B.1.1.7, B.1.177 oder A.23.1

(15.03.2021) SARS-CoV-2 hat inzwischen so viele Mutationen, dass man schnell die Übersicht verlieren kann. Zum Glück gibt es gut sortierte Datenbanken.
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Editorial

Seit das neue Coronavirus begann, sich seinen Weg durch die Weltbevöl­kerung zu bahnen, verändert es sich ständig. Wie man es von einem ordentlichen Virus erwartet, tauscht es einzelne Basen aus und verliert auch mal ein paar. Umgangs­sprachlich ist dann von Virus­mutanten die Rede, biologisch korrekt würde man – je nach der Stärke der Veränderung – von neuen Linien, Subtypen oder Genotypen sprechen.

Über 12.000 Verän­derungen sammelte SARS-CoV-2 seit seiner Entdeckung in Wuhan vor gut einem Jahr an. Etwa ein Drittel sitzt im Gen für das Spike-Protein, mit dem das Virus sich an den menschlichen ACE2-Rezeptor ankoppelt. Veränderungen dort haben das Potenzial, das Virus infektiöser zu machen.

Aktuell macht sich B.1.1.7 (die „britische Mutante“) in Europa breit, B.1.1.28 in Südamerika. Woher wissen wir das und wie kommen eigentlich diese kryptischen Bezeichnungen zustande?

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Virus-Ordnung in Datenbanken

In Wuhan hatte man es mit zwei Virus­varianten zu tun, die man in die Linien A und B einteilte. Auf diesem System basierend entwickelte sich die heute gültige Nomen­klatur für SARS-CoV-2-Genotypen (Nature Microbiol, 5:1403-7). Bis heute führt man alle Varianten auf die Vorfahren von Typ A oder B zurück.

Die Sequenzen sind – soweit bekannt – in etlichen Daten­banken dokumentiert, auch in GISAID (Global Initiative on Sharing All Influenza Data), einer in Deutschland ansässigen Plattform der EU. Die Daten von GISAID und von anderen Daten­banken werden außerdem in PANGO Lineages gesammelt, die von drei britischen und einer australischen Universität gewartet wird. Zum Team gehört Andrew Rambaut von der University of Edinburgh, der schon im Juli 2020 eine klar strukturierte Katalo­gisierung forderte.

PANGO stellt wirklich sehr ansprechend in Form von Tabellen und Grafiken tagesaktuell (!) dar, wo die jeweilige Variante entstand, wie sie sich von dort aus verbreitete und mit welcher Frequenz man sie wo findet. Da kann man z.B. nachlesen, dass man im Frühjahr die Variante D614G entdeckte. Sie entpuppte sich zwar nicht als gefährlicher, aber infektiöser als bisher vorherr­schende Genotypen und verdrängte diese sehr rasch. Im Sommer 2020 entstand in Spanien die Variante B.1.177 mit der Mutation A222V. Sie ersetzte in Spanien D614G innerhalb weniger Monate, breitete sich von dort über Zentral­europa bis Island aus und diversi­fizierte sich weiter. Es ist unklar, ob die schnelle Verbreitung auf eine erhöhte Infektio­sität oder auf die Urlaubs­saison mit starker Reisetätigkeit zurück­zuführen ist.

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Beunruhigende Viruslinien

PANGO führt auch eine Rubrik namens „Lineages of Concern“. Hier ist B.1.1.7 gelistet – übrigens bitte nicht verwechseln mit oben genannter B.1.177. B.1.1.7 enthält zwei bedeutsame Verän­derungen im S-Protein: N501Y, die das Virus infektiöser macht, sowie E484K, welche die Wirkung neutra­lisierender Antikörper verringert. Möglicher­weise ist diese Virus­variante auch gefährlicher als bisherige Linien. Es wurde (Stand: 8. März) in 94 Ländern nachgewiesen. Diese Variante wurde ziemlich sicher von Land zu Land weiter­gegeben und ist nicht mehrfach neu entstanden (BioRxiv, DOI: 10.1101/2021.01.12.426373, der Preprint ist allerdings wegen Klärung der Autoren­schaft aktuell zurück­gezogen).

PANGO verzeichnet auch die „Südafrika-Variante“ B.1.351 als „Lineage of Concern“. Auch sie enthält N501Y und E484K sowie neu die Mutation K417N. Die Kombination von N501Y und K417N im S-Protein verhindert wohl die Bindung von Antikörpern (BioRxiv, DOI: 10.1101/2020.12.23.424283). Innerhalb weniger Wochen wurde B.1.351 zur dominanten Variante am Horn (MedRxiv, DOI: 10.1101/2020.12.21.20248640). Sie machte sich ebenfalls auf die Reise rund um die Welt. In Brasilien trat die Variante B.1.1.28 (früher P.1) auf. Auch sie gilt ihrer Mutationen wegen als „Lineage of Concern“.

Achtung, neue Gefahr!

PANGO klassifiziert zwei weitere Varianten als „Lineages of Note“: A.23.1, erstmals in Uganda gefunden und dort heute dominant, sowie B1.525, in Nigeria entdeckt, heute aber auch in europä­ischen Ländern zu finden. Auch in Deutschland.

Karin Hollricher

Bild: PANGO lineages

Dieser Text basiert auf Karin Hollrichers Artikel „Corona-Mutationen: Wie sich das SARS-CoV-2-Virus verändert“, zuerst erschienen auf www.vfa.de.


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