LJ-Rätsel: Der Code-knackende Komparse

(12.11.2019) Wie heißt es zum Brain Drain? Postdoc in den USA okay – aber bitte wieder zurück­kommen. Unser Gesuchter blieb ganz drüben, auch wenn er dort bisweilen „Qualität“ vermisste.
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Editorial

In den Siebzigerjahren des letzten Jahr­hunderts ging die noch junge Moleku­larbio­logie auf wie ein Hefe­kuchen. Vor allem in den USA experi­mentierten sich deren Vertreter in einen regel­rechten Rausch. Es war also kein Wunder, dass in dieser Gold­gräber-Stimmung damals auch so manches junge Forscher­talent aus deutschen Landen mit frischem Doktor­titel in der Tasche den Sprung über den großen Teich machte. Und tatsäch­lich sollte der eine oder andere von ihnen in der Folge­zeit besonders große Nuggets schürfen – und sich damit den Weg zu einer durchaus bemer­kens­werten Karriere ebnen.

Zwei der bekannteren Beispiele sind die beiden späteren Max-Planck-Direktoren Peter Seeburg und Axel Ullrich. Beide gingen 1974 bezie­hungsweise 1975 nach Kalifornien, arbeiteten zwischen­drin einige Jahre beim moleku­larbiolo­gischen Pionier­unter­nehmen Genentech und kehrten in den späteren Achtzigern auf akade­mische Leitungs­positionen in Deutschland zurück.

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Unser Gesuchter folgte den beiden 1978 nach Kalifornien und erregte dort mit seinen Resul­taten bald ebenfalls einiges Aufsehen in der damals so quirligen Westcoast-Molbio-Szene. Im Gegensatz zu Seeburg und Ullrich sollte er jedoch bis zu seinem Lebens­ende nicht mehr in sein Heimat­land zurück­kehren – ein Brain Drain ohne Regain, also. Seine Karriere verlief indes ähnlich erfolgreich.

Natürlich hatte das noch keiner geahnt, als der älteste Sohn eines Bau­ingenieurs, statt den Familien­betrieb zu über­nehmen, sich ein paar Kilometer weiter in der Nachbar­stadt an der Universität einschrieb. Gerne hätte er Medizin studiert, doch scheute er damals davor zurück, da er beim Anblick von Blut leicht in Ohn­macht fiel. So wurde es schließlich das Studium der Pharmazie, welches er durch Jobs in einer Drogerie sowie am Theater seiner Heimat­stadt als nicht-singender Komparse in hunderten von Opern-Auffüh­rungen mitfinan­zierte. Dieses lang­jährige Mitlaufen in einem Kunst­betrieb weckte letztlich seine generelle Leiden­schaft für die Künste, die zeit seines Lebens nicht mehr nach­lassen sollte.

Nach einem Abstecher nach Berlin folgte die biochemische Doktor­arbeit bei einem deutschen „Fettstoff­wechsel“-Nobel­preis­träger. Kurz zuvor hatte der Goethe-, Schiller- und Karl-May-Liebhaber noch eine Begeg­nung der beson­deren Art: Bei einem exklusiven Meeting in Deutschlands Süden traf der Doktorand just denjenigen „Antibio­tikum“-Nobel­preis­träger, nach dessen Namen später ein Institut an der US-Ostküste benannt wurde, welches unser Auswan­derer schließlich von 1985 bis zu seiner Emeri­tierung leiten sollte.

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Nach seinem wissenschaftlichen Credo gefragt, antwortete er einmal: „Der Schlüssel zum Erfolg ist gar nicht mal so sehr Talent, sondern vielmehr die Qualität des Trainings und die Anleitung durch andere.“ Zumindest dies scheint in Deutsch­land gestimmt zu haben, denn schon vor seiner Übersied­lung in die USA konnte er als Doktorand auf zwei Nature-Paper zurückblicken – das eine zur Lokali­sierung der Ziel­sequenz für die Inte­gration von Lambda-Phagen, das andere über die Gene­rierung von Restrik­tionsschnitt­stellen in E. coli.

Seinen größten Coup landete er schließlich in seinem dritten US-Jahr – und es war nicht weniger als ein metho­discher Pauken­schlag: Mit einem völlig neuen Prinzip des „In-Stücke­schneidens-und-wieder-Zusammen­pfriemelns“ revolu­tionierte er das Entziffern des sogenannten „Codes des Lebens“. Als Proof of Principle legte er damals den kompletten Code eines Kreuz­blütler-Schädlings vor – und nahm sich mit der Methode in den folgenden Jahren noch ein gutes Dutzend weiterer, vor allem pflanz­licher Organismen vor.

1991 registrierte das Institute for Scientific Information unseren „Code-Knacker“ schließlich als meist­zitierten Wissen­schaftler der 1980er Jahre. Und es ist sicher keine Über­treibung, zu behaupten, dass das gesamte Zeitalter der Genomik ohne ihn zumindest ein bisschen länger auf sich hätte warten lassen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil er kein Patent auf die Methode beantragte – damit, wie er selber sagte, „es zukünftiger Forschung nicht im Wege steht“.

Erst vor wenigen Wochen starb unser „Entschlüsseler“. Er hinterlässt seine Frau Rita samt einem Sohn und drei Enkelkindern. Immer wieder war er mit ihnen ins nicht gerade nahe gelegene Quebec gefahren, um dort Kleider zu kaufen. Material und Verar­beitung seien dort einfach besser als in den USA – so wie in Deutschland, erklärte er einmal dazu.

Sein Qualitätsbewusstsein hatte er offenbar nicht nur in wissen­schaftlichen Dingen von dort mitgebracht.

Ralf Neumann

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