Es geht auch ohne Nitro

(29.04.2021) Koppelt man die Test-Antikörper für Lateral Flow Assays an einen Cellulose-Anker, kann man die Teststreifen auch aus Papier fertigen.
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Lateral Flow Assays, kurz LFA, erleben dank SARS-CoV-2 einen weltweiten Boom. Sie werden aber schon lange als leicht handhab­bares Werkzeug zum Nachweis von Hormonen-, DNA-, Antigenen- oder Antikörpern in Urin-, Blut- oder Umwelt­proben eingesetzt. Sie bestehen fast immer aus einer Nitrocellulose (NC)-Folie, auf der in wenigen Zentimetern Abstand Test- und Kontroll­linien mit immobili­sierten Antikörpern oder anderen Capture-Molekülen aufgebracht sind. Als Startpunkt dient ein sogenanntes „Sample Pad“, das Antikörper – oder Antigene enthält, die meist mit entsprechenden Goldnano­partikeln konjugiert sind. Die Proben­flüssigkeit wird auf das „Sample Pad“ aufgetragen und löst die Nanopartikel-Konjugate aus dem „Sample Pad“ heraus. Anschließend wandert die Flüssigkeit zu einem „Absorption Pad“ am anderen Ende des NC-Teststreifens. „Sample“ und „Absorption Pad“ bestehen zumeist aus Cellulose, der eigentliche Teststreifen dagegen aus Nitrocellulose.

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Wandernde Flüssigkeiten

Eine Gruppe um Harald Kolmar von der TU Darmstadt und Gerhard Schwall vom Merck Lab an der TU Darmstadt fragte sich, ob dieser teure und nicht besonders umwelt­schonende Materialmix tatsächlich nötig ist. Schließlich ist Nitro­cellulose nicht das einzige Matrixmaterial, durch das aufgesaugte Flüssig­keiten wandern und mitlaufende Moleküle transportieren können. Das geht auch mit Cellulose. Die wäre wesentlich billiger und auch nicht so knick­anfällig wie Nitrocellulose. Aber wie lassen sich Antikörper auf einem Teststreifen aus Cellulose immobilisieren? Einfach nur auftropfen und trocknen lassen funktioniert nicht, denn die vorbeiziehende Proben­flüssigkeit würde die Antikörper teilweise erfassen und mitnehmen. Die Testlinie beziehungs­weise das Signal würde hierdurch verschwimmen – die Antikörper müssen deshalb in der Cellulose verankert werden.

Den geeigneten Papieranker fanden die Darmstädter Forscher im Cellulosom des Mikro­organismus Clostridium thermocellum, das seinen Energie­haushalt mit dem Zerlegen von Papier bestreitet. Die Gruppe exprimierte das knapp 20 kDa große Carbohydrate Binding Module (CBM) des Cellulosom-Komplexes als rekombinantes Fusionsprotein mit verschiedenen Einzelketten-Antikörper-Fragmenten (CBM-scFV) oder kompletten Antikörpern (CBM-IgG).

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Antikörper mit Schwänzchen

Dass CBM sich tatsächlich an die Cellulose­matrix krallt bewiesen Tests mit radioaktiv markierten (125I) Proteinen. Im Dot-Spot-Prinzip setzten die Forscher Tröpfchen auf ein präpariertes Papier, das bis auf die regelmäßigen Aussparungen von einer Wachs­schicht überzogen war. Nach Antrocknen sowie mehrmaligem Waschen – wahlweise in Puffer (TBS) mit BSA, Tween-20 oder Casein – maßen sie die Radio­aktivität. Auf Cellulose hafteten Antikörper mindestens doppelt so stark, wenn sie mit einem CBM-Schwänzchen ausgestattet waren.

Die Darmstädter testeten drei Papier­qualitäten mit unterschiedlich schnellem Kapillarfluss (C60, C120, C180), die in etwa den klassischen NC-Membranen (HiFlow75, HiFlow120, HiFlow180) entsprechen. In einer Verdünnungs­reihe mit dem Schwanger­schaftshormon hCG schnitt C120 am besten ab. Das Team wählte dieses Papier schließlich für einen „Corona-Teststreifen“ aus, der Antikörper gegen SARS-CoV-2 detektiert.

Doppelt gut

Mithilfe der CBM-Fusionen verankerten die Forscher CBM-scFv oder CBM-anti-hIgG auf den Teststreifen aus Papier, die als Detektions-Antikörper für SARS-CoV-2 spezifische Antikörper dienten. Auf diese Weise konnten sie positive Serumproben erkennen, wenn diese mindestens 125 Nanogramm anti-SARS-CoV-2-Antikörper enthielten.

Die Darmstädter vermuten, dass der CBM-Anker eine Doppelrolle übernimmt. Neben der Haftung an Cellulose sorgt er offensichtlich auch für eine günstige Ausrichtung der an ihm hängenden Antikörper.

Andrea Pitzschke

Elter A. et al. (2021): Carbohydrate binding module-fused antibodies improve the performance of cellulose-based lateral flow immunoassays. Scientific Reports, 11:7880

Bild: Pixabay/webandi