Klimaschonend, aber blutleer

(23.11.2020) Derzeit werden fast alle wissenschaftlichen Vor-Ort-Meetings abgesagt. Sind virtuelle Konferenzen ein adäquater Ersatz? Ein Selbstversuch.
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Editorial

Ich klicke auf den per E-Mail zugesandten Konferenz-Link. Das Bild des virtuellen Konferenz­plenums erscheint. Als sich nach zehn Minuten immer noch nichts auf dem Bildschirm tut, rufe ich die Veranstalter an. Ah ja, Linkadresse ist fehlerhaft! Sie senden mir einen neuen Link. Hurra, jetzt bin ich drin!

Der erste Vortrag hat bereits begonnen und geht passabel vorüber. Der zweite Redner ist gar nicht präsent – wegen Internet­problemen. Der dritte Vortragende kann seine Powerpoint-Präsentation nicht öffnen. Nach mehreren Minuten des Probierens klappt es dann. Der Vortrag verläuft problemlos, auch wenn der Redner aufgrund der verloren­gegangenen Zeit in einen Leiertonfall verfällt, als er durch seine Slideshow hastet. Nun ja, das kann auch bei einer Präsenz­veranstal­tung passieren. Bei der anschließenden Plenums­diskussion hat man allerdings vor lauter Hall Mühe, überhaupt etwas zu verstehen. Sind Online-Konferenzen wirklich die Lösung für eine CO2-sparsame Zukunft?

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Echter Kontakt fehlt

Lehrstuhlinhaber und Laborleiter, die viele Meetings absolvieren müssen, wissen die neuen digitalen Möglichkeiten aufgrund der Zeit- und Kosten­ersparnis und wegen der Bequem­lichkeit zu schätzen. Bei Online-Meetings gibt es außerdem keinen Jetlag und keine Visumspflicht. Der Nachteil: Man widmet sich möglicher­weise nicht zu hundert Prozent der Konferenz. Jeder kann einen stören. Man kann auch alles Mögliche nebenher erledigen, zum Beispiel die E-Mail-Korrespondenz oder eingehende Telefonate. Zudem fehlt die spontane und unmittelbare Begegnung und Interaktion mit den Wissen­schaftlerkollegen.

Hinzu kommt, dass durch minderwertige Laptop-Kameras und schlechte Ausleuchtung die Teilnehmer bei Online-Meetings häufig so malade und komatös aussehen, als hätten sie am Vortag zu viel gefeiert. Und: Richten die Sprecher den Laptop-Bildschirm so aus, dass sie selbst alles gut darauf erkennen können, sieht man oft nur noch den oberen Teil ihres Kopfes vor einem gleißend weißen Fenster. Auch die Technologie des virtuellen Hinter­grundes, die einem das Aufräumen des Büros erspart, funktioniert nicht immer einwandfrei.

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Es gibt viel zu verbessern

Die in Cambridge, Großbritannien, ansässige, nicht-profitorientierte Company of Biologists findet klimaschonende Online-Konferenzen dennoch prima und will sie verbessern. Deshalb hat sie eine Initiative ins Leben gerufen, die spezialisierte IT-Lösungen und technische Entwicklungen für nachhaltige Meetings finanziell fördert. Zum Beispiel eine Konferenz-App, die es erleichtert, Poster und Vorträge online zu teilen und zu kommentieren. Außerdem sollen Informationen und Leitlinien für Organisatoren von nachhaltigen Konferenzen ausgearbeitet werden.

Trotz Online-Angeboten werden nach der Pandemie auch wieder viele Vor-Ort-Konferenzen stattfinden. Naturgemäß reisen dazu viele Teilnehmer aus aller Welt an. Daher ist es zweitrangig, ob die Konferenz in einem anonymen, graugetönten, sedierend wirkenden Messegebäude in Amsterdam oder in einem schicken Hotel auf den Bahamas stattfindet. Wesentlicher als der CO2-Fußabdruck ist ohnehin, ob der wissen­schaftliche Austausch gut ist und Zusammen­arbeiten entstehen.

Sollen wir nun aus Klimagründen zu Präsenz­veranstaltungen in den USA statt mit dem Flugzeug mit der Rennyacht schippern wie Greta Thunberg oder klimaneutral mit dem Tretboot über den Atlantik strampeln wie einst der inzwischen verstorbene Survival-Spezialist Rüdiger Nehberg? Ein paar Wochen Urlaub vom Labor, das wäre doch was!

Neues Leben für alte Ideen

Spaß beiseite. Die Company of Biologists schlägt für lokale Reisen zu Konferenzen die Möglichkeit zum Car-Sharing vor und bietet im Rahmen ihrer Initiative die Förderung von Zugreisen zu von ihr gesponserten Konferenzen an. Die Junge Akademie an der Berlin-Branden­burgischen Akademie der Wissenschaften rät, bei Anreise mit Zug oder Fahrrad eine geringere Kongressgebühr zu verlangen.

Nun ist der Zug ohnehin schon ein beliebtes Reisemittel bei Fernreisen und das Fahrrad ist in Universitäts­städten ein gebräuchliches Verkehrsmittel. Ist man ortsfremd, ist es vielleicht angenehmer, mit dem Bus oder Taxi vorzufahren, als durch den Wald oder obskure Stadtviertel zum entlegenen Veranstal­tungsort zu wandern.

Also doch lieber Online-Konferenzen statt Präsenz­veranstaltung? Universitäten und Forschungs­einrichtungen sollten entsprechende, gut ausgestattete Streaming-Räume anbieten, empfiehlt die Junge Akademie. Das klingt gut! Selbst Promotions-Verteidigungen könnten online abgehalten werden und Berufungs­kommissionen digital tagen, so ein Ratschlag aus ihrem Maßnahmen­katalog für einen nachhaltigeren Wissenschaftsbetrieb.

Nachhaltiges Get-together

Im Zuge der anhaltenden Pandemie bleibt vielleicht gar keine andere Wahl. Auch regt die Junge Akademie an, die Zahl der Konferenz­besuche pro Forschungsantrag zu begrenzen. In Form einer Ideen­sammlung bietet sie weitere Praxistipps, wie das Online-Meeting gelingen kann. Beim im Maßnahmen­katalog vorgeschlagenen virtuellen Umtrunk wurde ich dann doch etwas skeptisch.

Bei wichtigen Konferenzen oder Workshops in kleinerem Kreise wollte ich den persönlichen Kontakt nicht missen. In Zeiten der Pandemie und Reise­beschränkungen sind Online-Konferenzen ein guter und kosten­günstiger Ersatz, aber bei den gängigen technischen Lösungen doch noch etwas zu blutleer und zweidimensional.

Bettina Dupont

Bild: Pixabay/Alexandra_Koch



Letzte Änderungen: 23.11.2020