Bakterienfresser aus dem Bioreaktor

(19.08.2021) Das angehende Start-up Invitris aus München produziert Bakteriophagen im Bioreaktor und will so resistenten Bakterien an den Kragen.
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Editorial

Die post-antibiotische Apokalypse naht. So orakelt zumindest die Weltgesund­heitsorganisation WHO, die bis zum Jahr 2050 mit jährlich rund 10 Millionen Todesfällen durch Antibiotika-resistente Bakterien rechnet – wenn alles bleibt, wie es ist. Zum Vergleich: SARS-CoV-2 forderte seit Januar 2020 etwa 4,2 Millionen Opfer. Ein erschütterndes Szenario also und Grund genug, intensiv an Alternativen zu forschen.

Einen Ausweg aus der Krise könnten ironischer­weise Viren bieten, wie Kilian Vogele vom zukünftigen Münchner Biotech-Start-up Invitris erklärt: „Wir haben eine Methode entwickelt, Bakterio­phagen außerhalb ihrer bakteriellen Wirte herzustellen. Damit können wir Antibiotika-resistente Keime behandeln“.

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Am Anfang steht ein zweiter Platz

Das Gründungsprojekt der TU München ging 2018 aus dem Münchner Team Phactory der International Genetically Engineered Machine (iGEM) Competition hervor. „Die iGEM Competition ist ein Wettbewerb für synthetische Biologie, für den wir ein Team aufgestellt und überlegt haben, womit wir antreten können“, erinnert sich der Physiker Vogele. Schnell fiel die Wahl auf Bakterio­phagen und deren zellfreie Herstellung. Ein Projekt, das die Münchner vor allem wegen seiner medizinischen Nutzungs­möglichkeiten besonders interessierte. „Das war neues Terrain für uns. Ich habe mich während meiner Doktorarbeit kurz mit Phagen beschäftigt, aber niemand von uns hatte da wirklich Erfahrung“. Dennoch gelang es dem Münchener Team den zweiten Platz unter über 350 internationalen Mitbewer­berinnen und Mitbewerbern zu erringen.

Doch was heißt „zellfreie“ Produktion eigentlich? „Vereinfacht gesagt, zerstören wir die bakterielle Zellhülle und entfernen Zellwand und Zellmembran-Bestandteile, DNA und andere kleinere Komponenten. Was dann übrig bleibt, ist ein rohes Zellextrakt, das alle Teile der Transkriptions- und Translations­maschinerie des Bakteriums enthält.“ Das so präparierte Extrakt benötigt nun lediglich eine DNA-Vorlage, tRNAs und einige andere Substrate und kann so Proteine herstellen. Die Basis für das Expressions­system von Invitris ist das Bakterium Escherichia coli. Dabei liege der Vorteil gegenüber einer zellulären Phagen­produktion in der hohen Reprodu­zierbarkeit und der einfacheren Aufreinigung der Phagen.

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Ein Baukasten für Viren

Nach der erfolgreichen Teilnahme am iGEM-Wettbewerb kehrten die Münchner zunächst zu ihren eigenen Projekten zurück, bis Patrick Großmann auf der Bildfläche erschien. Großmann, Bioinformatiker und Entrepreneur, kontaktierte Vogele eigentlich wegen eines anderen Projektes, wie sich der Physiker erinnert: „Im Laufe des Gesprächs kamen wir aber auf das iGEM-Projekt zu sprechen und zu dem Schluss, dass es ein interessanter Therapie-Approach wäre, den wir gut kommerzia­lisieren können“. Invitris war geboren.

In der Folge optimierten die angehenden Gründer und Gründerinnen ihr Expressions­system. So setzten sie künstliche Intelligenz ein, um die Zusammensetzung der benötigten Puffer zu verbessern und zu vereinfachen. Zudem gelang es den Münchnern, mit ihrem Zellextrakt auch artfremde Phagen zu produzieren. „Mittlerweile sind wir in der Lage, Viren gegen Pseudomonas und einen nur entfernt verwandten Bacillus mit unserem Expressions­system herzustellen. Das ist ein enormer Vorteil, da wir mit einem für Menschen harmlosen Zellextrakt arbeiten können und keine S2-Labore benötigen,“ schildert der Physiker. Die für die Transkription der artfremden DNA benötigten Moleküle gibt das Team von außen zu dem System hinzu. Ein Prozess, für den die Gruppe gegenwärtig auch ein Patent angemeldet hat.

Neben den Vorteilen bei Herstellung und Reinigung ließen sich die so produzierten Phagen auch leichter modifizieren, wie Vogele beschreibt: „Da wir nur die Phagen-DNA in unser System geben, können wir diese natürlich verändern, ohne danach aufwendig nach den richtigen Klonen suchen zu müssen. Außerdem können wir die Phagen auch transient modifizieren.“ Die so eingeführte Modifikation äußere sich nur in der ersten Phagen-Generation. Vermehrt sich das Virus in der Zielzelle, entsteht wieder der Wildtyp, da die Phagen-DNA nicht verändert wurde. Ein großer Vorteil für eine Zulassung solcher Viren, handelt es sich doch nicht um gentechnisch veränderte Organismen.

Gründung in progress

Vogele und Co. gelang es kürzlich, eine EXIST-Gründungs­förderung einzuwerben. Damit können sich die Münchner nun komplett auf die Gründung von Invitris konzentrieren. Formal seien sie zwar bei der TU München angestellt, ihr Gehalt beziehen sie jedoch aus dem EXIST-Fördertopf. Neben Vogele arbeiten noch zwei ehemalige Mitglieder des 21-köpfigen iGEM-Teams bei Invitris. Die Förderung laufe noch bis Herbst 2022, erzählt der Münchner Forscher. Dann müsse man sich aktiv nach Investoren umschauen.

Bis dahin will Invitris noch einige Meilensteine erreichen. Einer davon ist die Optimierung des Expressions­systems für weitere Phagen. „Wir wollen eine Phagen­bibliothek gegen Bakterien der WHO-Prioritä­tenliste aufbauen, die dann zur Behandlung von chronischen Infektionen zum Einsatz kommen soll. Zudem möchten wir die Wirkung unserer Phagen im Rahmen eines Heilversuches demonstrieren“, sagt Vogele. Dafür arbeiten die Münchner mit dem PhagoFlow-Projekt und dem Queen-Astrid-Krankenhaus in Brüssel zusammen. Mittelfristig sollen die Phagen auch ganz offiziell klinisch getestet werden. Auch ein persona­lisierter Ansatz sei denkbar – allerdings erst in fernerer Zukunft.

Tobias Ludwig

Bild: AdobeStock/geosap


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