Mit Silizium-Kristall zum Goldstandard

(15.07.2021) Das Münchner Start-up IRUBIS nutzt Infrarot-Spektroskopie zur Überwachung von Bioreaktoren, in denen zum Beispiel Biopharmazeutika blubbern.
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Coming soon: der „Signal-enhanced“ ATR-Kristall

Editorial

Physikerin und COO Anja Müller hat das TUM-Spin-off mitgegründet und berichtet von ATR-Kristallen, Einweg-Durchflusszellen und angepasstem Kundennutzen.

Frau Müller, Sie nutzen Infrarot-Spektroskopie zur Überwachung von Bioreaktoren. Was unterscheidet Ihre Technologie von bereits genutzten Verfahren, die ja bereits heute Stoffwechsel­produkte oder die Gassättigung überwachen?
Anja Müller: Die meisten der etablierten Methoden arbeiten offline. Das heißt, es gibt keine kontinuierliche Messungen, sondern es werden Proben gezogen und in einem separaten Gerät gemessen. So misst man meist nur einmal am Tag. Außerdem gibt es beim Probeziehen das Risiko einer Kontamination. Wir ermöglichen eine Online-Messung von Metaboliten und Nährstoffen, indem wir ständig die Bioreaktor-Flüssigkeit durch eine Durchflusszelle pumpen und so kontinuierlich zum Beispiel den Glucose-Wert bestimmen können, auch über längere Zeiträume wie etwa zwei Wochen. Durch die Automatisierung spart man zudem Personalkosten und kann eine gleichbleibende Qualität sicherstellen.

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Diese Durchflusszelle sitzt außen an einem Messgerät und kann beliebig ausgetauscht werden?
Müller: Genau, das ist das eigentliche Konzept. Die Durchflusszelle ist eine auswechselbare Einweg­komponente, die über Schläuche mit dem Reaktor verbunden ist. Zur Messung wird sie einfach an unser Messgerät „Monipa“ geklickt. Wenn man zum Beispiel einen Glasreaktor hat, kann das ganze System zusammen­gebaut autoklaviert werden. Alternativ können die Durchflusszellen – bereits mit Gammastrahlen sterilisiert – direkt verwendet werden.

In dieser Durchflusszelle sitzt der Träger mit dem ATR-Kristall, der die Messung von Flüssigkeiten mithilfe der Infrarot-Spektroskopie möglich macht. Aber auch hier gibt es ja bereits etablierte Kristalle. Was macht Ihrer anders?
Müller: Es gibt verschiedene Messmethoden der Infrarot-Spektroskopie. Für die abgeschwächte Totalreflexion, wie wir sie nutzen, benötigen wir diesen ATR-Kristall. ATR steht für „attenuated total reflection“. Die sind aber sehr teuer, weil sie zum Beispiel aus Diamant gefertigt werden. Wir stellen die Kristalle aus Silizium her. Dadurch sind sie deutlich günstiger und können dann eben auch in eine Einweg­komponente eingebaut werden. Zudem reduzieren wir mit Monipa den Kalibrierungs­aufwand durch eine 1-Punkt-Kalibrierung. Andere spektroskopische Methoden müssen über mehrere Monate Daten generieren, um ein Kalibrierungs­modell zu erstellen.

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Ursprünglich wollten Sie mit Ihrer Technologie einen ganz anderen Ansatz verfolgen. Warum haben Sie sich umentschieden?
Müller: Ja, anfangs haben meine beiden Mitgründer Alexander Geißler, Lorenz Sykora und ich im Rahmen unseres EXIST-Gründer-Stipendiums versucht, die Technologie für die Blutanalyse zu etablieren. Im Blut kann man verschiedene Parameter messen. In wissen­schaftlichen Publikationen wurde gezeigt, dass sich die Infrarot-Spektroskopie selbst zur Detektion von Krebs oder Malaria eignet. Allerdings ist die Entwicklung und Markteinführung sehr komplex und der Aufwand für die Zulassung eines Medizinprodukts sehr hoch. Auch der Kunden­nutzen war irgendwann nicht mehr so klar wie er am Anfang schien. Auf einer Konferenz kam dann jemand auf uns zu und fragte: „Warum nutzt ihr diese Kristalle nicht für Bioreaktoren?“ Also haben wir recherchiert und uns dann vor zwei, drei Jahren auf die Bioprozess-Technik fokussiert. Im letzten Jahr haben wir EU-Förderung über Horizon2020 bekommen, mit der wir unter anderem den Prototypen von Monipa weiterentwickelt haben.

Für diesen Ansatz gibt es also einen Kundennutzen? Wer sind denn Ihre Kunden?
Müller: Das sind Biopharma-Unternehmen und Auftragsfertiger. Gerade im Bereich der Biopharma­zeutika sind Einweg­komponenten gefragt. Zum einen haben Biopharma-Unternehmen geringere Kosten und eine höhere Flexibilität und zum anderen werden Kontaminationen vermieden. Denn ist ein großer Zellkultur­ansatz im Reaktor betroffen, ist der finanzielle Schaden direkt immens. Durch die kontinuierliche Messung können die Bioprozesse zudem ständig kontrolliert werden. So kann gegebenen­falls nachjustiert werden, etwa bei der Gabe von Nährstoffen oder Ähnliches.

In alter Tradition frage ich auch Sie: Was bedeutet der Firmenname IRUBIS?
Müller: IR steht für Infrarot, denn das ist Teil der Technologie, die wir verwenden. Der restliche Teil ist eher eine Spielerei. Wir haben überlegt: Was klingt einigermaßen, lässt sich gut verstehen und schreiben. Es ist also ein Kunstwort. Aber viel spannender als der Firmenname ist vielleicht unser Produktname. Das Messgerät heißt ja Monipa. Das ist eine Kombination aus „Monitoring“ und PAT für „Process Analytical Technology“. Da haben wir uns also mehr Gedanken gemacht. [lacht] Wir wollen einen Produktnamen, der sich etablieren lässt, der gefällig ist. Unser Ziel ist, dass Monipa Goldstandard in der Bioprozess-Technik wird und dass dann irgendwann jemand sagt: „Ich arbeite gerne mit dem Monipa“.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief IRUBIS
Gründung: 2017
Sitz: München
Mitarbeiter: 19
Produkt: Gerät zur kontinuierlichen Bioprozess-Überwachung auf Basis von Mittelinfrarot-Spektroskopie

Bild: IRUBIS


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