Ein Plädoyer für den Journal Club

(17.07.2020) Wo lernt man besser, die Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu beurteilen, als im guten alten „Literaturseminar“.
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Editorial

Geht noch jemand regelmäßig in den „Journal Club“? Gibt es diese Veranstaltung denn überhaupt noch überall?

Nun, wenigstens aus der eigenen Doktorandenzeit sollten jede gestandene Forscherin und jeder gestandene Forscher diese wöchentliche Routineveranstaltung noch kennen. Beispielsweise hatte der Autor dieser Zeilen in den frühen 1990ern an seinem alten Institut immer montags um 12 Uhr „Journal Club“. Was Woche für Woche für ein bisweilen skurriles Schauspiel sorgte: Eine nach dem anderen kam montagmorgens meist noch ziemlich wochenendmüde ins Institut, schlurfte ziemlich unmotiviert ans schwarze Brett, las gelangweilt den Titel des anstehenden Journal Clubs – und trabte noch weniger begeistert wieder ab. So jedenfalls die meisten. Und gesehen hat man dann um 12 Uhr nur wenige...

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Ja, so haben viele den guten alten Journal Club wohl als lästige Institutsroutine in Erinnerung, die einen nur von den ach so wichtigen eigenen Experimenten abhält.

Doch hat der Journal Club das verdient? Wohl kaum, denn wo sonst kann man besser lernen, die Qualität wissenschaftlicher Publikationen zu beurteilen. Gerade heute gibt es wahrscheinlich mehr wundervolle Paper als jemals zuvor in der Geschichte der Biowissenschaften – und es ist unglaublich lohnend herauszuarbeiten, warum diese Paper so wundervoll sind. Ebenso gibt es heute so viele wirklich furchtbare Paper wie noch nie zuvor in der Geschichte der Biowissenschaften – und es lohnt sich zweifellos sehr, darüber zu sprechen, warum sie so furchtbar sind.

Sich ein eigenes Urteil über wissenschaftliche Veröffentlichungen zu bilden, ist derzeit womöglich essentieller denn je, da man sich auf die früher gültige Faustformel „Gute Paper in guten Journals, schlechte in schlechten“ heutzutage offenbar kaum noch verlassen kann. Das haben uns einige einschlägige Studien und Schlagzeilen zuletzt eindrucksvoll gelehrt.

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Aber auch unabhängig davon gehört es ganz generell zu den Schlüsselqualifikationen des fortgeschrittenen Wissenschaftlers, gute Paper von schlechten zu unterscheiden – nicht nur, weil man selber welche schreiben muss. Ein gesunder Wissenschaftsverstand liefert einem diese Qualität allerdings nur bedingt – man muss sie vielmehr trainieren!

Und wie? Zum einen natürlich, indem man Paper wirklich liest. Zum anderen, indem man sie diskutiert. Und wo geht das besser als im guten alten Journal Club?

Ralf Neumann

Foto: iStock / skynesher

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