Bienchen und Blümchen

(29.10.2020) Faszinierten Christian Konrad Sprengel so sehr, dass er vor 230 Jahren den Grundstein für eine ganz neue Disziplin der Botanik legte: die Blütenbiologie.
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Editorial

Sehr unzufrieden war er mit seinem Beruf, als Lehrer einer Schule im heutigen Berlin-Spandau. Die Kinder wollten nicht hören, die betuchten Eltern hatten kein Verständnis für seine Unter­richts­methoden und dann war da auch noch sein Vorgesetzter, mit dem er immer wieder aneinander­geriet. Machte er einen Verbesserungs­vorschlag wurde dieser nur widerwillig angenommen oder abgelehnt. Dabei hätte man die Kinder viel besser unter­richten können.

Wie schön war es hingegen in der Natur – keine wider­spenstigen Kinder, keine nörgelnden Eltern, kein besser­wisserischer Vorgesetzter. Nur Pflanzen mit wunder­schönen Blüten in so vielen verschiedenen Formen und Farben – und diese Düfte erst. Und wenn man seine Augen nur lange genug an diesen Wunder­werken der Natur labte, sah man ab und zu ein Insekt auf ihnen landen und nach etwas suchen… Nektar.

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Philosophisches Hobby

So kam es, dass ein Hobby-Pflanzen­forscher oder „philosophischer Botaniker“, wie er sich selbst nannte, vor 230 Jahren ein neues Fach der Botanik begründete, die Blüten­biologie oder Blüten­ökologie. Denn eigentlich hatte der gebürtige Brandenburger Christian Konrad Sprengel an der Universität Halle Theologie und Philosophie studiert.

Nur mit einer Taschenlupe bewaffnet, begann er, in den 1780er-Jahren damit, Pflanzen unter eben diese Lupe zu nehmen. Dabei entdeckte er in der Nähe von Berlin auch ganz neue Arten, wie das Grünliche Leimkraut (Silene chlorantha), das der ausgebildete Botaniker Carl Ludwig Willdenow 1787 erstmals wissen­schaftlich beschrieb.

Er interessierte sich aber auch für bereits bekannte Pflanzen, wie den Waldstorch­schnabel (Geranium sylvaticum). In der Blüte erkannte er feine Härchen an bestimmten Stellen der Kronblätter. Und in der Sumpf-Vergiss­meinnicht-Blüte (Myosotis palustris) einen sehr auffälligen, gelben Ring. „Ueberzeugt, daß der weise Urheber der Natur auch nicht ein einziges Härchen ohne eine gewisse Absicht hervor­gebracht hat, dachte ich darüber nach, wozu denn wohl diese Haare dienen möchten“, schrieb er dazu in seinem Buch mit dem Arbeitstitel „Versuch die Konstruktion der Blumen zu erklären“.

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Das Geheimnis der Blumen

Eigentlich war dieses Werk für die Leipziger Buchmesse zu Ostern 1790 angekündigt, Sprengels Unter­suchungen an mehr als 400 Pflanzen zog sich aber noch einige Jahre hin, so dass es letztendlich erst 1793 veröffentlicht werden konnte – unter dem neuen Titel: „Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruch­tung der Blumen“, später von Sprengel einfach nur „Mein Blumenwerk“ genannt. Seine Vermutung: die Härchen dienten dazu, den Nektar vor Regen zu schützen, und der gelbe Ring als Wegweiser für Insekten.

Obwohl zur damaligen Zeit noch einige an der Sexualität von Pflanzen zweifelten, war Sprengel klar, dass Pflanzen männliche und weibliche Merkmale besitzen. Weit verbreitet war jedoch die Annahme, dass sich Pflanzen einfach selbst bestäuben. Dagegen sprach, so Sprengel, die Morpho­logie der Blüten und die Dichogamie – Stempel und Staub­blätter einer Blüte sind nicht gleichzeitig geschlechts­reif. „So scheint die Natur es nicht haben zu wollen, daß eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet werden sollte“, bemerkte er passend.

Wie aber gelangte der Pollen auf den Stempel? Wind und Insekten kamen dafür infrage, wobei man Letzteres eher für eine Zufalls­begebenheit hielt, eine „Kontamination“. Dass die Pflanze extra Nektar produziert und mit auffälligen Farbmustern um Insekten wirbt, damit diese sie dann bestäuben, war unerhört. All die betörenden Farben, Formen und Düfte von Pflanzen waren doch nur um ihrer selbst willen von einem höhen Wesen geschaffen worden, oder maximal um den Menschen zu erfreuen. Insekten und Pflanzen haben sich einander angepasst, ihr Leben steht in direkter Beziehung zueinander? Niemals! Darwin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal geboren.

Das echte Leben

Anders als seine studierten Kollegen, die Pflanzen zum Studium trockneten, pressten und in ein Herbarium klebten, hatte Sprengel seine Beobach­tungen direkt in der Natur gemacht. Im echten Leben. Nur deshalb konnte in ihm schließlich diese Erkenntnis reifen: „Meine Unter­suchungen überzeugten mich immer mehr davon, daß viele, ja vielleicht alle Blumen, welche Saft haben, von den Insekten, die sich von diesem Saft ernähren, befruchtet werden, und daß folglich diese Ernährung der Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in Ansehung der Blumen aber nur ein Mittel und zwar das einzige Mittel zu einem gewissen Endzweck ist, welcher in ihrer Befruch­tung besteht, und daß die ganze Struktur solcher Blumen sich erklären läßt.“ Das Geheimnis war gelüftet: Pflanzen setzen auf Fremdbestäubung und produzieren dafür Nektar sowie Duft- und Farbsignale, um Insekten anzulocken.

Wie nicht anders zu erwarten, stieß die Entde­ckung zunächst auf einige taube Ohren – bei Botanikern, aber auch anderen natur­kundlich bewanderten Persönlichkeiten. „Sie [die Sprengelische Vorstellungsart] legt nur der Natur einen mensch­lichen Verstand unter und lässt diese erhabene Mutter lebendige Wesen auf eben die Art hervorbringen, wie wir Flinten fabriciren, Kugeln gießen und Pulver bereiten, um endlich einen Schuß zu erzwecken. Diese Vorstel­lungsart, wie alle die ihr ähnlich sind, führen uns, meines Bedünkens, von dem wahren Wege der Physiologie ab“, schrieb etwa ein gewisser Herr Geheimrat von Goethe 1794 in einem Brief.

Ein „Meister Stük“

Aber es gab auch einige Kollegen, die Sprengel „Scharfsinn, genauen Beobach­tungsgeist und unermüdeten Fleiß und die richtige und klare Darstellung der Dinge“ atestierten und sein Blumenwerk als „Meister Stük, ein Original welches ihm Ehre macht u. worauf ganz Deutschland stolz seyn kann“ bezeichneten. 1794 benannte der ausgebildete Botaniker James Edward Smith gar eine Pflanze nach dem Hobby-Botaniker: Sprengelia incarnata, eine australische Pflanze aus der Familie der Heidekraut­gewächse.

Die weniger wohl­wollenden Meinungen überwogen jedoch. Hielten Sprengel jedoch nicht davon ab, 1811 ein zweites Buch zu veröffent­lichen und zwar über die Nütz­lichkeit der Bienen­zucht für die Land­wirtschaft. Darin schrieb er mit eindring­lichen Worten: „Die Bienen verdienen unsere Achtung weit mehr, weil sie unsere Feld- und Garten­arbeiter sind, als weil wir sie für unsere Honig- und Wachs­fabrikanten halten. (…) Die Bienenzucht verdient von der Landes­regierung einer weit größern Aufmerk­samkeit gewürdiget zu werden, als bisher geschehen ist. Der Staat muß ein stehendes Heer von Bienen haben.“ Daran hat sich auch 2020 nichts geändert.

Seiner Zeit voraus

Beide Bücher verkauften sich schlecht (heute ist die Erstausgabe übrigens für 5.500 Euro zu haben) und Sprengel geriet nach seinem Tod 1816 ein wenig in Verges­senheit. Bis, ja bis, Charles Robert Darwin (geboren 1809) begann, sich für die Natur zu interes­sieren. Obwohl er kein Deutsch verstand, macht er sich eifrig Notizen in seiner Ausgabe des „Blumenwerks“. Die erste englische Über­setzung (zumindest der Einleitung) erschien erst 1996. Dennoch erkannte Darwin die Wichtigkeit von Sprengels Beobach­tungen und notierte: „He clearly proved by innumerable observations how essential a part insects play in the fertilization of many plants. But he was in advance of his age.“

Im Gegensatz zu Darwin gibt es von Sprengel kein Porträt, keine Erben und kein Grab. Sein Name und vor allem sein wissen­schaftlicher Beitrag lebt jedoch in der modernen Botanik weiter.

Kathleen Gransalke

Foto: Milestones of Science Books (Buch) & Pixabay/Skitterphoto


Referenzen

Wikipedia-Eintrag zu Christian Konrad Sprengel
Sprengel, C. K. „Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen“. Berlin, 1793.
Vogel, S. „Christian Konrad Sprengel’s Theory of the Flower: The Cradle of Floral Ecology“. Floral Biology, S. 44-62
Zepernick B. & Meretz W. „Christian Konrad Sprengel's Life in Relation to His Family and His Time. On the Occasion of His 250th Birthday“. Willdenowia, 31:141-52
Kielhorn, FW. „Christian Konrad Sprengel (1750-1816) Scheitern und später Ruhm eines genialen Botanikers“. Verh. Bot. Ver. Berlin Brandenburg 143:153-212, Berlin, 2010



Letzte Änderungen: 29.10.2020