Für ein paar Zitierungen mehr…

(25.09.2020) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Wie ein Jung-Editor einmal zum Frisieren des Journal-Impact-Faktors aufgefordert wurde
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Editorial

Es war einmal ein Editor. Dies war er noch nicht lange, denn er war noch ein sehr junger Forscher. Umso stolzer machte ihn seine erste Berufung in ein Editorial Board. Schließlich durfte er das durchaus als unmittelbare Wertschätzung seiner Forschungsarbeiten deuten. Und als Aufnahme in einen gewissen, wie auch immer gearteten „Club“.

Jetzt stand sein erstes Treffen mit dem gesamten Board an, bei dem wie in jedem Jahr die Editorial Policy kritisch geprüft sowie die Schwerpunkte neu fokussiert wurden. Unser junger Mann war beeindruckt von der Routine, mit der die erfahrenen Forscher und langjährigen Editoren die Dinge auf den Punkt brachten. Alles war so, wie er es sich vorgestellt hatte.

Vor allem publikationsethisch schien unserem jungen Editor alles einwandfrei. Das war ihm besonders wichtig in diesen Tagen des „Publish or perish“ und der immer aggressiveren Konkurrenz zwischen den Journalen. „Nein, alles auf einem guten Weg hier“, dachte er stolz. „Und ich bin dabei.“

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Ein eigenwilliger Vorschlag

Blieb nur noch das Abschluss-Bankett. Bei diesem nahm ihn plötzlich der Chief Editor persönlich beiseite. Sehr zufrieden sei er mit seiner bisherigen Arbeit, versicherte ihm dieser und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter. Nicht mal Kleinigkeiten gebe es auszusetzen – und das, trotzdem er doch erst so kurz dabei sei. Nur einen kleinen Vorschlag wolle er ihm für das nächste Jahr allerdings dennoch ans Herz legen: Er solle den Autoren vor der Veröffentlichung doch hin und wieder nahelegen, noch das ein oder andere Paper aus der eigenen Zeitschrift zusätzlich in die Referenzliste mit aufzunehmen. „Hebt unseren Impact-Faktor“, zwinkerte er ihm zu, nippte an seinem Drink und war auch schon wieder verschwunden.

Unser junger Editor wollte nicht recht glauben, was er da eben gehört hatte. Er schaute auf seinen Drink und beschloss, dass der Chief Editor wohl einen Scherz gemacht hatte. Man munkelte schließlich so einiges über seinen etwas eigenwilligen Humor…

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Der Chief Editor ist sauer

Er machte also seinen Job weiter wie bisher, schließlich kamen auch weiter keine Klagen. Bis im Jahr darauf das nächste Editorial Meeting stattfand. Diesmal kam der Chief Editor schon in der ersten Mittagspause zu ihm, ohne Drink und deutlich schlechter aufgelegt als beim letzten Mal. Er habe seinen Rat ja wohl nicht befolgt, kam er gleich zur Sache. Es könne doch nicht so schwer sein, gegenüber den Autoren durchblicken zu lassen, dass die Annahme ihrer Artikel durch das Hinzufügen der einen oder anderen entsprechenden Referenz deutlich wahrscheinlicher würde. Man könne zur Not ja vorgeben, dass die anonymen Gutachter darauf bestanden hätten. Schließlich würden die anderen Editoren genauso verfahren.

Das saß. Unser junger Editor brauchte nun Klarheit. Er nutzte fortan jede Gelegenheit, die ihm inzwischen besser bekannten Kollegen zu dieser Sache im Vertrauen zu befragen. Das Bild, das sich dabei langsam manifestierte, verstörte ihn zutiefst. Nicht nur, dass viele seiner Kollegen unter dem Druck des Chief Editors so verfuhren, wie dieser es verlangte. Nein, gleich mehrere Beispiele wurden ihm berichtet, in denen Manuskripten solcherart erwünschte und Impact-Faktor-relevante Referenzen ohne Wissen der Autoren hinzugefügt wurden.

Keine Moral

„Nicht mit mir“, dachte unser junger Editor trotzig. Ein Jahr später entließ ihn der Chief Editor

Und die Moral von der Geschicht‘? Keine, denn ein Märchen ist das nicht. Einige ganz ähnliche Fälle derartigen Impact-Faktor-Frisierens haben sich tatsächlich ereignet. Nachzulesen etwa hier oder hier.

Ralf Neumann

 

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)

 

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