SpekTACAkulär
(04.03.2021) Für Antikörper-basierte Krebstherapien forscht das Berliner Start-up Tacalyx an Zuckerstrukturen, die sich bevorzugt auf der Tumorzell-Oberfläche befinden.
Chemiker Peter Sondermann (im Bild), CEO und Mitgründer, über Schutzgruppen, Firmengründungen und gebrochene Forscherherzen.
Herr Sondermann, was sind TACAs, also Tumor Associated Carbohydrate Antigens, und was macht sie interessant für die Entwicklung von Therapeutika?
Peter Sondermann: Aktuelle Antikörper-Therapien gegen Krebs nutzen das eigene Immunsystem, um unerwünschte Tumorzellen zu eliminieren. Allerdings wird das Target der meisten monoklonalen Antikörper eben nicht nur auf den Tumorzellen exprimiert, sondern auch auf gesundem Gewebe. Das führt zu Nebenwirkungen, wegen derer Therapeutika nur in geringer Dosis eingesetzt werden können oder die Therapiedauer verkürzt werden muss. TACAs, also spezielle Zuckerstrukturen, hingegen werden sehr spezifisch auf Tumorzellen exprimiert.
Warum ist das so?
Sondermann: Man vermutet, dass viele dieser TACA-Strukturen während der Embryogenese die Gewebe-Reorganisation initiieren. Denken wir etwa an die Kiemenspalte, die ja wieder abgetragen werden muss und dann zum Ohr wird. TACAs sind also ein physiologisches Tool, um einen intakten Menschen zu generieren. Dieses Wissen eignen sich Tumorzellen wieder an. Es bietet ihnen einen evolutionären Vorteil, sie müssen sich nicht mehr an die Regeln der normalen Zellteilung halten. Wir wissen, dass gerade auf Metastasen TACAs sehr hoch exprimiert werden und dass in Tierexperimenten diese TACAs zur Metastasierung und Malignität von Tumoren beitragen. Wir haben also die Werkzeugkiste des monoklonalen Antikörpers, ob nun als Antibody Drug Conjugate oder T-cell Engager. Was bisher fehlte, waren saubere Antigene. Da kommen die TACAs ins Spiel.
Bislang war es schwierig, TACAs in ausreichender Menge und chemisch definiert herzustellen. Was macht Tacalyx anders?
Sondermann: Wir nutzen die Synthese-Maschinerie, die Peter Seeberger maßgeblich mitentwickelt hat. Im Großen und Ganzen ist das eine aufwändige Schutzgruppen-Chemie. Denn um zwei Monosaccharide gezielt zu verknüpfen, müssen wir eine Reaktion an allen anderen funktionellen Gruppen der Saccharide verhindern. Gleichzeitig müssen wir auch noch die Stereochemie beachten, also ob wir eine alpha- oder beta-Kopplung haben. Das heißt, dass wir bei jedem Monosaccharid zehn mögliche Reaktionen haben, von denen aber nur eine erwünscht ist. Dieser gesamte Prozess ist also komplex und braucht viel chemische Erfahrung. Inzwischen läuft viel automatisiert, aber die Planung ist nach wie vor sehr aufwändig.
Haben Sie denn bereits therapeutisch relevante Kandidaten?
Sondermann: Die TACAs sind ja nur ein Werkzeug. Inzwischen haben wir zahlreiche spannende TACAs als mögliche Targets synthetisiert. Wir nutzen sie als Antigen zur Herstellung monoklonaler Antikörper, die wir im nächsten Schritt charakterisieren. Denn auch wenn wir wissen, dass die TACAs relativ Tumor-spezifisch sind, müssen wir sicherstellen, dass nicht irgendwelche Gewebe im Körper doch noch genau diese TACAs exprimieren. Daran arbeiten wir gerade.
Der Firmenname Tacalyx beinhaltet offensichtlich die TACAs. Wofür steht lyx?
Sondermann: Das kommt von Glykocalyx, also die Proteoglycanschicht, die viele Zellen umgibt. TACAs finden sich auch in dieser Schicht. Zur Namensfindung haben wir einen internen Contest gemacht. Es waren viele Namen mit „klin“ oder „mol“ am Ende. Aber Tacalyx geht leicht von der Zunge und hat am Ende die Zustimmung aller Beteiligten gefunden.
Tacalyx ist eine Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Sie sind Mitgründer, aber sind und waren nie an diesem MPI beschäftigt. Wie sind Sie da reingerutscht?
Sondermann: Das stimmt. Die Ausgründung erfolgte aus der Abteilung von Peter Seeberger, der Direktor am MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung ist. Er ist Experte für Glykowissenschaften und Forscher mit Leib und Seele. Gleichzeitig sucht er immer nach der praktischen Anwendung seiner Forschung. Inzwischen hat er acht Firmen gegründet, die kann er natürlich nicht alle selbst leiten. Deshalb hat mich Max-Planck-Innovation, die Technologietransfer-Stelle der Max-Planck-Gesellschaft, angesprochen. So bin ich dann an Bord gekommen.
Sie sind ja auch nicht ganz gründungsunerfahren, waren unter anderem bei Glycart und SuppreMol aktiv.
Sondermann: Bei Glycart bin ich kein Mitgründer gewesen, sondern nur sehr früh eingestiegen. Da hatte die Firma knapp 20 Mitarbeiter, zuletzt waren es etwa 200. Im Jahr 2005 hat Roche Glycart übernommen. SuppreMol habe ich 2002 mitgegründet. Dort haben wir an Wirkstoffen zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen und Allergien gearbeitet. Bis zum Verkauf war ich bei SuppreMol als CSO aktiv.
Der Exit war mit 200 Millionen Euro recht erfolgreich. Macht das glücklich?
Sondermann: Wenn mehr als zehn Jahre lang Venture Capital in die Firma gezogen wird, bleiben bei den Gründern eher homöopathische Anteile am Verkaufsumsatz hängen. Der eigentliche Erfolg wäre gewesen, wenn wir das Medikament, an dem wir ja seit 2000 gearbeitet haben, irgendwann auf den Markt hätten bringen können, was aber bei den dafür benötigten Summen mit Venture Capital praktisch nicht möglich ist. 2015 wurde SuppreMol von Baxter gekauft, die haben die Therapiesparte abgespalten in die Baxalta. Die wiederum wurde kurze Zeit später von Shire übernommen. Shire hatte aber im Wesentlichen Interesse an der Hämatologie. Nun ja, Shire ging dann 2018 an Takeda. Auf diesem Weg, im Laufe der Akquisitionen, sind unsere Projekte verlorengegangen.
Bricht so etwas das Forscherherz?
Sondermann: Die klinischen Daten waren gut. Natürlich ist das dann eine Enttäuschung, wenn alles in den Autoklaven wandert. Schließlich war das ein großer Teil meines wissenschaftlichen Lebens. Insofern waren die Jahre bei Glycart erfolgreicher, denn mit Gazyvaro bzw. Obinutuzumab, einem CD20-Antikörper zur Therapie von Lymphomen, gibt es ein Produkt auf dem Markt, an dem ich mitgearbeitet habe. Aber für Tacalyx habe ich aus beiden Firmen viel mitgenommen.
Die Fragen stellte Sigrid März
Bilder: Tacalyx
Steckbrief Tacalyx
Gründung: 2019
Sitz: Berlin und Potsdam-Golm
Mitarbeiter: 8
Produkt: Therapeutische Antikörper gegen Tumor-spezifische Antigene, die TACAs
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