Die Idee ist gut ...

(26.08.2021) Doch erst ein einziger Nasenspray-Impfstoff – gegen Grippe – ist bisher zugelassen. Eigentlich hätten es schon eine ganze Reihe mehr sein können.
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Editorial

Ärmel hoch, Spritze rein! – so heißt es derzeit überall. So richtig optimal ist die intra­muskuläre Imfpung jedoch nicht. „Im Muskel sind ja wenige Immunzellen, das ist ein prinzipielles Problem“, gibt beispiels­weise Charité-Immunologe Leif Erik Sander in einem Interview mit Laborjournal zu bedenken. „Dort muss man erstmal eine Entzündung erzeugen, damit überhaupt Immunzellen einwandern“.

Im Gegensatz dazu befinden sich recht viele Immunzellen in Schleimhäuten, wie der Darm­schleimhaut. Und die lassen sich per Schluck­impfung recht unkompliziert erreichen. Bereits seit den 1960er-Jahren gibt es die Schluck­impfung gegen Polio, später kamen orale Vakzine gegen Cholera, Typhus und eine Rotavirus-Infektion hinzu. Und auch ganz aktuell arbeiten Forscher an oralen Vakzinen. Zum Beispiel in Würzburg, im Labor von Thomas Rudel (siehe „Mund auf für die Impfung“ auf LJ Online).

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Ab durch die Nase

Es gibt aber noch einen weiteren Weg, der Weg über die Nase. Denn auch dort gibt es eine Schleimhaut mit vielen Immunzellen. Hier kommt es zum Erstkontakt zwischen respira­torischem Erreger und dem Immunsystem des potentiellen Wirtes. Gelingt es, diese Immunzellen durch einen Impfstoff direkt zu sensibilisieren, könnte eine sich später anbahnende Infektion im Keime erstickt werden. Das liegt unter anderem daran, dass Schleimhäute eine spezielle Art von Antikörpern, die Immun­globuline A, produzieren und lokale B- und T-Gedächt­niszellen bilden, die im Infek­tionsfall sofort zur Stelle sind. Laut Experten kommt eine solche intranasale Impfung einer natürlichen Infektion sehr nahe. Und natürlich ist die Verabreichung kinderleicht.

Wo Licht ist, ist oft auch Schatten und so steht auf der Negativseite, dass die IgAs nicht ganz so langlebig sind wie andere Antikörper und es sich meist, wie auch bei den oralen Vakzinen, um Lebend­impfstoffe handelt. Diese sind nicht für jeden geeignet, zum Beispiel nicht für Kinder unter 2 Jahren oder immunkompromittierte Personen.

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Bisher konkurrenzlos

Ein einziger Nasenspray-Impfstoff hat es bis jetzt auf den Markt in den USA und Europa geschafft: Fluenz Tetra von Astrazeneca zur Grippe-Prophylaxe. Auch hierbei handelt es sich um einen Lebend­impfstoff, ein sogenanntes „Live Attenuated Influenza Vaccine“, kurz LAIV. In den Genuss der schmerzfreien Applikation kommen allerdings nur Kinder zwischen 2 und 17 Jahren, denn bei Erwachsenen kann eine bereits vorhandene Immunität gegen andere Grippevirus-Varianten dazwischen­funken und die Wirksamkeit herabsetzen. Seit 2013 ist der Impfstoff in der EU zugelassen. Und hat sich durchaus als gewinn­bringend erwiesen. Im letzten Jahr, auch bedingt durch die Grippe-Impfkampagnen während der COVID-19-Pandemie, stieg der Fluenz-Tetra-Umsatz um mehr als 160 % auf 295 Millionen US-Dollar.

Aktuell gibt es für Astrazeneca keine Konkurrenz auf dem Markt. Dabei hat die EU intransale Impfstoffe schon recht früh gefördert. Allerdings mit wenig durch­schlagendem Erfolg.

So steckte sie von 2000 bis 2003 rund eine Million Euro in das Projekt MUCADJ, das sich vor allem den Adjuvantien in intranasalen Grippe-Impfstoffen widmete. Ebenfalls mit einer Million Euro unterstützt versuchte das Projekt UNIVERSAL VACCINE (2005–2007) unter Leitung des schwedischen Pharma­riesens Biovitrum einen intranasalen Grippe-Impfstoff zu entwickeln, der sogar lebenslangen Schutz verspricht. Herzstück dieses Vakzins war die extra­zelluläre Domäne des Matrixproteins 2 (M2e), das in allen Influenza-A-Virusstämmen hoch konserviert ist. Das Vakzin hat es letztlich nicht mal bis in die klinische Testung geschafft (zumindest gibt es keine entsprechenden Einträge auf clinicaltrials.gov) und auch auf der Webseite von Biovitrum ist kein Wort über einen Grippe-Impfstoff zu lesen. Andere M2e-basierte Vakzine werden jedoch aktuell klinisch überprüft.

Folgenreiche Lieferprobleme

Noch unglücklicher verlief das Projekt NASPANVAC (Nasal Pandemic Influenza Vaccine), das in den Jahren 2008–2012 sogar 3,5 Millionen von der EU gesponsert bekam für einen Impfstoff gegen das Vogel­grippevirus H5N1. Auch hier war noch vor den angestrebten klinischen Tests Schluss. Die Gründe dafür waren recht kurios. Denn zuerst zog sich der Chemiekonzern Solvay als Lieferant des notwendigen NIBRG-14-Antigens zurück, aufgrund von „Veränderungen in der Firmen­struktur und des Managements“, wie es im Abschlussbericht heißt. Ersatz wurde jedoch recht schnell in Novartis gefunden, mit denen ein Material Transfer Agreement unterzeichnet wurde – zunächst für präklinische Studien, man hatte aber signalisiert, auch für klinische Studien liefern zu können. Erste Tests zeigten, dass das Novartis-Antigen dem von Solvay ebenbürtig war. Aufatmen unter den Projekt­teilnehmern.

Als es dann aber tatsächlich in die klinischen Tests ging, machte Novartis einen Rückzieher. Zu viel behördlicher Papierkram war der wahr­scheinliche Grund. Und da auch auf die Schnelle kein neuer Lieferant gefunden werden konnte, musste man sich statt mit menschlichen Probanden mit Frettchen begnügen. Die nasale Immunisierung schützte die Marder­verwandten nach Kontakt mit dem lebenden H5N1-Virus „zum Teil vollständig gegen klinische Symptome“. Trotz dieses eher „unhappy endings“ war man überzeugt, dass ein intranasaler Impfstoff Potential hat – Pandemien zu beenden und Geld in die Kassen der Impfstoff-Entwickler zu spülen.

Prominente Partner

Investoren müssten bei entsprechenden Pharma-Firmen folglich Schlange stehen. Das dem nicht so ist oder war, zeigt das nächste Projekt, das auf EU-Ebene noch ein paar Milliönchen mehr einheimsen konnte. Nämlich fast 12 Millionen (für zwei Teilprojekte, die von 2005 bis 2010 liefen). Wieder ging es um die Grippe und zwar die pandemische. Mit dabei beim FluVacc-Projekt war beispielsweise auch das Robert-Koch-Institut und die Martinsrieder Firma GPC Biotech (die 2013 wegen fehlgeschlagener Medikamen­tentests endgültig liquidiert wurde). Koordiniert wurde das Ganze von Wien aus und zwar von AVIR Green Hills Biotechnology.

Auch hier erhoffte man sich „enormous market potential“ and „significant earnings“ und das zu Recht. Denn die Technologie hinter dem Impfstoff kam aus renommierten Hause, nämlich aus den Laboren von Paul Palese und Adolfo García-Sastre von der Mount Sinai School of Medicine. Dort hatte auch Thomas Muster, CEO und CSO von AVIR Green Hills, gearbeitet und gemeinsam hatten sie in den späten 1990er-Jahren entdeckt, dass Virusstämme, denen man ihr Nichtstruktur­protein 1 (NS1) klaut, besonders gut als „Live Attenuated Influenza Vaccines“ taugen.

Denn normalerweise sorgt NS1 mit allerlei Tricks in der infizierten Zelle dafür, dass sich das Virus wunderbar vermehren kann – so unterdrückt es beispielsweise die antivirale Interferon-Antwort des Wirts. Entfernt man NS1, infiziert das Virus die Zelle zwar immer noch, aber das Interferon-System kann nun ungestört seines Amtes walten und zusammen mit den anderen Komponenten des Immunsystems die Infektion im Zaum halten. deltaFLU nannten die Entdecker entsprechend ihren Virusstamm. Praktischerweise ist NS1 hoch konserviert und zwar in den Influenzavirus-Typen A, B und C. Das ist aber längst noch nicht alles: dadurch dass der Wirt hohe Mengen an Interferon bildet, muss kein extra Impfstoff-Adjuvants zugegeben werden. Ein weiterer Vorteil ist die superschnelle (in wenigen Wochen) Herstellung in Vero-Zellen statt in Hühnereiern.

Weltbeste Technologie

Noch 2009 war man mehr als optimistisch und frohlockte: „Wir haben die weltweit beste Influenza-Technologie, die es derzeit gibt“. Vier klinische Tests der Phasen 1 bis 1/2 gaben weiter Anlass zur Euphorie. Auch weil der eigene Impfstoff-Kandidat im Test sogar besser abschnitt als die Konkurrenz – Astrazenecas Fluenz Tetra. 2013 wollte man mit dem Impfstoff gegen die pandemische Influenza auf dem Markt sein, ein Jahr später mit dem gegen die saisonale. Doch es kam mal wieder anders.

Bereits im Herbst 2011 war auf dem Konto von AVIR Green Hills Biotechnology gähnende Leere. Ein paar Scheinchen kamen über Wandel­anleihen in den folgenden Monaten noch rein, aber am Ende musste die Firma im zehnten Jahr ihres Bestehens 2012 Konkurs anmelden. Mit fast 5 Millionen Euro Schulden. Es hatte sich einfach kein Investor gefunden. Die klinischen Studien lagen nun erstmal auf Eis.

Demnächst sollen sie aber fortgesetzt werden. Denn deltaFLU lebt weiter, nun bei Vivaldi Biosciences, die 2006 in den USA von unter anderem Paul Palese und Adolfo García-Sastre gegründet wurden. 2013 sicherte sich das Unternehmen Know-how, Materialien und klinische Daten von AVIR Green Hills, 2014 entstand in Wien ein Ableger. Nicht überraschend: AVIRs ehemaliger Chef Thomas Muster ist bei Vivaldi Chief Scientific Officer. Wann genau man die klinischen Studien wieder aufnehmen will, ist unklar. Unsere Anfrage bei Vivaldi jedenfalls blieb unbeantwortet.

Auch wenn der deltaFLU-Nasenspray-Impfstoff noch eine Weile auf sich warten lässt, andere intranasale Vakzine sind bereits in der klinischen Prüfung. Nicht nur gegen die Grippe, sondern auch gegen Keuchhusten, Tuberkulose, Milzbrand, Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) und natürlich gegen COVID-19.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/derneuemann

Korrektur: Auf Twitter schreibt uns Victor M. Corman von der Charité: „Die meisten Impfungen mit abgeschwächten Lebendimpfstoffen werden bei Kindern <1 Jahr durchgeführt. z.B. gegen Rotavirus, Masern, Mumps, Röteln, VZV... auch gegen Gelbfieber und Polio (Schluckimpfung) ist es möglich.“


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Letzte Änderungen: 26.08.2021