Rauf aufs Podest

(12.10.2020) Und über die eigene Forschung berichten. Die Initiatve Soapbox Science will so Forscherinnen mehr Aufmerk­samkeit verschaffen.
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Soapbox-Science-Event 2018 in München

Editorial

Am 19. September wurde sie gegen 14 Uhr auf dem Washington­platz in Berlin aufgebaut – die Soapbox oder Holzkiste, auf der stehend, an diesem Tag, 12 Wissen­schaftlerinnen ihre Forschung zu unter anderem Auto­immunität, Neurobiologie, Genom-Hacking und Seen-Zombies öffentlich präsen­tierten. Und es war ein Erfolg, wie man der Facebook-Seite der Berliner Soapbox-Science-Gruppe entnehmen kann.

Die Initiative Soapbox Science, die mit diesen Events Forsche­rinnen, ihrer Arbeit und Begeisterung für Wissenschaft mehr Öffent­lichkeit verschaffen will, gibt es aber nicht nur in Berlin, sondern auch in München, Argentinien, Schweden, Kanada und den USA. Gegründet wurde die Initiative 2011 durch zwei Londoner Biologinnen. Seither haben über 1.500 Wissen­schaftlerinnen aus der Mathematik, Informatik, Natur­wissenschaft und Technik weltweit mitgemacht.

Herzstück des Vortrags-Konzepts: „No middle man, no PowerPoint slide, no amphi­theatre”. Auch kein Mikro, keine Poster. Die Forscherin allein steht im Mittelpunkt: „remarkable women in science who are there to amaze you with their latest discoveries“. Das Format ist an die Speaker’s Corner im Londoner Hyde Park angelehnt, einem traditio­nellen Platz für öffentliche Debatten.

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Grabstein ist erlaubt

„Es sind bei den Vorträgen nur kleine Hilfsmittel erlaubt“, berichtet Judita Huber, neuro­wissenschaftliche Doktorandin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München und Mitglied des dortigen Soapbox-Science-Organisa­tionskomitees. „Letztes Jahr hat Julia Budka, eine Archäologie-Professorin von der LMU, einen selbst­gebastelten Grabstein für ihren Vortrag verwendet. Für Veran­staltungen mit Kindern bringen wir auch schon mal Gehirne aus Gelatine mit, die man betasten kann“, erzählt sie.

In München haben sieben Dokto­randinnen eines neuro­wissenschaftlichen Studien­programms im Jahr 2018 mit Soapbox-Science-Veran­staltungen begonnen, darunter auch Huber. Ein Jahr davor gab es das Event bereits in Berlin. Inzwischen gibt es auch eine Veranstaltung in Düsseldorf.

Dass alle Vortragenden bei Soapbox Science Frauen sind, hat seinen Grund. Noch immer sind Frauen unter den Lehrstuhl­inhabern unter­repräsentiert. In Deutschland liegt der Frauenanteil an den Professoren in den einzelnen Bundesländern nur bei einem Fünftel bis einem Drittel. Wissen­schaftlerinnen werden in der Scientific Community und in der Öffent­lichkeit auch weniger wahr­genommen. Soapbox Science will Rollen­vorbilder anbieten und mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Wissen­schaft eine Männer­domäne ist. Die Initiative will das Selbst­vertrauen und das Profil von Wissen­schaftlerinnen stärken. Sie gibt den Beteiligten zudem die Möglichkeit, ein Netzwerk aufzubauen.

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Gespräch mit Publikum

„Unsere Events finden normaler­weise auf einem öffent­lichen Platz statt, in München auf dem Odeonsplatz“, erläutert Huber. „Dort stehen dann an einem Wochenende gleichzeitig vier Wissen­schaftlerinnen. Sie berichten allen Leuten, die gerade vorbei­kommen und interessiert sind, eine Stunde lang von ihrer Forschung. Auf diese Weise erreichen wir Menschen, die nicht unbedingt einen Vortrag an einer Uni besuchen würden“, berichtet sie. Zuhörer können den Forsche­rinnen durchgängig Fragen stellen. Es soll ein Gespräch entstehen. Ein solches Event dauert etwa drei Stunden, in denen insgesamt 12 Wissen­schaftlerinnen ihr Forschungs­gebiet präsentieren.

„Zur Vorbereitung brauchen wir etwa drei bis vier Monate Vorlaufzeit. Dieses Jahr waren wir acht Ehren­amtliche im Organisa­tionskomitee. Neben meiner Doktor­arbeit habe ich etwa fünf Stunden pro Woche investiert“, erläutert Huber. „Wir halten für die Vortra­genden auch Workshops ab und geben ihnen Feedback zu ihren Vorträgen. Außerdem werben wir Sponso­rengelder ein.“

Die Corona-Krise hat neue technische Anfor­derungen an das Organisa­tionsteam gestellt, da die Münchner Vortrags­reihe dieses Jahr im Juni als Online-Veranstaltung abge­halten wurde. Anders als bei den Live-Vorträgen konnten über das Internet eher wissen­schaftlich Interessierte erreicht werden. Die Besucherzahl bei den Online-Vorträgen war auch niedriger als bei den Live-Events am Odeonsplatz. „Wir haben allerdings im August im Rahmen des ‘Science Summer’ im Innenhof des Deutschen Museums in München zusätzlich Vorträge in einem etwas anderen Format mit entspre­chenden Hygiene­maßnahmen und mit Mikrofon präsentiert“, berichtet Huber.

Freiwillige gesucht

Da einige der Organisa­torinnen dieses Jahr ihre Doktorarbeit beenden und aus München weg­ziehen werden, kann das Organisa­tionskomitee neue, motivierte Helfer gebrauchen. Interessierte können sich unter soapboxsciencemunich(at)gmail.com melden. Wer einen Vortrag auf einem der Events des Münchner Teams halten möchte, kann sich mit einem Formular anmelden, das jeweils vor den Events auf der Webseite der Gruppe und in den Social-Media-Kanälen bereit­gestellt wird.

Huber möchte die Zeit nicht missen und sich auch in Zukunft mit Wissen­schafts­kommunikation beschäftigen. Sie hebt die gute Gemeinschaft und die Möglich­keit hervor, im Organisa­tionsteam und mit den Sprecherinnen Kontakte zu knüpfen und sich auszu­tauschen. „Ende letzten Jahres haben wir uns mit dem Berliner Soapbox-Science-Team getroffen. Auch mit der Düssel­dorfer Gruppe und den Headquarters in London sind wir in regelmäßigem Austausch.“

Ob das Event im kommenden Jahr online oder live sein wird, steht noch nicht fest. „Wegen der Corona-Krise können wir nicht langfristig planen. Ideal wäre der direkte Kontakt mit den Zuhörern. Wir möchten vermitteln, dass jeder und jede Wissenschaft machen kann“, so Huber.

Für Interessierte sind die Vorträge des Online-Events 2020 mit Themen aus Epidemiologie, Protein­biochemie, Organ­züchtung, Evolution bis hin zu Quanten­physik und Weltraum-Teleskopen im Youtube-Kanal der Gruppe verfügbar. Das Soapbox-Science-Headquarter in London gibt auch Unter­stützung bei der Gründung einer neuen Gruppe. Na, Lust mitzumachen?

Bettina Dupont

Foto: Iuliia Aulkina