Antike Antikörper
(19.11.2020) In einer über 20 Jahre alten, kombinatorischen Antikörper-Bibliothek finden Forscher drei äußerst spezifische Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Seit dem Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wird mit Hochdruck an Therapien und Impfstoffen gearbeitet. Neutralisierende monoklonale Antikörper erwiesen sich als besonders wirksam bei der Therapie von SARS-, MERS- und Ebola-Infektionen und stehen deshalb auch in der aktuellen Pandemie im Fokus. Die meisten neutralisierenden Antikörper binden an die Rezeptorbindedomäne (RBD) des Spike-Proteins (S) von SARS-CoV-2, manche jedoch auch an die N-terminale Domäne.
Gewonnen werden sie unter anderem aus Gedächtnis-B-Zellen von genesenen SARS-CoV-2-Patienten, früheren SARS-Patienten, immunisierten transgenen Mäusen oder aus Phagen-Display-Antikörper-Bibliotheken.
Vielfalt in Bibliothek
Die Antikörper entstehen aus dem Repertoire der B-Zellen durch Mutation und Selektion. Diesen Prozess kann man mithilfe von kombinatorischen Antikörper-Bibliotheken im Reagenzglas nachahmen. Die zufällige Kopplung von VH- und VL-Sequenzen in Single-Chain-Antikörper (scFv)-Bibliotheken führt zu einer großen Diversität neuer Antikörper mit hoher Bindungsaffinität und Neutralisations-Effizienz.
Solch eine kombinatorische Antikörper-Bibliothek hatte Kim Jandas Gruppe 1999 am Scripps Research Institute in Kalifornien aus peripheren mononukleären Blutzellen (PBMC) erzeugt, die von 50 gesunden Probanden stammten (J Am Chem Soc, 121(27):6517–8). Der Antikörper-Spezialist Richard Lerner, der schon seit über 50 Jahren am Scripps Research Institute in La Jolla forscht, erinnerte sich offensichtlich an Jandas Antikörper-Bibliothek und startete mit Kollegen von der ShanghaiTech University und der Universität Oxford, UK, ein interessantes Experiment: Die Gruppe suchte in der alten Antikörper-Bibliothek nach Kandidaten, die SARS-CoV-2 binden.
Fischen nach Phagen
Dazu konstruierten die Forscher zunächst mithilfe der rekombinanten Rezeptorbindedomäne des Spike-Proteins (S-RBD) eine Sonde, die sie via Biotinyl-Streptavidin auf Magnet-Beads immobilisierten. Mit der S-RBD-Sonde fischten sie anschließend mit der Panning-Technik Phagen aus einer kombinatorischen scFv-Antikörper-Phagenbibliothek heraus, die spezifisch an S-RBD banden. Zusätzlich suchten sie gezielt nach Antikörpern, die auch an den ACE2-Rezeptor andocken und über den SARS-CoV-2 in die Zellen gelangt. Um nur Antikörper zu selektieren, die beide Ziele erkennen, eluierten die Wissenschaftler Phagemide, die an S-RBD gebunden hatten, mit rekombinantem hACE2.
Nach drei Panning-Runden wählten die Wissenschaftler 22 der scFv-Antikörper aus, die spezifisch an S-RBD banden und erzeugten aus diesen mithilfe eines Expressions-Systems vollständige monoklonale Antikörper (mAbs). Die drei aussichtsreichsten mAbs (S-B8, S-D4 und S-E6) reinigte die Gruppe.
Alle drei banden sehr spezifisch an das Spike-Protein von SARS-CoV-2, das die Forscher zusammen mit dem Spike-Protein von SARS in HEK293T-Zellen exprimierten. Darüber hinaus konkurrierten sie in einem ELISA-Assay sehr stark mit ACE2 um die Bindung an S-RBD und erkannten auch natürliche Mutanten des Spike-Proteins, die häufig mit schweren Krankheitsverläufen assoziiert sind.
Virus blockiert
Ein entscheidender Schritt bei der Infektion von Zellen durch SARS-CoV-2 ist die Membranfusion nach Bindung an den ACE2-Rezeptor. Tatsächlich verhinderten S-B8, S-D4 und S-E6 die Spike-abhängige Membranfusion sehr wirkungsvoll. S-D4 und S-E6 blockierten die Virusinfektion sogar komplett.
Bei Strukturanalysen stießen die Forscher auf ein interessantes Merkmal von S-B8, S-D4 und S-E6: Im Vergleich zu neutralisierenden Antikörpern aus COVID-19-Patienten fiel bei diesen eine hohe Zahl somatischer Hypermutationen auf, die für die spezifische Interaktion mit S-RBD verantwortlich sind. Somatische Hypermutationen in Antikörpern entstehen während der sekundären Immunantwort, die besonders effektive Antikörper hervorbringt. Diese Antikörper erkennen Antigene auch noch nach Jahren und sind insbesondere für die Schutzwirkung von Vakzinen entscheidend. Die Gruppe vermutet deshalb, dass Antikörper aus kombinatorischen Antikörper-Bibliotheken wirksamer sein könnten als solche, die in vivo entstehen und nur eine sehr limitierte Zeit zur Evolution haben. Und die Gruppe fragt sich natürlich auch, welches Antigen vor 20 Jahren die Produktion spezifischer Antikörper gegen SARS-CoV-2 in den B-Zellen gesunder Personen auslöste.
Miriam Colindres
Qiang M. et al. (2020): Potent SARS-CoV-2 neutralizing antibodies selected from a human antibody library constructed decades ago. BioRxiv, DOI: 10.1101/2020.11.06.370676
Bild (bearbeitet): National Institute of Standards and Technology