Brisante Chefsache

(18.05.2021) Auffällige Veröffentlichungen in zwei Journals lassen den Verdacht aufkommen, eine Arbeitsgruppe poliere das eigene Publikationskonto auf.
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Editorial

Am 17. Februar 2021 erhielt die LJ-Redaktion eine E-Mail: „Auf einer Konferenz [...] ist mir eine Publikation eines Doktoranden aufgefallen, die wie ein Review aussah, bei der er aber alleiniger Autor war. [...] Sie hat ganze zwei Absätze, zitiert aber 21 Artikel – 13 davon aus dem Labor von Jan Hengstler. [...] Nach einer kurzen Suche bin ich auf weitere solche Artikel gestoßen – ohne dass Herr Hengstler jemals als Autor auftritt. [...] Auffällig ist auch, dass diese Artikel überwiegend in Archives of Toxicology oder im EXCLI Journal erschienen. Bei beiden Journalen ist Herr Hengstler der Editor.“

Werfen wir zur Klärung zunächst einen Blick in die Archives of Toxicology. Die Zeitschrift erscheint monatlich. Bereits ein Blick in ihre Oktober­ausgabe 2020 erstaunt. Neun der darin enthaltenen 27 Publika­tionen richten sich als Letter to the Editor an Jan Hengstler und wurden von Allein­autoren verfasst – allesamt Mitarbeiter von ihm am IfADo. In den neun Leserbriefen verweisen 113 von 177 Referenzen auf Hengstler.

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Kreis geschlossen

Jan Hengstlers insgesamt 109 Originalartikel und Reviews als Erst- oder Letztautor erbrachten 4.578 seiner 12.164 Fremd­zitierungen. 704 dieser 4.578 Zitierungen entspringen Publika­tionen seiner wissen­schaftlichen Mitarbeiter. Gleichzeitig erhielten diese Erst- und Letztautor­schaften 1.191 von 4.578 Zitierungen aus Veröffent­lichungen in Arch. Toxicol. und dem EXCLI Journal. Insgesamt sammelte er 2.381 Zitierungen aus den beiden Fachblättern ein.

Diese Zahlenwerte schließen den Kreis zur Arch.-Toxicol.-Ausgabe vom Oktober 2020. Tatsächlich finden sich in Arch. Toxicol. und dem EXCLI Journal seit 2008 mindestens 159 derartige Letters to the Editor, Highlight Reports und Editorials. Im Jahr 2020 erbrachte jedes dieser Elaborate durch­schnittlich zwölf Zitierungen für Hengstler. In vergleich­baren Editorials anderer Fachzeit­schriften erwähnten ihn seine Mitarbeiter dagegen insgesamt nur zweimal seit 2008. Ihr diesbezüg­licher Zitiereifer scheint sich also auf die von Hengstler geführten Journale zu beschränken.

All diese Leser­beiträge wurden von einem, selten zwei oder drei, von insgesamt 25 Autoren mit Adresse am IfADo verfasst. Nur IfADo-Projekt­gruppen­leiter Ahmed Ghallab und seine Mitarbeiterin Reham Hassan bilden die Ausnahme. Für ihre 41 Editorials und Leserbriefe nutzten sie ihre Zweit-Affiliation an der South Valley University in Qena, Ägypten. Auf ihre Anstellung am IfADo deutet nichts hin.

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Aus Journal Club wird Letter

Die meisten dieser Beiträge sind nach dem gleichen Schema aus zwei Absätzen aufgebaut und verwenden in 300 bis 500 Worten wiederkehrende Formu­lierungen. Laut zweier IfADo-Mitarbeiter des Forschungs­bereichs Toxikologie entspringen sie regelmäßigen Literatur­seminaren im Institut. In diesen Journal Clubs stellen Doktoranden Fremd­publikationen vor und werden vom Umfeld am Institut ermutigt, ihre Vorträge dann als Highlight Report oder Letter to the Editor zusammen­zufassen. Niemand fordere sie dazu auf oder setze sie gar unter Druck. Allerdings kennen sie es von früheren Doktoranden nicht anders.

Ihre Vorliebe für Arch. Toxicol. begründen sie damit, dass es das Hauptjournal der angewandten Toxikologie-Forschung mit dem höchsten Impact-Faktor sei, dass es auch Diskussions­beiträge von Junior Scientists ermögliche – und dass sie sich überdies in Publikations­fragen auf die Erfahrung ihrer Senior­autoren verließen. Wegen Jan Hengstlers Position als Editor-in-Chief von Arch. Toxicol. sei die Fachzeit­schrift im Haus natürlich auch bekannter. Beide Mitarbeiter wünschten, dass das Laborjournal ihre Original­zitate nicht verwendet.

Welche Funktion haben solche Gastkommentare, die fast nicht beachtet werden (die Hälfte aller Arch.-Toxicol-Editorials und -Leserbriefe von Hengstlers Mitarbeitern blieb unzitiert), aber überpro­portional den Editor-in-Chief einer Fachzeitschrift zitieren? Hengstler klärt auf: „Ich sehe die Vorteile eines offenen Diskussions­forums größer, als den Nachteil, dass dadurch etwas Schwaches erscheinen kann. Es gibt sehr gute und kritische Kommentare, zum Beispiel einen, der auf einen Fehler hinweist, der beim Review-Prozess übersehen wurde. Kommen­tierende und diskutierende Beiträge sind willkommen, aber auch eindeutig als solche gekenn­zeichnet; bisher ist keiner dieser Beiträge abgelehnt worden.“

Wer sieht die Manuskripte?

Letzteres überrascht nicht, denn die Richtlinien von Arch. Toxicol. verraten zweierlei: „Letters and guest editorials represent personal opinion and will therefore not be peer-reviewed.“ Da die Kontroll­instanz einer wissen­schaftlichen Begutachtung entfällt, obliegt es also dem Editorial Board, solche Beiträge zu akzeptieren. Weiter heißt es: „We accept a maximum of three references.” Diese Regel wiederum hält keiner der Gast­kommentare von Hengstlers Mitarbeitern ein, die Laborjournal untersucht hat. Das Editorial Board toleriert es.

Hengstler stellt dazu klar: „Alle Kommentare sind als Editorial Material ausgewiesen. Ein Bibliograph kann sehr einfach Referenzen aus Original­arbeiten und Kommentaren auseinan­derhalten.“ Prinzipiell ist das natürlich möglich. Bei der Ermittlung der Impact-Faktoren von Fachzeit­schriften wie Arch. Toxicol. und dem EXCLI Journal geschieht es nachweislich nicht.

Aus der Nachfrage von Laborjournal aufgrund der erwähnten kompro­mittierenden E-Mail-Zuschrift zog Jan Hengstler jedenfalls direkte Konsequenzen: „Bei einem Vorwurf möglichen Fehlverhaltens bin ich einem bestimmten Prozedere verpflichtet und habe wie vorgesehen Ihre Nachricht der zuständigen Person weitergeleitet, sodass der Sachverhalt jetzt extern untersucht wird.“ Wer diese zuständige Person sei und welche Funktion sie in welcher Institution ausübe, wollte Hengstler allerdings nicht mitteilen.

Henrik Müller

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 5/2021.

Bild: Pixabay/422737

 

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