LJ-Rätsel: Der Wiederzurückspritzer

(13.10.2020) Wer etablierte Konzepte widerlegt, muss bisweilen sehr lange auf positive Resonanz warten. Bei unserem Gesuchten war es nicht ganz so schlimm.
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Editorial

Die Geschichte der Biowissen­schaften ist voll von Erzählungen, wie die Fachwelt gewisse Entde­ckungen zunächst nicht wahr­haben wollte, die sich später als richtig und wichtig heraus­stellen sollten. Ein Parade­beispiel bietet seit jeher Barbara McClintock, die in den 1940ern begann, „springende Gene“ zu beschreiben, wegen des heftigen Gegen­winds der Fach­kollegen jedoch ab 1953 nichts mehr dazu publizierte. Erst in den 1960ern und 1970ern wurden ihre damaligen Erkennt­nisse wegen einer Vielzahl „passender Ergebnisse“ aus anderen Gruppen schließlich vollends akzeptiert und gewürdigt.

Ähnlich ausdauernder und starker Gegenwind blies Stanley Prusiner mit seinen Prionen sowie Günter Blobel mit seiner Signal­theorie des intra­zellulären Protein­transports entgegen. Und Lynn Margulis berichtete beispiels­weise, dass 15 Journale nach­einander ihren Pionier­aufsatz „On the origin of mitosing cells“ zur Endosym­bionten­theorie abgelehnt hatten, bevor er schließlich doch noch im Journal of Theoretical Biology erschien.

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Auch von unserem Gesuchten wird berichtet, dass ihm zunächst einmal Unglauben entgegen­stieß, als er mit Ergebnissen um die Ecke kam, die heftig an der Gültigkeit eines lange etablierten Prinzips kratzten, welches schließlich kein Geringerer als Paul Ehrlich mehr als vierzig Jahre zuvor aufgestellt hatte. Allerdings sollten sich in diesem Fall Dauer und Stärke des erzeugten Gegen­winds zumindest im Vergleich zu den oben erwähnten Beispielen eher in Grenzen halten.

Dies wiederum war zu einem guten Teil auch dem Chef des damaligen medizi­nischen Doktoranden (MD) zu verdanken, der zuvor selbst bei einem Schüler von Paul Ehrlich über Gewebe­spezifität und Blutgruppen-Antigene gearbeitet hatte. 1933 war dieser vor den Nazis zuerst in die Schweiz und zwei Jahre später weiter in die USA geflohen, wo er es schließlich zum Professor einer Universität im US-Bundes­staat New York gebracht hatte. Als sein Doktorand ihm damals seine ersten Ergebnisse präsentiert hatte, soll er gesagt haben: „Das ist verrückt, das wird keiner glauben. Wie kann das sein?“ Und so ließ er ihn erstmal die Experimente mit äußerster Sorgfalt wieder­holen, da er zunächst einen Fehler vermutete – etwa dass das Schlüssel­protein bei den kritischen Versuchen denaturiert vorlag.

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Doch was hatte unser Gesuchter damals konkret gemacht? Nun, das ist eigentlich kaum zu beschreiben, ohne dass man ihn danach durch schnelles Googeln leicht identifizieren könnte – aber sei‘s drum, wir wollen hier ja auch was lernen.

Der Endzwanziger hatte ein prominentes Protein eines gewissen Organs aus mehreren Säuge­tieren sowie dem Menschen gereinigt und zusammen mit einem Immun­verstärker in ein anderes Säugetier gespritzt. Wir wissen heute, was daraufhin passiert: Die Akzeptor-Tiere entwickelten eine Immun­antwort und produzierten Antikörper gegen das Protein. Dasselbe geschah jedoch auch, wenn er das gereinigte Protein einem anderen Individuum derselben Spezies spritzte – womit wir bei dem Ergebnis wären, das sein Chef als „crazy“ bezeichnete.

Doch nachdem unser Gesuchter das Ergebnis erfolgreich wiederholt hatte, schlug dessen Chef weitere Experimente vor, mit denen es noch heftiger kommen sollte. An deren Ende stand folgendes Bild: Entnahm unser Doktorand das halbe Organ, reinigte daraus das Protein und spritzte es demselben Tier zurück in die Blutbahn, bildete es Antikörper dagegen, die letztlich auch das verbliebene „Halborgan“ angriffen.

Damit war Paul Ehrlichs Prinzip widerlegt. Allerdings relativierte unser Gesuchter dies später selbst, indem er darauf hinwies, dass Ehrlich nicht postuliert hatte, dass es dieses Phänomen nicht geben könne – sondern vielmehr, dass es schlimme Folgen haben würde, wenn es dieses gäbe. Und damit hatte Ehrlich wiederum recht, denn unser Gesuchter und sein Chef hatten mit ihren Erkennt­nissen nicht weniger als einen völlig neuen und – wie sich in der Folgezeit heraus­stellen sollte – weit verbreiteten Krankheits­mechanismus offenbart.

Dennoch brauchten die beiden vier Jahre, bis ein Journal die ersten Ergebnisse überhaupt veröffent­lichte. Den Bann der skeptischen Ungläu­bigkeit brach schließlich die Erkenntnis, dass eine bestimmte Krankheit japanischen Namens mit denselben Symptomen wie bei den Tier­versuchen des Doktoranden tatsächlich über das von ihm entdeckte Krankheits­prinzip verursacht wird.

Der steilen Forschungs­karriere unseres Gesuchten stand damit nichts mehr im Weg. Ihren Höhe­punkt fand sie schließlich an einer Edeluni im Nordosten der USA – nach weiteren wichtigen Erkennt­nissen insbesondere zur genetischen Basis des neuen Krankheits­prinzips und der potenziell mitverur­sachenden Rolle von Infektionen. Einmal war er gar für den Nobelpreis nominiert, bekommen hatten ihn dann aber doch andere. Er starb in diesem Sommer im Alter von 92 Jahren. Wie heißt er?

Ralf Neumann

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Foto: Pixabay/Anemone123