Agenten der MS enttarnt?

(19.08.2019) Bei der Multiplen Sklerose wird das Zentralnervensystem angegriffen. Möglicherweise haben Züricher Forscher jetzt die verantwortlichen Zellen dingfest gemacht.
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Editorial

 

Weltweit leiden rund 2,5 Millionen Menschen an der chronisch-entzündlichen Multiplen Sklerose. Bei dieser Autoimmunkrankheit zerstören aggressive T-Zellen die Markscheiden, die als isolierende Schicht um Nervenzellen die Signalweiterleitung verbessern. Als Folge der Krankheit kommen Aktionspotenziale immer schlechter bei den Muskeln an, so dass Lähmungserschei­nungen auftreten. Da die Entzündungsherde aber in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark verstreut liegen, können auch andere neurologische Symptome auftreten.

Die Krankheit bricht oft bereits in jungen Jahren aus, und ist bislang nicht heilbar. Welche Zellen genau für ihren Ausbruch verantwortlich sind und gegen welche körpereigenen Moleküle sich diese richten, ist noch unbekannt. Typischerweise sind T-Helferzellen vom Typ 1 und 17 sowie Effektorzellen, die das Cytokin GM-CSF (granulocyte-macrophage colony-stimulating factor) sezernieren, am Krankheitsgeschehen beteiligt, während gleichzeitig die Zahl an regulierenden T-Zellen reduziert ist.

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Nachweis im Blut

Einen neuartigen Subtyp von T-Helferzellen, der speziell bei Patienten mit Multipler Sklerose vermehrt vorkommt, haben nun Forscher um Burkhard Becher von der Uni Zürich aufgespürt. Da eine frühe Diagnose für den Behandlungserfolg entscheidend ist, sind Biomarker wichtig, die sich bestenfalls direkt im Blut nachweisen lassen. Dazu zählen Oberflächenmoleküle von Immunzellen oder Cytokine, die diese ausschütten.

Für die Suche nach solchen Biomarkern verwendeten Becher und Co. hochdimensionale Massenzytometrie, eine Methode, mit der gleichzeitig eine große Anzahl an Blutzellen untersucht und anhand ihrer Oberflächenmarker in Untergruppen eingeteilt werden kann. Die großen Datenmengen ließen sie von Computer-Algorithmen für die Mustererkennung durchforsten – so konnte das Ergebnis nicht durch eine Erwartung der Forscher verfälscht werden.

Als Untersuchungsmaterial dienten dem Team periphere mononukleäre Blutzellen (also B- und T-Lymphozyten, Natürliche Killerzellen und Monozyten als Vorläufer der Makrophagen) von Patienten mit der häufigsten Form der Multiple Sklerose, der Schubförmig Remittierenden MS. Dabei fiel den Zürcher Forschern auf, dass deren Immunzellen größere Mengen der Cytokine Interleukin 2 (IL-2), Tumornekrosefaktor-(TNF)-gamma und GM-CSF produzierten als die von gesunden Probanden.

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Wanderfreudige Signaturzellen

Für GM-CSF war bereits eine Rolle bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose beschrieben, aber bislang war unbekannt, welche Zellen für die übermäßige Bildung des Cytokins verantwortlich waren. Bechers Team konnte das nun auf eine Population aus T-Helferzellen zurückführen, die bei den MS-Patienten im Vergleich zu gesunden Spendern sowie zu Patienten mit nicht-entzündlichen neurologischen Erkrankungen und anderen entzündlichen Krankheiten deutlich überrepräsentiert war. Die meisten Zellen dieser Population bildeten zusätzlich zu GM-CSF lediglich TNF-gamma und IL-2. Etwa ein Drittel der Zellen produzierte aber auch IFN-gamma, ein Cytokin, das andere Zellen zur Zerstörung von Gewebe anregt.

Alle T-Zellen der Population trugen auf ihrer Oberfläche den Chemokin-Rezeptor CXCR4, dessen Ligand SDF1α (stromal cell-derived factor 1α) auf der inneren Seite von Blut­gefäßen im Gehirn sitzt und vermutlich Immunzellen die Einwanderung ins Zentralnerven­system ermöglicht. Tatsächlich wanderten die mit CXCR4 ausgestatteten T-Zellen in einem In-vitro-Test besser auf SDF1α zu als andere Immunzellen. Interessanter­weise trug ein Großteil der Zellen dieser spezifisch bei MS-Patienten vorkommenden „Signatur­population“ außerdem das Very-Late-Antigen 4 (VLA4), das ebenfalls an der Einwanderung von T-Zellen ins Zentralnervensystem beteiligt zu sein scheint und bereits ein therapeutisches Ziel bei der Behandlung der Multiplen Sklerose ist.

Schranke überwunden

Falls die Signaturpopulation tatsächlich essentiell für das Krankheitsgeschehen ist, sollte eine Behandlung ihre Zahl reduzieren. Tatsächlich konnten die Forscher dies bei Patienten zeigen, die mit dem Immunmodulator Dimethylfumarat (DMF) behandelt wurden. Weiterhin fand Bechers Team, dass die Signaturzellen bei Patienten im Nervenwasser in größerer Anzahl als im peripheren Blut sowie in entzündeten Bereichen des Rückenmarksgewebes vorkommen. Dies bedeutet, dass sie in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu über­winden und ins Zentralnervensystem einzuwandern, so wie es für Entzündungszellen der Multiplen Sklerose beschrieben ist.

Insgesamt gibt es somit zwar noch keinen Beweis, aber doch zumindest starke Hinweise darauf, dass die Signaturzellen für die Krankheit (mit)verantwortlich sind. „Um hier den Beweis zu erbringen, müssten wir diese Zellpopulation spezifisch eliminieren, was aber noch nicht möglich ist“, erklärt Becher. „Stattdessen untersuchen wir im Moment ganz viele behandelte MS-Patienten und überprüfen, ob gleichzeitig mit den Entzündungen auch die Signaturpopulation zurückgeht. Das ist zwar nur korrelativ, aber doch ein großer Schritt hin zur Entwicklung eines neuen Biomarkers.“

Die Hoffnung ist außerdem, dass die Signaturpopulation langfristig auch als Ansatzpunkt für die Entwicklung von Therapien dienen kann, die spezifischer wirken als immunsupprimierende Wirkstoffe. So ist Becher überzeugt, dass das Cytokin GM-CSF essentiell für die Entstehung der MS ist und deshalb ein gutes therapeutisches Ziel darstellen könnte: „Aber um das endgültig nachzuweisen, müsste man klinische Studien durchführen und das kann leider nur die Pharmaindustrie.“

Larissa Tetsch

 

Galli E. et al. (2019): GM-CSF and CXCR4 define a T helper cell signature in multiple sclerosis. Nature Medicine, DOI: 10.1038/s41591-019-0521-4