Neue Labeling-Strategie für prä-miRNAs

(05.06.2019) Ein verbesserter DICER-Assay macht es möglich herauszufinden, welche miRNAs aus deren haarnadelförmigen Vorläufer-Molekülen entstehen.
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microRNAs (miRNAs) kodieren selbst keine Proteine, beeinflussen aber deren Synthese. Über ihr 5´-Ende, die sogenannte seed region, binden sie komplementäre Ab­schnitte Protein-kodierender mRNAs (meist im 3´UTR) und besiegeln so das Schicksal der mRNAs für den Abbau.

miRNAs gehen aus einer 50 bis 80 Nukleo­tide langen, einzelsträngigen RNA hervor, deren weitgehend komplementäre End­bereiche (5p- und 3p-Arm) sich zum Doppelstrang paaren und so eine Haarnadelstruktur (prä-miRNAs) bilden. Die Endoribo­nuklease DICER schmiegt sich an die enge Kurve und setzt auf jedem der beiden Arme zum Schnitt an. Eine normale Haarnadel würde jetzt auseinanderfallen, weil die beiden Arme nichts mehr verbindet. Im wahren Leben aber lösen sich die Stränge erst nach Durchschreiten des RNA-induced silencing complexes (RISC). Die nun einzelsträngigen Arme können prinzipiell als guideRNA (gRNA) fungieren und sich, mit RISC im Schlepptau, auf die Suche nach passenden mRNA-Zielen (target-mRNAs) machen.

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RNA mit Zipfelchen

Wo genau die Schnittstellen auf prä-miRNA-Molekülen liegen, ist ausschlaggebend für Länge und Sequenz der fertig prozessierten miRNAs und somit auch dafür, welche potenziellen target-mRNAs („targetome“) diese attackieren können. Bei einer Länge von nur etwa zwanzig Nukleotiden spielt es durchaus eine Rolle, ob links ein Zipfelchen fehlt oder rechts eines übersteht.

In-vitro-DICER-Assays helfen, die prä-miRNA-Prozessierung zu verfolgen und die Schnittstellen zu orten. Die meisten DICER-Assays setzen auf die radioaktive 5´-End-Markierung des 5p-Arms mit 32P. Was nach dessen endonukleolytischer Prozessierung übrigbleibt, wird elektrophoretisch getrennt und man beobachtet die Signalintensität und Migrationsstrecke der markierten Moleküle beziehungsweise Banden.

Das Ganze hat jedoch einen Haken: Man erhält immer nur die Länge beziehungsweise die Schnittstelle(n) auf dem 5p-Arm. Ob jenseits von dieser noch mehr klein gehäckselt wird oder einfach nichts passiert, sieht man nicht, weil die nicht-markierten Spaltprodukte auf dem Gel unerkannt mitlaufen. Mit einigem Aufwand lässt sich zwar auch der 3p-Arm markieren, etwa über die End-Markierung mit 32P-Cytidin-3´,5´-bisphosphat (pCP). Die Dekoration des Arms mit so einem fetten Brocken kann aber auch die RNA-Struktur und damit die Funktion der RNA beeinflussen.

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Zierlich statt klobig

Jonathan Hall vom Institut für pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich und seine Doktorandin Verena Schlösser haben eine elegante Lösung für dieses Problem gefunden, die sämtliche Schnittstellen auf der prozessierten prä-miRNA genau ortet, die Sequenz unverfälscht lässt und mit nur einem 32P-Molekültyp auskommt. Statt eines klobigen Rests am 3p-Arm-Ende wird mitten auf dem 3p-Arm ein zierliches 32P-Isotop untergebracht. Der Aufwand der cleveren Bastelarbeit hält sich in Grenzen. Mit einer prä-miR-20b als Demo-Objekt testeten die Forscher ihre Strategie. Zunächst markierten sie, ganz klassisch, die komplette (full-length) 60 Nukleotide lange prä-miRNA am 5p-Arm mittels gamma- 32P-ATP.

Für die 3p-markierte Variante nahmen die Schweizer zwei Oligonukleotide, die zusammen der Full-length-prä-miRNA entsprachen, und setzten diese nach dem Einbau der Mar­kierung selbst zusammen. Das längere Oligonukleotid, das den 5p-Arm, die Schleife der Haarnadel und einen kurzen Abschnitt im 3p-Arm umfasste, phosphorylierten sie nicht-radioaktiv. Das andere, nur 14 Nukleotide kurze Stück hingegen phosphorylierten sie am 5´-Ende wiederum mit 32P aus gamma- 32P-ATP. Im anschließenden Annealing-Schritt finden sich die zwei äquimolar gemischten Oligos zur Haarnadelstruktur zusammen. Die Wunde auf dem 3p-Arm wird mithilfe der T4-ds-Ligase verschlossen. Mit der Ligationseffizienz von 25 Prozent gaben sich Hall und Schlösser zufrieden, sie sehen hier aber noch Luft nach oben.

Leichte Diskrepanz zum Goldstandard

Sowohl die 5p-endmarkierte als auch die 3p-intern-markierte Full-length-Variante waren damit bereit für DICER-Assays. Die erfolgten in einem einfachen Puffer (Tris, NaCl, DTT, MgCl 2, Glycerol) nach Zugabe des rekombinanten Enzyms in zwei separaten Ansätzen. Die Auftrennung der Reaktionsprodukte im denaturierenden Polyacrylamidgel ergab für die 5p-markierten Proben Spaltprodukte mit 21 und 22 Nukleotiden Länge. Die 3p-markierten Proben waren 20 und 21 Nukleotide lang. Daraus lässt sich direkt auf die exakten Schnittstellen auf der prä-miRNA schließen, von denen es offenbar vier gibt. Hier zeigte sich eine leichte Diskrepanz zu Schnittmustern, die man laut der Goldstandard-Datenbank miRBase erwarten würde - in vitro ist eben nicht in vivo.

Wer DICER-Varianten auf Präzision, Leistungsfähigkeit, Schnittpräferenz und Ähnliches testen will, kann hierzu ebenfalls die neue Strategie von Hall und Schlösser einsetzen. Solange beide Substrat-Markierungen parallel angesetzt und getestet werden, sind die Signalstärken der Spaltprodukte unmittelbar vergleichbar.

Andrea Pitzschke

Schlösser V und Hall J (2019): Labeling microRNA precursors for Dicer assays. Analytical Biochemistry, 579:35-37