Verbündete darf man nicht ignorieren

(15.07.2019) Mikrobiologen warnen davor, Mikroben bei der aktuellen Klimawandel-Debatte außen vor zu lassen. Ihre Erklärung kann (und sollte) jeder Mikrobiologe unter­schreiben.
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Editorial

Eisbären auf einer winzigen Eisscholle, überflutete Städte, tropische Stechmücken und exotische Pflanzen, die bei uns Fuß fassen. Das sind die Bilder des Klima­wandels, die uns durch die Medien erreichen. Viel weniger bekannt und noch weniger im Bewusstsein der Bevölkerung: Der Klimawandel macht auch vor Mikro­organismen nicht Halt! Zwar mögen uns Eisbären emotional mehr ansprechen, Mikroben spielen jedoch eine viel direktere Rolle. Denn nicht nur werden sie vom Klimawandel beeinflusst, sie wiederum beeinflussen durch ihre Stoffwechsel-Aktivitäten das Klimageschehen und das in einem Ausmaß, das noch immer in vielen Teilen gar nicht bekannt ist.

Dass die Kleinstlebewesen im Unterschied zu Tieren und Pflanzen immer noch selten im Fokus von Umweltforschern stehen und noch seltener in der Presse und in öffentlichen Diskussionen auftauchen – sofern es sich nicht um Krankheits­erreger handelt – hat Mikrobiologen von 35 wissenschaftlichen Einrich­tungen aus acht Nationen dazu bewogen, gemeinsam eine Warnung auszusprechen, die Mikroben bei der aktuellen Klimadiskussion nicht zu vernachlässigen. Ihre Konsens-Erklärung kann jeder Mikrobiologe im Internet unterschreiben.

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Warnende Wissenschaftler

Die Warnung der Mikrobiologen kommt nicht von ungefähr und ist Teil einer größeren Aktion, die bereits 2017 gestartet wurde. Zurück geht das Ganze auf die Scientists‘-Warning-Bewegung, die vom Ökologen Bill Ripple (Oregon State University) gegründet wurde und es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Menschheit vor dem Einfluss ihrer eigenen Aktivitäten auf Umwelt und Klima zu warnen.

Bereits im Jahr 1992 entstand in Zusammenarbeit mit der Weltallianz der Wissenschaftler eine Erste Warnung, die von 1.700 Wissenschaftlern unterschrieben wurde. 25 Jahre später fand die Zweite Warnung fast zehnmal so viele Unterzeichner.

Teil der Zweiten Warnung ist der Aufruf an Wissenschaftler aller Fachdisziplinen, separate „Warn“-Artikel in ihrem Fachbereich zu schreiben. Im Moment existieren 36 solcher fachspezifischen Warnungen, darunter die der Mikrobiologen, die federführend von Rick Cavicchiolo von der Universität New South Wales in Sydney, Australien, unter Mitwirkung von Bill Ripple verfasst wurde. Auch zwei deutsche Mikrobiologen gehören zu den Autoren: Antje Boetius, Gruppenleiterin am Bremer MPI für Marine Mikrobiologie und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven sowie Kenneth Timmis, Professor emeritus der TU Braunschweig. Der Umweltbiologe gehört mit Rick Cavicchioli zu den Initiatoren des Artikels. Beide zeigen sich zufrieden mit den etwa 400 Unterschriften, die die Konsens-Erklärung inzwischen verzeichnen kann – immerhin sind darunter etliche Mikrobiologische Fachgesellschaften, die für eine große Zahl an Mitgliedern sprechen.

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Teil des Problems …

Dass Mikroorganismen bei der Klimawandel-Diskussion oft nicht mit eingerechnet werden, kann fatale Auswirkungen haben, wie die Autoren schreiben. Denn gerade Mikroorga­nismen sind in Stoffwechsel-Kreisläufe eingebunden, die Treibhausgase freisetzen und damit einen großen Beitrag zur Klima-Erwärmung leisten. Besondere Brisanz hat die Freisetzung von Methan aus tauenden Permafrostböden – ein selbstverstärkender Prozess. Denn je stärker die globalen Temperaturen durch die Freisetzung des Klimagases ansteigen, desto stärker taut der Boden. Und gerade der Methan-Stoffwechsel wird ganz wesentlich von Mikroorganismen betrieben.

Neben Prokaryoten beziehen die Mikrobiologen auch andere Kleinstlebewesen wie einzellige Algen und Plankton, als wichtige Grundlage für Nahrungsnetze, in ihre Warnung mit ein. Da viele der mikrobiellen Stoffwechsel-Aktivitäten mit steigenden Temperaturen zunehmen werden, besteht die Gefahr von Rück­kopplungs­schleifen, die den Klimawandel weiter beschleunigen. Für uns Menschen von besonderer Bedeutung ist die erwartete Zunahme von Infektions­krankheiten durch die Ausbreitung ihrer Überträger.

… Teil der Lösung

Auf der anderen Seite können Mikroorganismen auch ein Teil der Lösung sein, wie die Autoren am Ende der Publikation betonen. So können mikrobielle Gemeinschaften so manipuliert werden, dass sie im Rinderpansen weniger Methan freisetzen, oder dass sie abbaubare Kunststoffe oder Biotreibstoffe produzieren. Timmis wünscht sich auf jeden Fall, dass die Warnung dazu beiträgt, Politikern die unmittelbare Gefahr, die von Treibhaus­gasen und globaler Erwärmung ausgeht, vor Augen zu führen: „Meine Hoffnung ist, dass die Politiker radikal handeln, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und – noch wichtiger – erkennen, dass die Mikroben eine entscheidende Rolle bei der Produktion und auch bei der Senkung der Treibhausgase spielen. Diese müssen deshalb einbezogen werden in die Lösungsansätze.“

Der Mikrobiologe ist optimistisch, dass der Warnruf auch in der Gesellschaft Gehör findet: „Durch Greta Thunberg und die streikenden Schüler der Fridays-for-Future-Bewegung einerseits, und durch die Bilder von schmelzenden Eisbergen und tauenden Permafrost­böden ist die Bevölkerung für dieses Thema sensibilisiert.“

Mehr Mikrobiologie in der Schule

Darüber hinaus ist es ein Anliegen Timmis‘, die mikrobiologische Allgemeinbildung in der Bevölkerung zu verbessern. „Ein Hindernis für eine angemessene, wissens- und fakten­basierte Politik ist das mangelnde Wissen über zugrunde liegende mikrobielle Prozesse, nicht nur des Klimawandels, sondern auch bei anderen wichtigen Aspekten der Biosphäre und der menschlichen Gesundheit.“ So war der Warnung ein öffentlicher Aufruf voraus gegangen, den Mikrobiologie-Unterricht an der Schule zu verbessern. „Wir Menschen sind für unseren Planeten verantwortlich“, so Timmis. „Dabei sind die Mikroben unsere wichtigsten Partner. Wir können unsere Verantwortung dem Planeten gegenüber nur erfüllen, wenn wir wissen, was die Mikroben tun, und wenn wir mit ihnen zusammen­arbeiten.“

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 15.07.2019