreszenz-Mikroskopie und besticht durch Anwender­freundlichkeit sowie geringe Kosten und frei zugängliche Software-Codes. Der eigentlich Clou ist aber, dass das Incubascope in jeden handels­üblichen Zellkultur-Inkubator passt. Die untersuchten Zellen profitieren dadurch von stabilen Umwelt­bedingungen, die im stationären Inkubator viel eher erreicht werden, als in mobilen Inkubator­kammern.

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Auf engem Raum

Die einzelnen Komponenten des Incubascopes sind möglichst platzsparend angeordnet, schließlich ist der Raum im Inkubator begrenzt. So platzierte das Team etwa das Objektiv kurzerhand horizontal, um Platz zu sparen. Das Objektiv kombiniert ein Sichtfeld von 5,5 x 8 Quadrat­millimetern mit einer Arbeitsdistanz von 56 Millimetern – das ist besonders praktisch für die Arbeit mit größeren Lebend­präparaten. Die Auflösung bleibt aber dennoch nicht auf der Strecke. Sie beträgt lateral 2,4 Mikrometer und liegt damit im subzellulären Bereich, was für die allermeisten In-vivo-Langzeit­studien mehr als genug sein dürfte.

Die französischen Wissenschaftler testeten ihre Neuentwicklung mit unterschied­lichen Versuchsobjekten. Zunächst beobachten sie, wie Salzkrebse (Artemia salina) über mehrere Tage schlüpften und sich anschließend schwimmend fortbewegten (siehe Bild). Das Mikroskop musste in diesem Fall dynamische Prozesse über lange Zeiträume aufnehmen. Die Daten können hierzu im tiff- sowie hdf5-Format abgespeichert werden, wobei letzteres insbesondere für große Daten­mengen attraktiv ist. Das hdf5-Format erlaubt zudem, einzelne Bilder eines Langzeit-Experiments ohne viel Rechenarbeit zu öffnen, während dieses noch läuft.

Offene Kommunikation

Die Forscher nutzten das Incubascope auch für die Beobachtung von Sphäroiden aus HEK293-Zellen. Das Mikroskop detektierte die HEK293-Zellen, die ein GFP-Reportergen exprimierten, sowohl im Hellfeld- als auch im Fluoreszenz-Modus mit einer bemerkens­werten Auflösung.

Die Autoren des Preprints betonen ausdrücklich, dass sie die Incubascope-Technologie mit der Wissen­schafts­gemeinde teilen wollen. Folglich ist der Quellcode des Systems in der frei zugänglichen und weit verbreiteten Programmier­sprache Python verfasst. Diese regelt die Kommunikation mit der elektronischen Steuerungs­einheit des Incubascopes sowie der Kamera im Inkubator. Für Forscher, deren Programmierkurs schon etwas weiter zurückliegt, entwickelten die Franzosen zudem ein anwender­freundliches Interface. Der Quellcode ist außerdem auf der Open-Source-Plattform GitHub hinterlegt (https://github.com/BiOflab/Incubascope.git). Die kostenfreie Software wirkt sich nicht zuletzt auch positiv auf den Gesamtpreis des Incubascope von etwa 5.500 Euro aus. Spätestens jetzt dürften wohl viele potentielle Anwender neugierig geworden sein.

Michael Bell

Badon A. et al. (2021): The Incubascope : a simple, compact and large field of view microscope for long-term imaging inside an incubator. BioRxiv, DOI: 10.1101/2021.09.21.461183

Bild: Badon et al. (eingefärbt)