Wissenschaft ausgeknockt

(23.09.2019) Ab November lenkt ein neuer EU-Kommissar die Geschicke europäischer Forschung. Die Bekanntgabe löste Verwirrung, Enttäu­schung, aber auch Jubel aus.
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Editorial

Hat Ursula von der Leyen die Forschung vergessen? Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man sich die kürzlich bekannt­gegebene Liste der neuen EU-Kommissions­ressorts ansieht. Seit 1967 hat es in jeder Kommission ein Forschungs­ressort gegeben, das sich auch in dessen Namen widerspiegelte. CDU-Politiker Fritz Hellwig war erster European Commissioner for Research, Technology and Information Distribution. Zuletzt bekleidete der Portugiese Carlos Moedas dieses wichtige Amt als European Commissioner for Research, Science and Innovation. Und nun?

Angeblich soll sich die Bulgarin Mariya Gabriel ab 1. November um die europäische Forschung kümmern. „Mariya Gabriel ist derzeit Mitglied der Europäischen Kommission. Sie hat sich mit Engagement und Energie für das Portfolio Digitales eingesetzt und übernimmt nun mit der Schaffung neuer Perspek­tiven für die junge Generation eine neue Aufgabe (‚Innovation und Jugend‘)“, heißt es in der Presse­mitteilung. Keine Silbe zu Forschung oder Wissenschaft. „I look forward to continue to work for our citizens & business to tackle together the challenges ahead of us“, tweetet die designierte Kommissarin nach ihrer Nominierung. Immer noch nichts von Forschung zu lesen.

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Nur einmal Wissenschaft

Erst in ihrem Mandatsschreiben (Mission Letter) tauchen die Wörter „Forschung“ und „Wissenschaft“ überhaupt auf. Darin trägt von der Leyen ihrer Kommissarin für Innovation und Jugend auf: „Stellen Sie sicher, dass Bildung, Forschung und Innovation uns dabei helfen, unsere Ambitionen und größeren Ziele zu erreichen“. Etwas konkreter formuliert, soll sich Gabriel dafür einsetzen, dass das nächste Forschungs­rahmen­programm „Horizon Europe“ vollständig umgesetzt, die European Research Area weiter ausgebaut und in „breakthrough innovations“, also in marktfähige Ideen, ausreichend investiert wird. Außerdem soll Exzellenz und das Netzwerken zwischen europäischen Universitäten gefördert werden, sogar die schon fast in Vergessenheit geratenen Massive Open Online Courses (MOOCs) finden Erwähnung. Insgesamt 13-mal enthält der Mission Letter die Wörter „research“ oder „researcher“; „science“, „scientist“ oder „scientific“ wird nur ein einziges Mal erwähnt: „Our world-leading science, research and innovation capacity can help us find European solutions to the most pressing global issues.“ Der Fokus ist also klar auf anwendbare Wissenschaft. Was ist mit der Grundlagen­forschung?

In Nature kritisiert dann auch Robert-Jan Smits, ehemaliger Generaldirektor für Forschung und Innovation der Europäischen Kommission, dass der Europäische Forschungsrat (European Research Council) mit keiner Silbe erwähnt wird. Auch der Präsident der Hochschul­rektoren­konferenz, Peter-André Alt ist darüber verwundert: „Offenbar ist die Grund­lagen­forschung nicht ausreichend im Blick, obwohl sie eine wichtige Basis für die Gewinnung neuen Wissens und damit für die langfristige Wett­bewerbs­fähigkeit Deutschlands und Europas ist“, schreibt er in einer Presse­mitteilung. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass von der Leyen einem so erfolg­reichen Förder­modell den Saft abdrehen will.

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Bitte umbenennen!

Auch der Name des neugeschaf­fenen Ressorts „Innovation und Jugend“ sorgt für Verwirrung. Muss sich die Forschung und vor allem die Wissen­schaft hier anderen Themen unterordnen? Wirkt sich diese Unsicht­barkeit womöglich auf das Budget aus? Die veranschlagten 100 Milliarden Euro für Horizon Europe sind beispielsweise längst nicht in trockenen Tüchern. Auch HRK-Präsident Alt findet den Namen „problematisch“. „Er kann suggerieren, dass Bildung und Forschung stärker dem unmittelbaren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen unterstellt werden sollen. Forschung und Bildung sind jedoch langfristige Investitionen, die eine Fülle von gesell­schaft­lichen Wirkungen entfalten können.“

Auf Twitter fordert daher Kurt Deketelaere, General­sekretär der League of European Research Universities, eine Umbenennung: „Let's start with changing her job title, to her and our benefit : @GabrielMariya, Commissioner for Research, Innovation and Education!“ Am 23.9. schloss sich EU-LIFE, die Allianz von 13 europäischen Forschungszentren aus den Lebenswissenschaften, dieser Forderung in einem Offenen Brief an das Europäische Parlament an. „Because names set priorities, we (...) call for the inclusion of ‚Research‘ in the name of the recently created portfolio ‚Innovation and Youth‘”.

Ob nun als Innovations- oder Forschungs­kommissarin, ab November kommt auf die 40-jährige Bulgarin Gabriel eine ganze Menge Arbeit zu. Denn ihr Ressort umfasst nicht nur die Forschung, sondern auch die Themen Bildung, Kultur, Jugend und Sport. So soll sie sich beispiels­weise auch um die Bewahrung und den Schutz des kulturellen Erbes Europas kümmern und den Sport fördern als Werkzeug für die Inklusion und das Wohlbefinden. Zuletzt beackerten diese Themen zwei Kommissare – Carlos Moedas und der Ungar Tibor Navrascics (Bildung, Kultur, Jugend und Sport).

Die Zusammenlegung der zwei Themen Forschung und Bildung stößt bisher vor allem auf positive Resonanz. Alt: „Erstmals seit 1999 werden die Bereiche Bildung und Forschung wieder zusammen­geführt (...). Aus der Aufgaben­beschreibung (...) an die designierte Kommissarin wird deutlich, dass Frau von der Leyen die engen Bezüge zwischen Bildung, Forschung und Innovation genutzt wissen will. (… ) Die Behandlung dieser Teilbereiche durch unter­schied­liche General­direkti­onen war für die europäische Hochschul­politik alles andere als förderlich.“

Unbeliebtes Ressort

Auch der aktuelle Forschungs­kommissar Carlos Moedas findet die Idee gut. Auf Twitter schreibt er: „Congratulations to Pres-Elect @vonderleyen for putting for the first time Science, Innovation and Education under the same Commissioner.“ Moedas bedauert aber auch, dass das Ressort „Forschung“ kein sehr beliebtes zu sein scheint. „Now that we are about to have a new @EU_Commission, the truth is that nobody was talking about or interested by the next R&D Commissioner. In the last 5 years, I really tried to put this portfolio on the map.“ Traurig, in der Tat. Vielleicht auch ein Grund, warum „Forschung/Wissenschaft“ aus dem Ressort-Namen ausradiert wurde?

Ein wichtiges Anliegen hat Moedas aber noch. Gabriel soll sich bei den Verhand­lungen mit den großen Wissen­schafts­verlagen noch mehr ins Zeug legen. „Das einzige, das ich meinem Nach­folger raten würde, ist, sich ein Mandat zu holen, um mit den Verlagen auf Augenhöhe verhandeln zu können. Ich hatte kein solches Mandat und war damit nicht in der Lage, die Ansagen zu machen," sagte er während einer Science Business-Konferenz Anfang September. Apropos Verlage: Open Access oder noch besser Open Science sucht man in Gabriels Mission Letter ebenso vergebens.

„Eine Union, die mehr erreichen will“, unter dieses Motto hat Ursula von der Leyen ihre Amtszeit gestellt. Welche Rolle die Forschung/Wissenschaft dabei spielt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Kathleen Gransalke