Clevere Verbindung

(15.08.2019) Besonders spezifisch und stabil sind die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate des Münchner Startups Tubulis. Vorbild für ihre Technologie sind: Mikrotubuli.
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Editorial

Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma Tubulis? Die Mitgründer Dominik Schu­macher, Wirtschaftschemiker aus Berlin, und Jonas Helma-Smets, Biologe aus München, kennen die Antwort.

Herr Helma-Smets, Sie werden in einer Pressemeldung des Berliner Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) „gründungserfahren“ genannt. Woraus resultiert diese Ein­schätzung?

Jonas Helma-Smets: Das liegt daran, dass ich während meiner Doktorarbeit bereits eine Biotechno­logiefirma mitgegründet habe, die Chromotek GmbH, die auch hier in München ansässig ist.

Das ist ein Argument. Und nun Tubulis. Wie entstand die Idee, neuartige Antibody-drug Conjugates zu kreieren?

Dominik Schumacher: Die Idee stammt aus einem akademischen Kontext. Herr Helma-Smets war bereits Postdoc an der LMU in München, ich Doktorand an der FMP in Berlin. Über ein DFG-gefördertes Projekt sind wir aufeinandergetroffen. Das war eine Koope­ration unserer beiden Chefs, Christian Hackenberger und Heinrich Leonhardt, die beide ebenfalls Mitgründer von Tubulis sind. Die Technologie entwickelte sich so gut, dass wir irgendwann versuchen wollten, aus diesem akademischen Projekt etwas Translatorisches zu machen, und am allerliebsten eine Ausgründung, ein Spin-off.

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Als Forscher in der „Akademia“ ist das nach wie vor ein doch eher seltener Gedanke. Was war die Motivation dahinter, zu sagen: „Ja, ich glaube an diese Idee, das ist das, was die Welt jetzt braucht“, um es mal überspitzt darzustellen?

Schumacher: Das war in unserem Fall gar nicht so abwegig. Herr Helma-Smets hatte ja bereits eine Ausgründung hinter sich. Und ich hatte Wirtschaftschemie studiert, nicht reine Chemie, weil ich von Anfang an mehrere Dinge miteinander verbinden wollte. Wir hatten dann Glück, dass unsere Technologie diese Möglichkeit hergegeben hat.

Helma-Smets: Wir habe beide relativ schnell das Potenzial in unserer technologischen Erfindung für ein neues chemoenzymatisches Verfahren gesehen, das möglicherweise auch außerhalb des akademischen Forschungsbetriebs Anwendungen finden kann. Und zwar für die Herstellung sogenannter Antikörper-Wirkstoff-Konjugate.

Es geht um ADCs, Antibody-drug Conjugates. Was unterscheidet Ihre Technologie von bereits bestehenden? Schließlich gibt es bereits etliche für die Onkotherapie zugelassene ADC-Präparate, wie beispielsweise Trastuzumab Emtansin (Handelsname: Kadcyla) von Genentech oder Gemtuzumab Ozogamicin (Handelsname: Mylotarg) von Pfizer/Wyeth.

Helma-Smets: ADCs sind in der Tat ein relativ etabliertes Format. Die Art und Weise der Verkonjugierung ist ein entscheidender Aspekt. Bei den ADCs der ersten Generation wurde der Wirkstoff zum Beispiel an frei zugänglichen Lysinen des Antikörpers angebracht. Dadurch entstehen aber heterogene Konjugat-Gemische, also eine krude Mischung aus Molekülen, von denen vielleicht ein Teil therapeutisch aktiv ist, aber ein anderer Teil toxische Eigenschaften hat oder zu Aggregation neigt. Deshalb hat man eine Reihe von Technologien entwickelt, die den Wirkstoff an definierten Stellen am Antikörper kovalent binden. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist, dass die meisten Wirkstoffe extrem hydrophob sind, während Antikörper wasserlösliche Proteine sind. Da prallen gewissermaßen zwei Welten aufeinander.


Dominik Schumacher (links) und Jonas Helma-Smets. Credit: Tubulis

Diese Probleme haben Sie gelöst? Welcher chemische Prozess steckt dahinter?

Helma-Smets: Wir nutzen zwei Ansätze. Eine ist die Tub-Tag-Technologie, die aus der Mikrotubuli-Biologie abgeleitet ist und mit welcher sich besonders stabile ADCs herstellen lassen. Mikrotubuli sind für verschiedene zelluläre Funktionen zuständig und bestehen aus alpha- und beta-Tubulin-Untereinheiten. alpha-Tubulin besitzt ein Peptid, das aus der Struktur herausragt und einer Reihe von Enzymen als Substrat dient, unter anderem der Tubulin-Tyrosin-Ligase. Dieses Enzym baut in der Natur posttranslational ein Tyrosin ins alpha-Tubulin ein. Das Peptid wiederum ist hydrophil, und diese Eigenschaft machen wir uns für die ADC-Entwicklung zunutze.

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Das müssen Sie näher erläutern, bitte.

Helma-Smets: Wir nehmen das Peptid aus dem Tubulin heraus und fusionieren es an einen Antikörper. Dort erfüllt es zwei Funktionen: Einerseits dient es als Erkennungs­sequenz für das Enzym, mit dem wir dann ein Tyrosin-Derivat einbauen können. Dieses unnatürliche Tyrosin repräsentiert eine einzigartige chemische Funktionalität, durch die wir gezielt Wirkstoffe an den Antikörper konjugieren können. Der zweite Effekt ist, dass wir an der Stelle, wo wir das Peptid rekombinant in den Antikörper einbauen, lokal Hydrophilität erzeugen, und somit der Hydrophobizität des Wirkstoffs einen lokalen Puffereffekt entgegensetzen.

Sie sprachen von einer zweiten Technologie, welche ist das?

Schumacher: Eine große Herausforderung bei der Entwicklung von ADCs ist die Auswahl der payloads, also der Wirkstoffe. Wenn man sich die klinische Landschaft anschaut, dann sind es drei, vielleicht vier Wirkstoffklassen, die immer wieder verwendet werden. Viele sind systemisch hochtoxische Moleküle, und oft kommt es deshalb zum Abbruch von klinischen Studien. Mit der zweiten Technologie, einer völlig neuen Cystein-selektiven Chemie, haben wir eine robuste Screening-Plattform entwickelt. Die ermöglicht uns, neuartige Wirkstoffe, aber auch Antikörper, also potentielle Konjugat-Partner, schnell zu testen: Ist der Wirkstoff stabil, lässt er sich überhaupt verkonjugieren, erziele ich einen Effekt, muss das Molekül gespalten werden, um wirksam zu sein … das sind die Kernkriterien, die wir abklopfen. Fallen diese positiv aus, können wir die spezifische Antikörper-payload-Kombination im Anschluss mittels der Tub-Tag-Technologie zu besonders stabilen ADCs fusionieren. Aus diesem Ansatz heraus konnten wir bereits eigene ADC-Kandidaten mit neuartiger Wirkungsweise identifizieren, die wir nun vorantreiben.

Ihr Firmenname lautet Tubulis. Das hat bestimmt etwas mit Ihrem Forschungsgebiet – den Mikrotubuli – zu tun, oder?

Helma-Smets: Das haben Sie ganz richtig geraten. Der Ursprung unserer Tub-Tag-Technologie liegt in der Mikrotubuli-Biologie. Den Mechanismus fanden wir so gewitzt, dass wir letztendlich unseren Firmennamen daran angelehnt haben.

Die Fragen stellte Sigrid März


    Steckbrief Tubulis

  • Gründung: 2019
  • Sitz: München
  • Mitarbeiter: 8
  • Produkt: neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate