Ohne Ergebnisse mit aufs Paper

(14.05.2019) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Wie eine Jungforscherin Koautorin auf einem Paper wird, obwohl darin keine Ergebnisse von ihr stehen.
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Editorial

Kaum eine Angelegenheit ist in der Forschung so sensibel, wie die Autorenliste eines Papers zusammenzustellen. Habe ich niemanden vergessen, der es verdient hat? Oder hat es jemand vielleicht doch nicht verdient, „mit drauf“ zu sein? Sind bei der Reihenfolge die jeweiligen Beiträge alle richtig gewichtet? Ist Autorin Nummer drei womöglich doch „equally contributing“ wie die Nummern 1 und 2? Und und und …

Als wäre all dies nicht schon kompliziert genug, haben drei Autoren aus Schweden und den USA diesem „Wespennest" jetzt noch einen weiteren delikaten Aspekt hinzugefügt. In ihrem Paper „How to Handle Co-authorship When Not Everyone’s Research Contributions Make It into the Paper“ entwickeln sie ein exemplarisches Szenario, warum eine Jungforscherin als Koautorin auf einem Paper erscheinen sollte, obwohl die Ergebnisse aus ihrer Mitarbeit an dem zugrundeliegenden Projekt gar nicht darin aufgenommen wurden (Sci. Eng. Ethics 27: 27).

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Ergebnisse passen nicht ins Konzept des Papers

Hier sei das Szenario sinngemäß referiert:

Zwei Senior-Forscher und drei Jung-Forscherinnen arbeiten gemeinsam an einer Studie. Einer der „Senioren“ trägt die Hauptverantwortung für die Konzeption und das Design der Studie und übernimmt die Rolle des Principal Investigators (PI), während der andere maßgeblich mit Vorschlägen und methodischem Input hilft sowie auch selbst im Labor Daten mitproduziert. Ansonsten ist Laborarbeit unter den drei Nachwuchswissenschaftlern Ann, Bo und Choi derart aufgeteilt, dass sie jeweils für einen Teil des Designs und der Laborarbeit voll verantwortlich sind – von der Datensammlung über die Analyse bis hin zur Interpretation der Ergebnisse.

Nach einiger Zeit liefern Ann, Bo und Choi schließlich wie geplant ab. Zusammen sichtet und diskutiert das Team die Ergebnisse – und am Ende sind sich alle Beteiligten einig, wie die Erkenntnisse präsentiert werden sollen. Dabei stellt sich allerdings heraus, dass die Analysen von Ann und Bo gut zum Konzept des Papers passen, Chois Analysen jedoch außerhalb des Rahmens der beschlossenen Darstellung liegen. Folglich sollen sie nicht in das Manuskript aufgenommen werden.

An dieser Stelle beginnt jetzt eine interessante Diskussion in der Gruppe. Soll Choi dennoch mit als Koautorin auf das Paper genommen werden? Sicherlich wird sie ihren Teil zur Überarbeitung des Manuskripts beitragen sowie die endgültige Version absegnen – womit sie das zweite und dritte Kriterium des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) für eine Autorschaft erfüllen würde. Aber hat sie einen „substanziellen Beitrag“ zur Arbeit gemäß dem ersten Kriterium der ICMJE-Empfehlungen geleistet?

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Substanzieller Beitrag ohne Ergebnisse?

Choi hat das Projekt während der gesamten Laufzeit bei den Team-Meetings konstruktiv mitdiskutiert, sie half bei der Planung ihres Teils der Experimente und führte sie durch, sie sammelte und analysierte die Daten und beteiligte sich an der Interpretation der Ergebnisse. Allerdings war sie in diesem frühen Stadium ihrer Karriere – ähnlich wie Ann und Bo – nicht in der Lage, zur Gesamtkonzeption und zum übergreifenden Design des Projekts beizutragen. Folglich kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass Choi keinen wesentlichen Beitrag zur Arbeit geleistet hat. Vor allem, da ihre Ergebnisse – letztlich also ihr Hauptbeitrag – nicht im endgültigen Manuskript auftauchen.

Wie also ist zu verfahren?

Nehmen wir an, Chois Beiträge sind eindeutig substanziell genug, um sie als Autorin mit auf das Paper zu nehmen, falls ihre Daten und Analysen in das Manuskript aufgenommen würden. Wenn sie nun aber nicht enthalten sind, bedeutet das automatisch, dass Choi nicht als Autorin aufgeführt werden sollte? Und falls eben doch, wie wäre das mit dem Kriterium eines substanziellen Beitrags vereinbar?

Situationen wie die von Choi zeigen, dass das Kriterium eines „substanziellen Beitrags“ in den ICMJE-Empfehlungen zu vage formuliert ist. Was genau zählt beispielsweise überhaupt als Beitrag? Und ab wann ist solch ein Beitrag groß genug, um „substanziell“ zu sein?

In Chois Fall stellt sich daher konkret die Frage: Kann ein „substanzieller Beitrag“ nur das sein, was am Ende als tragende Größe mit ins Paper einfließt? Oder kann es sich schon bei der Teilnahme an einem Forschungsprozess, ohne die das Paper so nicht ins Ziel gekommen wäre, um einen substanziellen Beitrag handeln? Während Choi sich im ersten Sinne nicht für eine Autorschaft qualifizieren würde, könnte die zweite Interpretation des Kriteriums diese durchaus ermöglichen. Es bleibt schlichtweg die Frage, welche der beiden Interpretationen von „substanziellem Beitrag“ in dieser Konstellation die plausiblere ist.

Das Problem pflanzt sich fort

Dummerweise könnte sich diese unklare Situation leicht weiter fortpflanzen. Nehmen wir dazu an, die Gruppe sei der obigen Argumentation gefolgt und hätte Choi aufgrund ihrer substanziellen Beiträge zum gesamten Forschungsprozess des Projekts als Mitautorin in das Paper mit aufgenommen – obwohl ihre konkreten Ergebnisse darin nicht auftauchen. Schnell wären damit weitere Komplikationen vorprogrammiert.

Stellen wir uns etwa weiter vor, die Seniorautoren kämen später auf die Idee, die in diesem Artikel nicht berücksichtigten Ergebnisse von Choi in ein zweites Paper aufzunehmen, da sie hierfür relevanter wären. Eigentlich müsste Choi auf diesem zweiten Paper somit als Koautorin erscheinen. Aber liefe das nicht auf eine unfaire Form der Doppelberücksichtigung hinaus? Das wäre wohl nur vertretbar, wenn die Art des „substanzielle Beitrags“ zu beiden Artikeln unterschiedlich sein würde – was nicht dasselbe ist wie die Forderung, dass der Beitrag unterschiedliche Datensätze betreffen muss.

Sicher, Choi war womöglich nicht Teil des initialen Forschungsprozesses und vielleicht auch nicht intellektuell an den Fragen beteiligt, die in dem zweiten Paper angesprochen werden. Aber sobald sie mit ihrem empirischen Beitrag – also denjenigen Daten, die aus dem ersten Paper ausgelassen wurden – in das zweite Paper miteinbezogen wird, kann sie sich auf die größeren Fragen dieses zweiten Papiers einlassen und auch intellektuell dazu beitragen. Was die Rechtfertigung noch erhöht, Choi auch im zweiten Artikel als Koautorin aufzuführen.

Allerdings könnte es in diesem Szenario leicht zu einer Art Backfire-Problem kommen. Wenn Choi folglich Koautorin auf beiden Papern wäre, könnten Ann und Bo berechtigterweise fragen, warum sie nicht in das zweite Paper mit aufgenommen wurden. Denn wenn Choi trotz Weglassens ihres Ergebnisbeitrags Koautorin des ersten Papers ist, weil ihre Arbeit dennoch einen wichtigen Teil des zugehörigen Forschungsprozesses darstellte – können Ann und Bo dann nicht mit derselben Begründung fordern, als Koautoren in das zweite Paper mit einbezogen zu werden?

Ein generelles „Ja“ kann sicherlich nicht die Antwort sein. In diesem Fall müsste also wieder neu geprüft werden, ob Ann und Bo ebenfalls „substanzielle Beiträge" im oben diskutierten Sinne zum zweiten Paper geleistet haben, obwohl keine konkreten Ergebnisse von ihnen darin auftauchen.

Grundsätzlich aber sollte durch dieses Szenario vor allem eines illustriert sein: Dass nämlich das Problem des „substanziellen Beitrags“ wegen seiner vagen Definition womöglich immer weiter aufgeschüttet wird – mit der Konsequenz, dass man in jedem Einzelfall die Zusammensetzung der Autorenlisten noch viel gründlicher prüfen muss. 

Ralf Neumann

(Illustr.: Pixabay)

 

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Letzte Änderungen: 14.05.2019