Sprudelnde Schüttelkulturen
(22.07.2020) Auch Routinearbeiten wie das Abflammen von Kulturflaschen zur Probenentnahme können unerwartete Auswirkungen auf E. coli und Co. haben.
160 Jahre ist es her, dass Emil Erlenmeyer seinen berühmten Kolben erfand. Chemiker sprangen sofort auf, und seit 1933 machen sich auch Mikrobiologen „Erlis“ zur Anzucht aerober Schüttelkulturen zunutze. Egal ob Pilz oder Bakterium, 10-ml- oder 5-Liter-Kultur, das Prinzip ist immer gleich: Kolben mit Medium befüllen, animpfen, schütteln. Die Zellen sollen sich vermehren bzw. gewünschte Substanzen produzieren. Um den perfekten Ernte- oder Induktionszeitpunkt abzupassen, wird zwischendurch häufiger optische Dichte, Proteinprofil und Ähnliches an steril gezogenen Proben untersucht.
Selbst wenn Routinierte das Prozedere – abflammen, Stopfen abnehmen, abflammen, Probe ziehen, abflammen, Stopfen drauf und zurück auf den Schüttler – in Sekundenschnelle absolvieren, geht die vorübergehende Umweltänderung an den Mikroorganismen nicht spurlos vorbei. Ein Team der University of Tsukuba in Japan hat untersucht, wie sich die CO2-Konzentration erhöht und was das für verschiedene Kulturen bedeutet.
CO2 im Kolbenhals
Das beim Abflammen (Verbrennen von Methan) entstehende CO2 wandert teilweise in den Kolbenhals. Je länger das dauert und je schräger der Kolben gehalten wird, desto mehr CO2 kommt drinnen an. Binnen 20 Sekunden kann die CO2-Konzentration im Flaschenhals locker auf 2 % steigen; das Maximum mit 9 % CO2 liegt nach 90 Sekunden vor. Die Japaner haben beobachtet und in mathematischen Modellen simuliert, wie das CO2 in die schräg gehaltene Kulturflüssigkeit wandert. Von der flammenden Hitze dagegen kommt außer im unmittelbaren Kolbenrandbereich nichts in der Kultur an.
Um zu sehen, ob sich die CO2-Zufuhr auf die Mikroorganismen auswirkt, pusteten die Forscher reines CO2 mit einer eigens konstruierten Automatic Aeration Flask System (AAFS) Unit in Kulturflüssigkeiten von oben durch den Stopfen hinein. Temperatureffekte blendeten die Forscher auf diese Weise aus.
Die Kolben waren am unteren Rand mit einem wasserdichten Ausgang ausgestattet, welcher als Anschluss zur Circulation Direct Monitoring and Sampling System (CDMSS) Unit, einer Art Drei-Wege-Hahn, diente. Von den drei Wegen stellt einer den Anschluss zur Kultur dar; der andere führt über einen Sterilfilter zu einer Spritze, die im Normalzustand aufgezogen ist und als Druckregulator dient. Der dritte Weg ist der Ausgang, aus der Probenflüssigkeit mit einer „Auffangspritze“ abgezogen wird.
Non-stop Probenentnahme
Probenentnahme ohne Unterbrechung des Schüttelns geht folgendermaßen (und ist im „Supplementary“-Teil des Papers grafisch dargestellt): Auffangspritze anstecken, Hahn in Richtung Regulierspritze drehen, Auffangspritze aufziehen, Hahn in Richtung Auffangspritze drehen, die Regulierspritze reindrücken, so dass durch Volumenverdrängung Kulturmedium in der Sammelspritze landet. Jetzt wird der Hahn wieder in Ursprungsposition gestellt, die Auffangspritze kann abgenommen und zum Beispiel in ein Eppi entleert werden.
Als Kulturmedium verwendete Hideki Aoyagis Team den jeweiligen Klassiker, d. h. LB für E. coli, R2A für P. saccharophila, NBRC no.804 für A. pasteurianus und YM für S. cerevisiae. Probenentnahme frisch inokulierter Kulturen erfolgte im 2-Stunden-Takt sowie nach 15, 25 und 35 Stunden, um OD sowie pH-Wert zu messen.
E.-coli-Kulturen zeigten sich im Wachstum unbeeindruckt vom Sprudelzusatz, jedoch änderte sich der zeitliche pH-Verlauf. Normalerweise sinkt der pH in den ersten 10 Stunden allmählich (von pH 7 auf unter pH 6), um daraufhin flott wieder hinaufzuklettern und sich irgendwann bei pH > 8 einzupendeln. In CO2-begasten Kulturen war die Kletterei langsamer, vermutlich aufgrund einer Pufferwirkung (CO2 liegt bei pH 6,3 hauptsächlich als Hydrogencarbonat vor). S. cerevisae dagegen ist völlig schnuppe, was in seiner Umgebung passiert; OD-Anstieg und pH-Verlauf waren identisch zur Kontrollkultur. A pasteurianus und P. saccharophila wuchsen jedoch deutlich schneller, wenn sie einen Schuss CO2 bekamen. Ihr pH-Verlauf dagegen bleibt unverändert.
System zum Nachbauen
Die Story aus Japan ist Warnung, Hinweis auf Manipulationsmöglichkeiten und Bastelanleitung zugleich. Einerseits zeigt sie, wie einflussreich vermeintliche Routinehandgriffe auf ein Experimentierergebnis sein können. Je nach Mikroorganismus kann es gehörige Unterschiede – positive wie negative – auf Ausbeute bestimmter Metabolite und Entwicklung machen, ob eine TA alle Proben in Serie zieht – häufig, selten oder (un)regelmäßig, oder zwischendurch ein bedächtiger Praktikant aushilft. Das Wissen um spezifische Verhaltensänderungen bei CO2-Begasung wiederum bietet die Möglichkeit, gezielt einzugreifen. Zu guter Letzt ist die gebastelte CDMSS-Unit einen Nachbau wert, um sich das aufwendige und Variation-einbringende Abflammprozedere zu schenken.
Andrea Pitzschke
Takahashi M. et al. (2020): Analysis of the influence of flame sterilization included in sampling operations on shake-flask cultures of microorganisms. Scientific Reports, 10:10385
Foto: Pixabay/Republica