Große Worte, kleine Zahlen
(31.10.2019) Vor 11 Jahren kündigte die Wiener Affiris AG groß an, sie hätte schon bald einen marktreifen Impfstoff gegen Alzheimer. Bis heute gibt es ihn nicht.
„Halbgare Studienergebnisse und Übertreibungen, angerührt mit fahrlässigen Faktenverfälschungen und barem Unsinn,“ so lautete im April 2008 das vernichtende Urteil unseres Wirtschafts-Redakteurs über die Sensations-Pressemitteilung der österreichischen Affiris AG. Das Unternehmen brüstete sich öffentlichkeitswirksam damit, einen Impfstoff gegen Alzheimer entwickelt zu haben, dessen Zulassung und klinischer Einsatz in „greifbarer Nähe“ sei. „Das Verfahren hat sich bisher als wirksam erwiesen. Es werden bereits Patienten geimpft und die Daten sehen gut aus“, hieß es damals. Zuversichtlich peilten die Affiris-Manager eine Marktreife in den nächsten fünf bis sechs Jahren an. Firmengründer Walter Schmidt war sich sogar „ganz sicher“, dass einer der Alzheimer-Impfstoffe auf dem Markt landen wird.
Nun schreiben wir das Jahr 2019, mehr als 10 Jahre sind ins Land gezogen. Einen Alzheimer-Impfstoff gibt es immer noch nicht – weder von Affiris, noch von anderen Pharmafirmen. Der LJ-Redakteur hat mit seiner Skepsis also recht behalten. Was aber ist aus der Sensation geworden?
Zunächst muss erwähnt werden, dass Affiris zum damaligen Zeitpunkt, also 2008, gerade erst mitten in zwei klinischen Phase-1-Studien (mit jeweils 24 Probanden) steckte. Getestet wurde also ausschließlich die Verträglichkeit und Sicherheit der zwei Vakzin-Kandidaten AD01 und AD02 und nicht deren Wirksamkeit. Erst im Herbst 2009 lagen die ersten Ergebnisse dieser Verträglichkeits-Studien vor.
Amyloid nachgeahmt
Bei den Impfstoffen handelt es sich um synthetische Peptide (sechs Aminosäuren lang), die den unmodifizierten N-Terminus von beta-Amyloiden nachahmen. Diese Mimotope sollen dann eine B-Zell-Antwort gegen die eigentlichen Antigene hervorrufen, während sie die pro-inflammatorische TH1-Antwort niedrig halten.
Verlängerte Phase-1b-Studien („long-term safety and tolerability“) endeten im November 2009 bzw. April 2010. Kurz darauf leitete das Unternehmen im September 2010 die Phase 2 der klinischen Studienreihe ein. Allerdings nur noch für den AD02-Kandidaten. Hier sollte erstmals auch die klinische und immunologische Aktivität des Vakzins überprüft werden. Über 300 Probanden in 40 Studienzentren in Europa nahmen teil. Ende 2013 schloss Affiris die Studie tatsächlich ab. War ein Alzheimer-Impfstoff damals also wirklich in „greifbarer Nähe“?
Rückblickend kann man das Jahr 2013 wohl als Schicksalsjahr für Affiris bezeichnen – zumindest, was deren Alzheimer-Ambitionen angeht. In diesem Jahr endete zunächst der lukrative Lizenzdeal mit GSK Biologicals vorzeitig – 2008 hatte das Tochterunternehmen von Glaxosmithkline dem Wiener Vakzin-Spezialisten mehrere Millionen in Aussicht gestellt, für die exklusiven Vermarktungsrechte an den Impfstoffen. Außerdem verhießen die Daten der oben erwähnten Phase-2-Studie nichts Gutes. Keines der Studienziele wurde mit AD02 erreicht.
Es kam sogar noch schlimmer: Patienten in der Placebo-Gruppe hatten geistig weniger stark abgebaut als die mit AD02 behandelten Probanden. Die Kontrollgruppe hatte nur einen „Immunmodulator“ erhalten, der Teil der AD02-Formulierung war. Flugs benannte Affiris jedoch den therapeutischen Modulator in AD04 um und hatte, schwupps, einen „Breakthrough in Alzheimer‘s Disease“ erzielt, wie die dazugehörige Pressemitteilung von Juni 2014 stolz der Öffentlichkeit berichtete.
Zufällige Reifung
Aus einer Niederlage hatte die eifrige Marketing-Abteilung also einen sensationellen Erfolg gemacht. Zitat: „AFFiRiS' proprietary compound AD04 is the first drug ever to demonstrate clinical and biomarker effects consistent with disease modification in Alzheimer patients.“ Firmengründer Walter Schmidt setzte sogar noch einen drauf: „Dieser Erfolg ist auch unserer Strategie der ‚klinischen Reifung‘ zuzuschreiben, auf deren Basis wir im Falle von Alzheimer insgesamt vier verschiedene Produktkandidaten, AD01 bis AD04, klinisch getestet haben.“ In Wahrheit handelte es sich bei AD04 eher um einen Zufallsfund im Placebo-Arm der Studie – das klingt aber nicht so schön und Investoren-freundlich.
Alzheimer-Experten äußerten sich bereits damals skeptisch. Wenn AD04 tatsächlich eine therapeutische Wirkung hat, sollte dann die Gruppe, die den eigentlichen Wirkstoff AD02 plus den Immunmodulator AD04 erhalten hatte, nicht genauso gut, wenn nicht sogar besser, abschneiden? Affiris ließ sich von solchen Bedenken nicht beirren. Der damalige Chief Medical Officer Achim Schneeberger war überzeugt: „Da die aktuellen Ergebnisse so außergewöhnlich positiv und konsistent über die verschiedenen klinischen Endpunkte und den Biomarker Hippocampus-Volumen sind, erwarten wir uns, sie in weiteren klinischen Studien zu bestätigen.“ Daraus wurde offensichtlich nichts, Affiris startete keine einzige Studie mit AD04. Die Kritiker sollten ein weiteres Mal recht behalten.
Ab 2015 gab es in Pressemitteilungen des Unternehmens keinen Hinweis mehr auf den Alzheimer-Impfstoff, er wurde praktisch von der Firmen-Biographie getilgt. Auch verließen kurz darauf zwei Schwergewichte die Firma: Firmengründer Walter Schmidt und Chief Medical Officer Achim Schneeberger. Das Ende des Impfstoffs war besiegelt, die Sensation ausgeblieben. Derzeit befindet sich, laut Webseite, ein Wirkstoff gegen Alzheimer in der Firmen-Pipeline, nähere Informationen dazu gibt es noch nicht. Außer, dass die Entwicklung erst ganz am Anfang steht – weit, weit weg von der Klinik und reißerischen Pressemitteilungen.
Hoffnung bleibtAuch andere Firmen hatten mit ihren Alzheimer-Impfstoffen wenig Glück. Schweizer und englische Immunologen fragten deshalb kürzlich
in einem Review:
„A vaccine against Alzheimer‘s disease: anything left but faith?“ Martin Bachmann
et al. meinen ja, es gibt Hoffnung:
„We (...) propose that a vaccine optimized for use in the elderly that induces high levels of antibodies against a preferred epitope (Aβ 3-6) given early in prodromal patients is a shot worth taking.“Tatsächlich gibt es aktuell einige Vakzin-Kandidaten in der klinischen Testung. Zum Beispiel UB-311 der irischen
United Neuroscience. Der Wirkstoff koppelt ein B-Zell-Epitop (zwei synthetische Peptide, die auf Aß1-14 abzielen) an verschiedene Helfer-T-Zell-Epitope; verpackt ist das Ganze in ein firmeneigenes
Delivery System. Im Sommer letzten Jahres schloss
United Neuroscience die Phase-2-Studien ab und war mit den Ergebnissen ganz zufrieden: die primären Ziele (Sicherheit und Immunogenität) konnten erreicht werden. Die sekundären (Amyloid PET,
Clinical Dementia Rating etc) zeigten einen Trend in die richtige Richtung.
Novartis ist sogar noch einen Schritt weiter. Ihr CAD106-benannter Kandidat besteht aus mehreren Kopien des Aß1-6-Peptids, welches an einen Virus-ähnlichen Partikel (VLP) gekoppelt ist, der vom Bakteriophagen Qß abstammt. Momentan befindet sich der Impfstoff in Phase 2/3 der klinischen Testung, mit mehr als 480 Teilnehmern. Offizielles Studienende ist mit März 2025 angegeben. Seit der ersten Sensationsmeldung werden dann also schon 17 Jahre vergangen sein.
Kathleen Gransalke