Virus-Falle

(03.02.2021) Mit einem in Tabak­pflanzen exprimierten Lockvogel wollen Forscher SARS-CoV-2 auf die falsche Fährte führen und am Eintritt in die Wirtszelle hindern.
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Editorial

Während die von der Pandemie zermürbte Menschheit sich mit der Impfstoff­knappheit herumschlägt, wächst an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien vielleicht schon ein SARS-CoV-2-Thera­peutikum in Tabak­pflanzen heran. Eine vielköpfige Gruppe um den Pflanzen­biotechnologen Richard Strasser exprimierte eine lösliche Variante des Angiotensin-konver­tierenden Enzyms 2 (ACE2) in Tabak. Diese frisierte Version (ACE2-Fc) soll SARS-CoV-2 von den auf der Zellober­fläche exprimierten ACE2-Molekülen weglocken, die dem Virus als Türöffner in die Wirtszellen dienen.

Humanes ACE2 ist sehr üppig glykosyliert, Bakterien­kulturen kamen deshalb für die rekombinante Expression nicht in Frage. Deutlich besser geeignet sind pflanzliche Expressions­systeme, etwa die Tabakpflanze Nicotiana benthamiana – wenngleich die Glykosylierung auch in dieser nach etwas anderen Spielregeln abläuft als in tierischen Zellen.

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Modifizierter Mechanismus

Pflanzenforscher haben die Glykosy­lierungs-Mechanismen in N. benthamiana jedoch modifiziert. Durch den Knockdown der Gene für Fucosyl­transferase und Xylosyl­transferase versetzten sie die transgene Tabaklinie delta FT/NT in die Lage, rekombinante Glykoproteine mit einem humanen Glykan-Muster zu produzieren. Auch der Faktor Zeit spricht für Tabak: Die mit Agrobakterien infiltrierten Blätter fahren die Protein­produktion sofort hoch und sind innerhalb von vier Tagen erntereif.

Mit einem Trick erhöhten die Wiener die Stabilität des löslichen ACE2. Sie exprimierten das Codon-optimierte ACE2 als Fusion mit dem Fc-Fragment von humanem Immuno­globulin G. Dies erleichterte nicht nur die Reinigung aus den Tabak­blättern. Durch das kleine Anhängsel wird das lösliche ACE2-Fc auch stabilisiert (siehe dazu: Nat Commun, 11(1):2070). Zudem veränderte die Gruppe die ACE2-Sequenz in der sogenannten „Hinge“-Region. Dies sollte verhindern, dass ACE2-Fc während der Expression pflanzlichen Proteasen zum Opfer fällt.

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Routinierte Isolation

Ab hier war vieles Routine. Aus Tabak­blättern, die ACE2-Fc transient exprimierten, gewannen die Biotech­nologen einen Protein­extrakt und trugen diesen auf Protein-A-Affinitäts­säulen auf, um ACE2-Fc zu isolieren. Mit einer präparativen Größen­ausschluss-Chromato­graphie erhielt ACE2-Fc anschließend den letzten Schliff. Als Vergleich für die weiteren Experimente verwendete die Gruppe rekombinantes ACE2-Fc aus HEK293-Zellen.

Deglykosilierungs-Mobili­tätsshift- und LC-ESI-MS-Analysen ergaben, dass sich das Glykosylierungs-Muster von ACE2-Fc aus Tabak­pflanzen nicht wesentlich von dem in HEK293 produzierten ACE2-Fc unterschied. Dass in jedem zehnten ACE2-Fc-Protein aus Tabak eine der sechs N-Glycan-Positionen (N90) unmodifiziert ist, könnte sogar ein Vorteil sein, denn diese Variante scheint stärker an das Spike-Protein von SARS-CoV-2 zu binden (siehe dazu: Science, 369(6508):1261-5).

Natürliches ACE2 ist für die Blutdruck-Regulation zuständig (siehe dazu auch ein Interview mit Michael Bader) und arbeitet als Zink-Metallo-Peptidase. ACE2-Fc aus Tabak spaltete ein synthe­tisches fluorogenes Peptid­substrat genauso gut, wie das in HEK-293-Zellen exprimierte Protein. Auch dies spricht für die korrekte Faltung und Funktion von Tabak-ACE2-Fc. Bleibt noch die alles entscheidende Frage: Wie schlägt sich das in Tabak exprimierte ACE2-Fc als Lockvogel für SARS-CoV-2.

Virus-Vermehrung verhindert

Dass ACE2-Fc an das Virus bindet, zeigten die Wiener in einem Sandwich-ELISA. Dazu immobili­sierten sie ACE2-Fc auf ELISA-Platten und inkubierten diese mit verschiedenen Konzen­trationen der Rezeptor-Bindedomäne (RBD) des Spike-Proteins. Tatsächlich band in Tabak exprimiertes ACE2-Fc etwas stärker an die RBD als die aus HEK293-Zellen stammende Variante. Auch Neutrali­sations-Tests, bei denen SARS-CoV-2 mit ACE2-Fc versetzt und dann auf Vero E6-Zellen losgelassen wurde, sehen vielver­sprechend aus. Laut qRT-PCR-Daten verhindern beide ACE2-Fc-Varianten die Vermehrung des Virus gleich gut.

Andrea Pitzschke

Castilho A. et al. (2021): Generation of enzymatically competent SARS-CoV-2 decoy receptor ACE2-Fc in glycoengineered Nicotiana benthamiana. Biotechnol J, e2000566

Bild: Emw - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 (ACE2) & Pixabay/Skitterphoto (Mausefalle)