Doppelt gut

(10.06.2020) Ein Enzym, das RNA revers transkribiert und die synthetisierte cDNA gleichzeitig amplifiziert, könnte die Diagnostik von SARS-CoV-2 deutlich vereinfachen.
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Editorial

Der RNA-Virus SARS-CoV-2 macht es den Diagnostikern nicht gerade leicht. Die RNA muss erst in DNA umgeschrieben werden, bevor die eigentliche PCR-Ampli­fikation stattfinden kann. Die hieran beteiligten Enzyme Reverse Transkriptase (RT) und DNA-Polymerase haben nicht nur unter­schiedliche Substrat- sowie Temperatur­vorlieben. Sie reagieren auch empfindlich auf Inhibitoren.

Der Zellbiologe Christof Hauck von der Uni Konstanz dachte sich, dass in diesem Fall ein Enzym mit Doppel­funktion wesentlich geschickter wäre. Schließlich ließe sich so einige Handarbeit einsparen und auch die Gefahr einer Kontamination wäre geringer. Perfekt geeignet wäre ein robustes, hitze­beständiges Enzym mit RT- und DNA-abhängiger DNA-Polymerase-Funktion.

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Evolviertes Enzym

Ein Enzym mit diesen Eigen­schaften existiert tatsächlich schon seit etlichen Jahren: Andreas Marx, Lehrstuhl­inhaber für Organische Chemie/Zelluläre Chemie an der Universität Konstanz hat es bereits 2006 durch künstliche Evolution entwickelt (Angew Chem Int Ed Engl, 45(45):7633-5). Eine verbesserte Variante namens Volcano3G vertreibt mittlerweile die Firma myPOLS Biotec, die Marx 2014 zusammen mit seinem ehemaligen Doktoranden Ramon Kranaster gegründet hat.

Hauck, Marx und Kranaster holten noch einige weitere Forscher mit an Bord. Darunter den Labora­toriums­mediziner Johannes Zander vom Labor Dr. Brunner in Konstanz sowie den Internisten Marcus Schuchmann vom Klinikum Konstanz. Mit diesen entwickelten sie ein Protokoll für die vereinfachte Detektion von SARS-CoV-2 mit Volcano3G.

Dass das bifunktionale Enzym hohe Temperaturen locker wegsteckt, hat mehrere Vorteile: Zum einen kann die reverse Transkription gleichzeitig mit der DNA-Amplifi­kation stattfinden. Zum anderen ermöglicht die höhere Temperatur stringentere Bedingungen und damit eine spezifischere Reaktion. Dies machten sich die Konstanzer zunutze: Sie führten die reverse Transkription bei 75°C mit einem dreißig Nukleotide langen Primer (R2) durch, der eine hohe Schmelz­temperatur hat.

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Am Ende des Genoms

Als Zielregion wählten die Forscher eine am äußersten 3‘-Ende des Virusgenoms liegende Sequenz. Diese codiert für den N-Terminus des N-Proteins und unterscheidet sich wesentlich von anderen Human­pathogen-Sequenzen. Außerdem kommt das 3‘-Ende im Verhältnis zum Gesamt­genom in infizierten Zellen besonders häufig vor und ist somit besser aufspürbar.

Dass die Qualität der Volcano3G-RT-PCR mit der Performance der Standard­prozedur mithalten kann, verifizierte das Team zunächst mithilfe reiner, durch In-vitro-Transkription hergestellter SARS-CoV-2-RNA. Die Volcano3G-Polymerase amplifizierte die Zielsequenz des N-Gens mit verschiedenen kommer­ziellen Primern. Setzten die Konstanzer dagegen den gegen das 5'-Ende des N-Gens gerichteten Primer R2 bei einer Temperatur von 75°C ein, sanken die Ct-Werte (Schwellenwertzyklus). Dies deutete auf eine erhöhte Empfindlichkeit der Volcano3G-PCR mit R2 hin.

Die Detektion von SARS-CoV-2 aus isolierten RNA-Proben von Patienten-Abstrichen verlief mit der Volcano3G-RT-PCR genauso zuverlässig wie mit dem parallel durch­geführten Standard­protokoll: Von 43 Proben waren bei beiden Verfahren 35 positiv und acht negativ. Die Ct-Werte waren aber auch hier mit der Volcano3G-RT-PCR niedriger als beim Standard­verfahren.

Spannend war die Frage, ob die Volcano3G-Polymerase auch ohne RNA-Extraktion mit den Patienten-Proben klarkommen würde. Um dies zu klären, setzten die Konstanzer Forscher die in Wasser gelösten Abstriche direkt in der Volcano3G-RT-PCR ein. Als Kontrolle diente eine Standard-RT-PCR mit extrahierter RNA aus Nasen­abstrichen. Auch hier lieferte die Hoch­temperatur-RT-PCR mit Volcano3G die gleichen Ergebnisse wie die Standard­methode.

Proteine als Spielverderber?

Etwas kritischer sah die Sache bei Proben mit sehr niedrigem Virus-Titer aus, die beim Standard­verfahren zu Ct-Werten unter dreißig führten. Hier wurde mit der direkten Volcano3G-RT-PCR ohne RNA-Extraktion nur eine von fünf positiven Patienten­proben erkannt. Woran konnte das liegen? Mangelnde Sensitivität war praktisch ausgeschlossen, da die Ct-Werte bei der Volcano3G-RT-PCR etwas unter den Werten der Standard-RT-PCR lagen. Als Spiel­verderber kamen demnach nur Substanzen infrage, die in Schleimhaut-Abstrichen vorkommen, etwa Proteine, Schleim oder Membran­fragmente.

Versuche, in denen die Gruppe bekannte Positiv-Proben gereinigter RNA mit negativen Abstrich­proben versetzte („spiking“) bestätigten den Verdacht. Insbesondere bei geringem Virus-Titer führten die „verseuchten“ Proben zu falsch-negativen Ergebnissen. Die Forscher erhöhten deshalb das Reaktions­volumen der Volcano3G-RT-PCR und gaben zusätzlich Carrier-RNA und DTT hinzu. Nach diesen simplen Änderungen konnten sie mit der Methode drei von fünf positiven Proben detektieren.

Da es bei SARS-CoV-2-Tests im Wesent­lichen auf korrekte positive oder negative Befunde ankommt und die Quanti­fizierung der Virus­konzentration nicht im Vordergrund steht, ist eine qPCR nicht unbedingt nötig. Tatsächlich konnten die Konstanzer die Amplifi­kations­produkte der Volcano3G-RT-PCR auch mit dem bloßen Auge erkennen, wenn sie fluores­zierende Sonden in der PCR verwendeten, die sie mit blauem Licht anregten.

Die Volcano3G-RT-PCR dauert zwar vom Proben­eingang bis zur Fluoreszenz-Detektion noch immer etwa zwei Stunden. Dafür funktioniert sie zur Not auch ohne RNA-Isolations-Kit und mit einem simplen tragbaren Thermocycler.

Andrea Pitzschke

Kuiper J. et al. (2020): Detection of SARS-CoV-2 from raw patient samples by coupled high temperature reverse transcription and amplification. MedRxiv, DOI: 10.1101/2020.05.19.20103150

Foto: myPOLS Biotec