Der Duft der Durian

(23.03.2020) Zum ersten Mal wurde kürzlich Ethionin in Pflanzen nachgewiesen. Die Schwefel­verbindung ist physiologisch sehr interessant.
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Editorial

An der Frucht des Durian- oder Zibetbaums (Durio zibethinus) scheiden sich die Geister. Gilt den einen das süße, cremige Fruchtfleisch als Delikatesse, vertreibt die anderen der intensive Geruch nach fauligen Zwiebeln. Auch ihre Beinamen spiegeln diesen Gegensatz wider, reichen sie doch von „Königin der Früchte“ bis zu „Stink“- oder „Kotzfrucht“.

Und so ist es wohl auch kein Zufall, dass in vielen ostasiatischen Ländern das Mitführen von Durianfrüchten in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Hotels verboten ist. Überwindet man den vom Gestank ausgelösten Brechreiz, und gelingt es, die harte, mit holzigen Stacheln bewehrte Schale der etwa Fußball-großen Frucht zu öffnen, wird man mit einem sehr nahrhaften, Kohlenhydrat-reichen, faserig-fleischigen Fruchtfleisch belohnt, das die Samen umhüllt.

Das ungewöhnliche Obst übt nicht nur auf Konsumenten, sondern auch auf Lebensmittelchemiker vom Leibniz-Institut für Lebensmittel­systembiologie an der Technischen Universität München eine große Faszination aus. Martin Steinhaus, der die dortige Abteilung „Sensory Systems Chemistry“ leitet, beschäftigt sich mit seinem Team mit den Komponenten, die den starken Duft erzeugen. Viele davon sind Schwefelverbindungen. „Wahrscheinlich lockt der Geruch Tiere wie Orang Utans und Elefanten an, die das Fruchtfleisch fressen und dabei die Samen verbreiten“, erklärt der Lebensmittel­chemiker. „Das funktioniert mit den schwefelhaltigen Geruchsstoffen in der Durian besonders effektiv, weil sie sehr niedrige Geruchs­schwellenwerte haben, also schon in sehr niedrigen Konzentrationen sehr gut zu riechen sind.“ Wichtigster Geruchsstoff ist eine strukturell eher unspektakuläre C2-Verbindung, die eine Thiolgruppe trägt: Ethan­thiol. Umso erstaunlicher, dass bislang niemand wusste, woher die Verbindung kommt!

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Erstfund in höheren Lebewesen

Bekannt war schon länger, dass der Durianbaum über sehr viele Kopien des Gens für die Methionin-γ-Lyase verfügt. Dieses Enzym zerlegt die Aminosäure Methionin in Ammoniak, 2-Oxobutan­säure und Methan­thiol. Da das Enzym während der Reifung der Durianfrüchte vermehrt gebildet wird, das Fruchtfleisch aber mehr Ethan­thiol als Methan­thiol enthält, spekulierten Steinhaus und seine Mitarbeiterin Nadine Fischer, dass die Methionin-γ-Lyase nicht nur Methan­thiol herstellt, sondern auch Ethan­thiol – und zwar aus Ethionin, dem Strukturverwandten von Methionin.

In den vier verschiedenen Duriansorten Monthong, Krathum, Chanee und Kanyao konnten die Lebensmittelchemiker nun tatsächlich Ethionin nachweisen und damit das erste Mal in Pflanzen, wie Steinhaus darlegt: „Mit dem Nachweis in der Durianfrucht wurde Ethionin erstmals in einem höheren Lebewesen gefunden. Bisher kannte man die Verbindung nur aus Mikroorganismen.“

Je nach Sorte schwankten die Ethionin-Konzentrationen zwischen 621 µg/kg (Kanyao) und 9.600 µg/kg (Krathum). Immer wurde aber weniger Ethionin gemessen als Methionin. Während des Reifeprozesses nahm die Menge an Ethionin darüber hinaus deutlich zu, wie anhand von Früchten der Sorte Manthong – in Deutschland in Asia-Märkten erhältlich – getestet wurde. Reife Früchte, die sich gut mit der Hand öffnen ließen, weiches Fruchtfleisch hatten und einen intensiven Geruch verströmten, wiesen mehr als doppelt so hohe Ethionin-Konzentrationen auf als unreife Früchte, die sich nur mit dem Messer öffnen ließen und kaum „dufteten“. Gleichzeitig mit dem Reifeprozess und der Intensität des Geruchs stieg auch die Menge am Geruchsstoff Ethanthiol – und zwar um etwa das Fünffache auf Spitzenwerte von bis zu 13.900 µg/kg.

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Deuterium statt Wasserstoff

Mit Hilfe von synthetisiertem Ethionin, bei dem die Wasserstoff- durch Deuteriumatome ausgetauscht waren, konnten die Forscher letztlich beweisen, dass die Verbindung tatsächlich in Ethan­thiol umgewandelt wird. Dass in den Zellen zwar weniger Ethionin vorhanden ist als Methionin, am Ende aber mehr Ethan­thiol entsteht, könnte auf eine höhere Affinität der Methionin-γ-Lyase für das längerkettige Substrat hindeuten. Wie Ethionin selbst gebildet wird, ist noch Spekulation, aber es gibt Hinweise darauf, dass es sich um einen zur Methionin-Synthese analogen Stoffwechselweg handeln könnte.

Woher aber kommt das große Interesse an der Ethyl­sulfanyl-Verbindung? „Ethionin hat eine interessante physiologische Aktivität“, weiß Steinhaus. So hemmt der Methionin-Antagonist die Übertragung von Methylgruppen auf DNA. In Tierversuchen lösten hohe Konzentrationen Leberkrebs aus, und senkten die ATP-Konzentration in den Zellen. „Studien zufolge wird Ethionin mit ATP in einer raschen Reaktion in S-Adenosyl­ethionin überführt, das im Gegensatz zu S-Adenosyl­methionin nicht schnell genug weiterreagiert, damit die Adenosyl­einheit zeitnah wieder für die Regeneration des ATP zur Verfügung steht. Das bringt letztlich den ganzen Zellstoffwechsel durcheinander“, erklärt der Lebens­mittelchemiker.

Potentieller Entzündungshemmer?

Auf der anderen Seite haben niedrige Ethionin-Konzentrationen, wie sie etwa im Darm von Bakterien freigesetzt werden, möglicherweise positive modulierende Auswirkungen auf das Immunsystem: „Ethionin bewirkt – gegebenenfalls über eine Histon-Ethylierung, oder aber über die Inhibierung der Histon-Methylierung – dass das Gen für einen bestimmten Entzündungs­faktor nicht mehr ausgelesen werden kann. Daraus wurde eine potenzielle entzündungs­hemmende Eigenschaft kleiner Mengen an Ethionin abgeleitet.“

Ob der Verzehr von Durianfrüchten gesundheitliche Auswirkungen hat, lässt sich laut Steinhaus derzeit noch nicht sagen. „Zumindest wurde bisher nicht von Häufungen bestimmter Erkrankungen in Gegenden mit hohem Durianverzehr berichtet.“ Außerdem müsste ein 70 kg schwerer Mensch 580 kg Durianfrüchte mit der höchsten durch die Freisinger gemessenen Ethionin-Konzentration essen, um die Menge zu erreichen, die im Tierversuch zur Erzielung toxischer Effekte eingesetzt wurde. Und das ist dann wohl sogar dem größten Fan der Königsfrucht zu viel.

Larissa Tetsch

Fischer N. S. und Steinhaus M. (2019): Identification of an important odorant in durian: first evidence of ethionine in plants. J Agric Food Chem, doi: 10.1021/acs.jafc.9b07065

Foto: Pixabay/truthseeker08