„Nicht locker lassen!“

(21.01.2020) Die RNA-Biochemikerin Renée Schroeder rät insbesondere Nachwuchs­forscherinnen zu Durchhalte­vermögen, Selbst­bewusstsein und selbstständigem Denken.
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Editorial

Die gebürtige Brasilianerin Renée Schroeder ist seit 2018 im „Unruhestand“. Sie studierte und promovierte an der Universität Wien, weitere Stationen ihrer Karriere waren die LMU München, das Centre de Génétique Moléculaire in Gif-sur-Yvette und das New York State Department of Health in Albany. 1986 kehrte sie zurück an die Universität Wien, wo sie sich 1993 mit einer Arbeit zur Wechselwirkung von RNA mit Antibiotika habilitierte, 2005 die Leitung des Departments für Biochemie und Zellbiologie übernahm und ein Jahr später auf eine permanente Professur für RNA-Biochemie berufen wurde. Daneben erhielt sie unter anderem den Wittgenstein-Preis, fungierte als Vizepräsidentin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, vertrat Österreich im EMBL-Council und war Mitglied des Rates für Forschung und Technologieentwicklung. Überdies engagierte sie sich für eine Verbesserung der Karriereaussichten von Wissenschaftlerinnen und reüssierte kürzlich als erfolgreiche Buchautorin.

Editorial

Laborjournal: Wie lebt es sich im Unruhestand? Fehlt Ihnen die Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Forschung?
Renée Schroeder: Bestens! Es ist wirklich viel los in meiner neuen Lebensphase. Ich habe meinen Fokus von Wissenschaft und Forschung auf die Verbreitung von Wissen verlegt. Ich bin weiterhin Editorin des RNA Biology-Journals, bin Obfrau des Bildungsvereins „Offene Gesellschaft“, der sich auf bildungsferne Schichten konzentriert, und schreibe an einem neuen populärwissenschaftlichen Buch. Zudem halte ich viele Vorträge für Laien. Das finde ich wichtig und macht mir Spaß. Nebenbei bin ich fünffache Oma und verbringe viel Zeit mit meiner 96-jährigen Mutter. Und ich baue einen bergbäuerlichen Betrieb auf, der sich auf wilde Kräuter spezialisiert. Diese Vielseitigkeit meiner neuen Lebensphase empfinde ich als sehr beglückend. Aber ich bin mir bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist.

Den Großteil der Karriere verbrachten Sie in Österreich. Welche einschneidenden Erfahrungen haben Sie im Wissenschaftsbetrieb gemacht?
Schroeder: Meine Postdoc-Mentoren Piotr Slonimski und Marlene Belfort. Von ihnen habe ich das wissenschaftliche Denken gelernt, sie haben mir gezeigt, wie „es“ geht. Die Erkenntnis, dass man sich anstrengen muss, um weiterzukommen, und nicht locker lassen darf, ist wesentlich. Der Kampf gegen die gläserne Decke für Frauen war gnadenlos, und auch hier darf man nicht locker lassen. Der Wittgenstein-Preis im Jahre 2003 änderte viel: Von da ab wurde alles leichter. Sehr wichtig war für mich die Arbeit mit den jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie auch der Gemeinschaftssinn in der RNA Community. Die Wiener RNA Community ist eine Quelle der Inspiration für alle. Forschung ist Teamarbeit und gemeinsame Projekte wie Sonderforschungsbereiche, EU-Netzwerke und PhD-Programme sind sehr bereichernd.

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Wie hat sich die Forschungslandschaft in Österreich im Laufe der Zeit geändert? Wo sehen Sie für Österreich Nachholbedarf?
Schroeder: Österreich hat seit den Achtzigerjahren sehr viel aufgeholt und eine stabile und produktive Forschungslandschaft errichtet. Derzeit lässt es sich sehr gut in Österreich forschen, was aber nicht bedeutet, dass nichts mehr getan werden müsste. Verändert hat sich vor allem die Anzahl der Menschen, die in der Forschung tätig sind. Dies hat zur Folge, dass längerfristige Perspektiven für den Forschernachwuchs schwierig geworden sind. Es ist einfach zu wenig Geld in der Grundlagenforschung. Der Wettbewerb innerhalb der Forschungsgemeinschaft ist derzeit nicht mehr produktiv.

Können andere Länder bei der Forschungsförderung etwas von Österreich lernen?
Schroeder: Sehr gut ist die Internationalität. Die internationalen PhD-Programme sind beispielhaft und sollten überall Schule machen.

Sie haben drei Wünsche frei, um die Forschungslandschaft Österreichs nachhaltig zu verändern. Welche wären das?
Schroeder: Erstens eine Verdoppelung des FWF-Budgets, sodass die Erfolgsquote der Projektanträge in die Nähe von vierzig Prozent rückt. Zweitens eine Verbesserung des naturwissenschaftlichen Wissens in der Bevölkerung, vor allem in Bezug auf Biologie und Umwelt. Drittens ein gutdotiertes Wissenschaftsministerium, das politisches Gewicht hat.

Wo steht Österreich im internationalen Vergleich hinsichtlich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Karriere von Wissenschaftlerinnen? Was tut sich hier insbesondere an Universitäten?
Schroeder: Die Karriereperspektiven sind in den meisten Ländern ähnlich. Das größte Problem ist die mangelnde Nachhaltigkeit in der Nachwuchsförderung. Viele exzellente junge Forscherinnen und Forscher verlassen das Land oder die Wissenschaften allgemein.

Welches sind Ihre Karrieretipps für Nachwuchswissenschaftlerinnen?
Schroeder: Durchhaltevermögen. Und vor allem, sich nicht unterdrücken und einschüchtern zu lassen. Wenn Sie merken, dass Sie in einer Gruppe sind, in der Studierende und Postdocs nicht zu selbstständigem Denken und Forschen ermutigt werden – dann nichts wie schnell weg! Ich habe sehr viele schlechte und ausbeuterische Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter gesehen, die junge Karrieren vernichtet haben. Hier muss etwas getan werden, damit sie zur Verantwortung gezogen werden können.

Die Fragen stellte Ralf Schreck

Dieses Interview erschien zuerst in Laborjournal 12-2019. In Heft 11-2019 stellt Autor Ralf Schreck Forschungsfördermöglichkeiten in Österreich genauer vor.

Foto: Uni Wien